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Foto: Rico Prauss

»Nur Reiche können sich arme Kommunen leisten«

Im Wortlaut von Susanna Karawanskij, Hubertus Zdebel,

Susanna Karawanskij, Abgeordnete aus Sachsen und Sprecherin für Kommunalfinanzen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Hubertus Zdebel, Abgeordneter aus Nordrhein-Westfalen und Sprecher für Tierschutz der Fraktion DIE LINKE

 

DIE LINKE fordert, die chronische Unterfinanzierung der Kommunen zu beenden. Vor Ostern diskutierte der Bundestag gerade den Haushaltsentwurf für 2014. Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung etwas gegen diese Unterfinanzierung unternimmt?

Susanna Karawanskij: Keineswegs! Schwarz-Gelb drückt sich um Wahlkampfversprechen. Es sollte eine Milliarde Euro mehr pro Jahr Soforthilfe für Kommunen geben. Die Bundesregierung will den Kommunen ab 2015 eine höhere Umsatzsteuer-Beteiligung zugestehen, aber dafür müssen Kommunen ab 2014 ohnehin eine höhere Grundsicherung im Alter schultern. Das vergisst die Bundesregierung ganz bewusst. Fünf Milliarden Euro mehr sollten die Kommunen durch ein Bundesteilhabegesetz erhalten, das Städte und Gemeinden bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung entlastet. Doch auch hier gibt es ein großes Aber: Schwarz-Gelb wird in dieser Wahlperiode zwar den Gesetzentwurf machen, aber die Umsetzung erfolgt erst in der nächsten Wahlperiode. Die Wählerinnen und Wähler werden für dumm verkauft!

Um die chronische Unterfinanzierung zu beenden, ist es wichtig, die Gewerbesteuer endlich zur Gemeindewirtschaftsteuer weiterzuentwickeln. Wir wollen alle wirtschaftlich Tätigen, also auch die freien Berufe, einbeziehen und die Bemessungsgrundlage um Mieten, Pachten et cetera verbreitern. Die Gewerbesteuerumlage an den Bund muss sofort und an die Länder schrittweise abgeschafft werden. Allein die Abschaffung der Gewerbesteuerumlage an den Bund würde 2014 zu geschätzten kommunalen Mehreinnahmen von über 1,6 Milliarden Euro führen. Und DIE LINKE fordert eine kommunale Investitionspauschale über drei Milliarden Euro, damit die Infrastruktur nicht weiter verrottet.

Neben dem Bund bestimmen auch die Länder darüber, wie Städte und Gemeinden finanziell ausgestattet sind und welche Aufgaben sie zu schultern haben. Sie kommen aus Sachsen, das ebenfalls von Union und SPD regiert wird. Welchen Kurs fährt die Landesregierung gegenüber den Kommunen?

Susanna Karawanskij: Nicht nur die Kommunen, auch die Länder sind chronisch unterfinanziert. Grundsätzlich ist aber das gesamte Modell des Finanzausgleichs zwischen den Gebietskörperschaften zu reformieren. In Sachsen wurde in den vergangenen zwei Jahren  Haushaltsüberschüsse erzielt, woran jedoch die Kommunen nicht beteiligt wurden. Vor allem die zunehmende Aufgabenübertragung und damit verbundene Kosten für Aufgaben wie Jugendhilfe, Unterkunftskosten oder steigende Kita-Betriebskosten lasten auf den Schultern der Kommunen.  Und es gibt einen immensen Investitionsstau. Der Freistaat hat es versäumt die kommunale Investitionspauschale anzuheben und lebt von der Substanz.

Bei Ihnen in Nordrhein Westfalen stellen SPD und Grüne die Landesregierung. Geht man in Düsseldorf anders mit den Kommunen um als in Dresden?

Hubertus Zdebel: Die Kommunen in NRW sind nach wie vor chronisch unterfinanziert. Hauptursachen sind die Übertragung immer neuer Aufgaben an die Kommunen ohne ausreichende Finanzmittel und die Politik der Steuergeschenke an Reiche und Konzerne. Allein die angehäuften Kassenkredite der NRW-Kommunen lagen zum Ende des dritten Quartals 2013 auf einem neuen Höchststand von rund 25,5 Milliarden Euro. Finanzschwache Kommunen wurden dem von SPD und Grünen auf Landesebene eingeführten "Stärkungspakt Stadtfinanzen" unterworfen. Nur wenn sie kürzen, ist die Landesregierung bereit, ihnen unter die Arme zu greifen. DIE LINKE lehnt diesen Pakt mit dem Teufel ebenso wie Personalabbau und Privatisierungen strikt ab.

