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NSU-Ausschuss: Zeuge belastet Bundesamt für Verfassungsschutz

Nachricht von Petra Pau,

Von Gerd Wiegel

Wahrscheinlich hätte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bereits 1998 das NSU-Trio aufspüren können. Das legt die Aussage des ehemaligen BfV-V-Manns „Tarif“ nahe. Bereits 2014 hatte er in einem Spiegel-Interview gesagt, er sei im Frühjahr 1998 von Andre Kapke, einem der Helfer des Trios aus Thüringen, angerufen und gefragt worden, ob er die Drei unterbringen könne. „Tarif“ will darüber mit seinem V-Mann-Führer „Alex“ gesprochen haben, der ihn nach Rücksprache dazu angewiesen habe, Kapke abzusagen. Demnach hätte das BfV die Möglichkeit der Ergreifung des Trios bewusst ausgeschlagen.

Die Vernehmung des Zeugen „Tarif“ war für den NSU-Untersuchungsausschuss am 16. Februar 2017 eine Premiere und wurde nicht-öffentlich durchgeführt. Im Ergebnis bleibt zu konstatieren, dass hier nach wie vor Aussage gegen Aussage steht: „Tarif“ blieb bei seiner mehrfach wiederholten Darstellung, die vom BfV vehement bestritten wird. Laut „Tarif“ habe er bei einem Treffen mit seinem V-Mann-Führer das Thema noch einmal angesprochen, worauf dieser gesagt habe, ‚andere sind da schon näher dran‘. Circa 1-2 Jahre später sei „Alex“ noch einmal auf das Thema „Trio“ zurückgekommen, woraufhin „Tarif“ ihm gesagt haben will: ‚Ihr hätte die doch haben können‘. Im Übrigen, so „Tarif“, habe man ihm niemals Lichtbilder des Trios vorgelegt, was nach Aussagen des BfV aber gegenüber allen V-Leuten aus der Naziszene 1998 gemacht worden sei.

Die Aussagen von „Tarif“ lassen sich anhand der Akten nicht nachvollziehen. Dazu muss man jedoch wissen, dass die Akte „Tarif“ zusammen mit sechs weiteren V-Mann-Akten aus dem Thüringer Umfeld des NSU im November 2011, nach der Selbstenttarnung des Trios, im BfV geschreddert wurden. Nach Aussagen des verantwortlichen Mitarbeiters für die Aktenvernichtung ging es ihm auch darum, die offensichtliche Nähe des BfV zum Umfeld des Trios zu verschleiern. Große Teile der Akten von „Tarif“ seien zwar rekonstruiert worden, jedoch lässt sich darin nichts zum Anruf von Kapke finden. Somit lässt sich nicht nachweisen, ob dieser Anruf stattgefunden hat. Während BfV-Präsident Maaßen in seiner nachfolgenden Vernehmung beteuerte, mehr als 70 Prozent der Akte seien wieder hergestellt, blieb die Feststellung von Petra Pau bestehen, dass die Deckblattmeldungen von „Tarif“ aus dem Zeitraum 1998-1999 nicht in den Unterlagen des NSU-Untersuchungsausschusses sind.

Ansonsten warf die Aussage von „Tarif“ noch einmal ein bezeichnendes Licht auf die V-Mann-Praxis des Amtes. Als Gewalttäter verurteilt, wurde „Tarif“ vom BfV angeworben und vor allem mit Geld an den Dienst gebunden. An seinem angeblich mehrfach geäußerten Ausstiegswunsch hatte das BfV kein Interesse und hat ihn hierbei nicht unterstützt. Schließlich ließ das BfV „Tarif“ nach dessen Enttarnung keine Schutzmaßnahme angedeihen, anders als im Fall „Corelli“.

Was bleibt, sind zwei sich widersprechende und mit Akten nicht mehr überprüfbare Aussagen des ehemaligen V-Mannes und des BfV. Aber es war ein BfV-Mitarbeiter – der im Übrigen im Rahmen der „Operation Drilling“ 1998 an der Unterstützung der Suche nach dem Trio durch das BfV beteiligt war – der diese Akten mit Vorsatz vernichtet hat.

Enttäuschend verliefen die Vernehmungen des ehemaligen und des amtierenden Präsidenten des BfV, Heinz Fromm und Hans-Georg Maaßen. Während Fromm seinen Äußerungen im ersten NSU-Untersuchungsausschuss 2012 nichts Wesentliches hinzufügen wollte, ging es Maaßen vor allem darum, die positive Entwicklung des BfV seit dem NSU-Desaster darzustellen. Weder wollte Maaßen etwas zu Absprachen des BfV mit BKA oder Bundesanwaltschaft wissen, wenn in den Ermittlungen V-Leute ins Visier der Ermittler gerieten, noch habe es unter seiner Verantwortung eine systematische Aufarbeitung und Rekonstruktion der „Operation Rennsteig“ (V-Leute im Umfeld des Trio) oder der „Operation Drilling“ (Suche nach dem Trio mit Unterstützung des BfV) gegeben. Nachdem im BfV sehr schnell nach der Selbstenttarnung des NSU eine Version des Geschehens verbreitet wurde, in der das BfV von allem nichts gewusst und von den anderen LfV nicht informiert wurde, wollte man die eigene Rolle offenbar nicht aufarbeiten. Hätte man es getan, müsste man eingestehen, dass man über sehr viel mehr informiert war und zumindest den Weg des Trios in den Rechtsterrorismus sehr wohl sehen konnte. Die dafür zentralen Meldungen des V-Manns „Piatto“, dass die Drei auf der Suche nach Waffen waren, dass sie „weiter“ Überfälle begehen wollten, wurden nach Aussagen eines ehemaligen Mitarbeiters des Brandenburger LfV an das BfV weiter gegeben. Darüber will man im BfV aber nichts wissen und darüber wollten auch die beiden Zeugen Fromm und Maaßen nicht sprechen.

Die letzte Beweisaufnahmesitzung des Untersuchungsausschusses findet am 9.3.2017 ab 11 Uhr statt. Als Zeugen werden unter anderem die Ankläger der Bundesanwaltschaft gegen Zschäpe, u.a. Herbert Diemer und Jochen Weingarten, gehört.