Der Strukturwandel im einstigen Land von Kohle und Stahl fiel in den zurückliegenden Jahrzehnten recht unterschiedlich aus. Was machen die Kommunen ohne großes Unternehmen oder ohne große Universität vor Ort, um über die Runden zu kommen?

Hubertus Zdebel: Der Strukturwandel hat in den Kohlerückzugsgebieten tiefe Spuren hinterlassen: Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, überproportionaler Anstieg von Langzeitarbeitslosigkeit und Sozialleistungen und infolgedessen eine stark ansteigende Verschuldung. Für eine sozial-ökologische Strukturpolitik fehlt das Geld. Der Zustand der öffentlichen Einrichtungen wie Schulen ist in der Regel erbärmlich, ganze Stadtteile verkommen. Aus dieser Spirale sinkender Handlungsfähigkeit und wachsender sozialer Probleme führt nur ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt heraus, der die Kommunen mit stabilen Steuereinnahmen ausstattet. Denn nur Reiche können sich arme Kommunen leisten.

Während West-Kommunen fast die Hälfte ihrer Einnahmen aus Steuereinnahmen erzielen, sind es im Osten gerade einmal ein Viertel. Dafür bestreiten Ost-Kommunen mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen durch Zuweisungen vom Bund und von den Ländern, West-Kommunen hingegen nicht einmal zu einem Drittel. Worauf ist die unterschiedliche Abhängigkeit der Städte und Gemeinden zurückzuführen? Und wie zeigt sie sich konkret in Sachsen und NRW?

Susanna Karawanskij: Reiche und arme Kommunen driften immer weiter auseinander. Wichtig ist, arme und reiche oder Ost- und West-Kommunen nicht gegeneinander auszuspielen. Manche Westkommunen erzielen gute Einnahmen aus der Gewerbesteuer, wohingegen in Ostdeutschland als Folge der Deindustrialisierung nach der Wende viele Landstriche brachliegen. Hinzu kamen jahrzehntelang überdurchschnittliche Sozialausgaben wegen hoher Arbeitslosenquoten. Auch die starke Abwanderung aus fast allen Regionen Ostdeutschlands ist nicht zu unterschätzen. Dies umreißt grob die grundsätzlichen Differenzen zwischen Ost und West und damit die Ursachen für die Differenzen hinsichtlich der Abhängigkeit von Kommunen von Finanzzuweisungen aus Bund und Land.

Hubertus Zdebel: Ja, die regional sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft ist entscheidend. So haben die Kommunen in NRW Einnahmen von durchschnittlich 1.022 Euro pro Einwohnerin und Einwohner erzielt, die Kommunen in Sachsen von durchschnittlich 606 Euro. Zum Ausgleich dieser unterproportionalen kommunalen Finanzkraft erhält Sachsen wie andere Ost-Bundesländer zurzeit noch Sonderbedarfs-Ergänzungszuweisungen vom Bund. Diese laufen jedoch nur bis zum Jahre 2019. Die NRW-Kommunen bekommen diese Ergänzungszuweisungen nicht und das Land NRW enthält ihnen seit 1985 durch Absenkung der Verbundquote im kommunalen Finanzausgleich von 28,5 auf 23 Prozent jährlich rund zwei Milliarden Euro kommunales Geld vor. Im Ergebnis geht es also weder den Kommunen in Sachsen noch denen in NRW gut.

Dabei ginge es anders: Statt mit dem Rotstift bei den Ausgaben anzusetzen, fordert DIE LINKE mehr Einnahmen durch sozial gerechtes Umsteuern, zum Beispiel durch die Einführung einer Millionärsteuer sowie einer höheren Erbschaftssteuer. Der kommunale Anteil am Gesamtsteueraufkommen von zurzeit rund 13 Prozent ist deutlich anzuheben. Daneben müssen die eigenen kommunalen Einnahmen höher und verlässlicher ausfallen.

In Brandenburg hat die rot-rote Landesregierung, in der DIE LINKE den Finanzminister stellt, den Haushalt unter anderem auch dadurch saniert, dass die Einnahmen des Landes erhöht wurden. Wäre das auch ein Modell, von dem in Sachsen Kommunen profitieren könnten?

Susanna Karawanskij: Ja, das wäre ein gutes Modell. Dabei darf natürlich nicht zu viel Geld an den sprichwörtlichen klebrigen Fingern der Länder hängenbleiben. Wir brauchen aber mehr Einnahmen auf allen staatlichen Ebenen. Dafür sorgt auch unser LINKES Steuerkonzept. Und das bereits erwähnte neue Konzept zur Reform des Länderfinanzausgleichs. Unser aktueller Antrag zur Gemeindewirtschaftsteuer dient vor allem dazu, den Kommunen eine stabile und ertragreiche genuin kommunale Steuer zugutekommen zu lassen.

Kanzlerin Merkel findet ja seit Neuestem den Länderfinanzausgleich nicht mehr fair. NRW zählt zu den so genannten Geberländern. Da kommen die Worte der Kanzlerin bestimmt gut an. Oder?

Hubertus Zdebel: Von wegen. Die Kanzlerin stellt sich auf die Seite der Geberländer und der CSU. Damit redet Merkel dem herrschenden Wettbewerbsföderalismus das Wort. Das vertieft die Spaltung der Bundesländer. Aus LINKER Sicht muss der Kern des Länderfinanzausgleichs dahingegen ein sozialer und solidarischer Föderalismus sein, der sich am Grundgesetzgebot zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse orientiert und die Pflicht zum
Ausgleich der Finanzkraftunterschiede stärker berücksichtigt. Das setzt ausreichende Steuereinnahmen der Länder voraus, um Leistungsabbau zu verhindern. Darüber hinaus wird auch nach 2019 ein über den Solidarzuschlag gespeister Solidarpakt III benötigt, der wirtschaftsschwache Regionen in Ost und West sowie Süd und Nord mit Infrastruktur- und weiteren Fördermitteln unterstützt.

Zeitgleich zur Europawahl finden am 25. Mai in NRW auch Kommunalwahlen statt. Verbinden die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen des Europaparlaments mit etwas, das immer stärker unmittelbaren Einfluss auf den Alttag in den Kommunen nimmt? Oder ist Brüssel in den Köpfen immer noch weit weg?

Hubertus Zdebel: Bei Infoständen und in Gesprächen treffe ich häufig auf die Haltung: "Lass mich mit der EU in Ruhe!" Die EU erscheint immer mehr Menschen als neoliberales Über-Projekt, das sich nach den Interessen der Banken und Konzerne richtet. Das geplante EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP ist eine ernsthafte Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt in den Kommunen. Die Politik der EU, die maßgeblich von der deutschen Bundesregierung beeinflusst wird, hat dazu beigetragen, dass die Menschen heute wenig Vertrauen in die EU haben. In Südeuropa, wo die EU Spardiktate gegen die Bevölkerung durchsetzt, ist das Misstrauen noch größer. Deshalb bedarf es im EU-Parlament einer starken Europäischen LINKEN, die sich dieser Entwicklung entgegen stellt und für ein Europa von unten eintritt.

Ist das in Sachsen ähnlich?

Susanna Karawanskij: Für viele Menschen ist die europäische Politik und Entscheidungsfindung weit weg, ereilt sie schon in kleinen Dingen aber viel schneller als ihnen lieb ist. Beispielsweise die Umstellung auf SEPA, mit den ellenlangen neuen Kontonummern oder IBANs. Neben vielen Ängsten und der kritischen Haltung zur Europäischen Union haben viele Menschen positiv auf die europäische Bürgerinitiative "Wasser ist ein Menschenrecht" reagiert und konnten das weit entfernte Europa mit etwas Alltäglichem und Konkretem verbinden. Ich denke, so klar wird zwar zwischen Personen und Parteien, nicht aber zwischen Inhalten von den Bürgerinnen und Bürgern bei Kommunal- und Europawahlen getrennt. In den kommenden Jahren werden Entscheidungen aus Brüssel sicher noch mehr Einfluss auf den Alltag der Menschen nehmen. Deshalb gilt es mehr denn je ein soziales, demokratisches und solidarisches Europa für die Menschen zu schaffen, wo Entscheidungen transparent und unter besserer Einflussnahme der Betroffenen beschlossen werden.


linksfraktion.de, 25. April 2014