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NSU-Anschlag in der Keupstraße: Rassistisches Motiv wurde nicht thematisiert

Nachricht,

Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am 22. November

Von Gerd Wiegel

Der Auftritt des ehemaligen nordrheinwestfälischen Innenministers Fritz Behrens im NSU-Untersuchungsausschuss war beschämend, anders kann man die von Erinnerungslücken und Desinteresse gekennzeichnete Vernehmung des Ministers a.D. nicht nennen. Behrens war in der Zeit des Nagelbombenanschlags in der Keupstraße, im Juni 2004, Innenminister in NRW und damit für die Ermittlungen verantwortlich. Von vielen im Ausschuss werden die falschen Ermittlungen zum Bombenanschlag in Köln inzwischen als ein Schlüsselelement des gesamten NSU-Desasters angesehen. Nirgends lag die rassistische Motivation der Tat so offen zu Tage wie in Köln und nirgends fanden sich so viele Hinweise auf einen rechten Hintergrund wie hier.

BKA-Vizepräsident Maurer hatte in seiner Vernehmung vor einigen Wochen gesagt: "Selbstverständlich habe ich sofort als erstes (…) gedacht: Das ist ein fremdenfeindlicher Akt - was denn sonst? -, wenn vor einem türkischen Friseurladen eine Nagelbombe hochgeht." Ganz anders die Ermittler in Köln. Nachdem der Anschlag direkt nach Bekanntwerden in den ersten Polizeimeldungen als "terroristische Gewaltkriminalität" gewertet wurde, bat das Lagezentrum das LKA bereits eineinhalb Stunden nach der Tat um die Streichung des Begriffs "terroristischer Anschlag" aus dem Schriftverkehr. Vorgegeben wurde damit eine Ermittlungsrichtung, die sich vor allem auf das Thema "organisierte Kriminalität" und das Umfeld der Opfer stürzte und alle Hinweise in Richtung Rassismus/extreme Rechte nicht ernst nahm.

Zwar konnte der Zeuge Behrens glaubhaft machen, dass er, anders als sein Kollege Otto Schily, einen terroristischen Anschlag auch nicht explizit ausgeschlossen hatte, jedoch wurde von ihm nichts unternommen, um die öffentliche Darstellung und – wichtiger – die Richtung der Ermittlungen tatsächlich in "alle Richtungen" zu lenken. Aus den Akten wird vielmehr deutlich, dass sich die Ermittlungen mit großer Vehemenz auf die Bewohner und das Umfeld der Keupstraße stürzten, die damit von Opfern zu potenziell Verdächtigen wurden.

Hinweise in Richtung Rechtsextremismus ignoriert

Wie stark von Seiten der Polizei mit einem vorgefassten Blick gearbeitet wurde, wird deutlich, wenn man sich die Hinweise vergegenwärtigt, die in eine ganz andere Richtung zeigten: Von beiden Tätern liegen Videoaufnahmen (einer Kamera des Senders Viva in der Keupstr.) vor, auf denen die Personen zwar nicht genau zu erkennen sind, türkische oder kurdische Täter aber eher ausgeschlossen werden können. Kurz nach dem Anschlag erstellt das LKA NRW eine Fallanalyse, in der die Motivation zur Tat sinnbildlich so ausgedrückt wird: "…Wir zünden die Bombe mitten in eurem Wohnzimmer - Ihr werdet euch dort nie mehr so wohl, so sicher wie früher fühlen und besorgt sein, dass das noch mal passiert." Zu den Tätern heißt es unter anderem: "Abneigung gegen Ausländer", "ausländerfeindliche Aktivitäten". Mit Intensität sind diese Hinweise jedoch nie verfolgt worden. Ganz im Gegenteil. Zur öffentlichen Präsentation der Fallanalyse heißt es in einem Schreiben des Polizeipräsidiums Köln, die in der Analyse genannte "fremdenfeindliche Motivation" solle im Rahmen des Pressetermins "nicht thematisiert" werden. Minister a.D. Behrens konnte keine Auskunft dazu geben, warum genau das der Öffentlichkeit verschwiegen werden sollte. Er selber will es nicht veranlasst haben, das von ihm geleitete Innenministerium wusste aber Bescheid.

Weitere Hinweise zum möglichen rechtsextremen Hintergrund des Anschlages lagen vor. So gibt es eine Einschätzung vom Bundesamt für Verfassungsschutz zur Keupstraße, die explizit auf das Vorbild Combat 18 (eine rechtsterroristische Gruppierung aus Großbritannien) hinweist und Ziel und Machart des Anschlags in Köln als typisch für diese Form des Rechtsterrorismus darstellt. In einer umfassenden Analyse des BfV zum Thema Rechtsterrorismus aus dem Jahr 2004 wird sogar das Jenaer Trio erwähnt, die ja wegen Sprengstoffdelikten gesucht wurde.

Auf die Ermittlungen in Köln hatten alle diese Hinweise wenig bis keinen Einfluss. Dass sie der zuständige Minister nicht oder nur vom Hörensagen kannte, warf ein bezeichnendes Licht darauf, wie ernst die Aussage, man habe immer in alle Richtungen ermittelt, in Wahrheit war. Am Beispiel der Keupstraße wird deutlich, wie die Ermittlungen der Behörden von Vorurteilen gelenkt wurden und das ganz Offensichtliche nicht in den Blick geriet. Hier vor allem müssen Konsequenzen aus den NSU-Verbrechen gezogen werden.

War Wohlleben V-Mann?

Als zweiter Zeuge des Tages wurde der Bundesanwalt am Bundesgerichtshof Hans-Jürgen Förster vernommen. Förster war es, der im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2002 eine Liste mit Klarnamen von V-Leuten gesehen haben will, auf der sich auch der Name Wohlleben befand und dies jetzt dem Generalbundesanwalt mitteilte. Der Verdacht, Ralf Wohlleben könnte V-Person eines Dienstes gewesen sein, hat für erhebliche Aufregung und Geschäftigkeit im Innenministerium gesorgt. Sämtliche Akten das damaligen NDD-Verbotsverfahrens wurden von Förster noch einmal gesichtet, alle Ämter für Verfassungsschutz angefragt und auch möglich weitere Zeugen, die Försters Erinnerung bestätigen könnten, befragt. Weitere Belege für die Richtigkeit der Erinnerung des Zeugen konnten nicht gefunden werden, wiewohl dieser in seiner Vernehmung darauf beharrte.

Interessant war der Zeuge Förster auch aus anderen Gründen. So war er zwischen 1996 und 1998 Leiter der Verfassungsschutzabteilung in Brandenburg. In dieser Zeit und schon vorher wurde in Brandenburg ein V-Mann mit dem Decknamen Piato geführt, dessen Aussagen bei der Suche nach den abgetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe 1998 eine wichtige Rolle spielten. Piato war in die Waffenbeschaffung für das Trio verwickelt und bekam Informationen aus dem Netzwerk der drei. Aufgrund von Quellenschutz wurden diese Infos jedoch nicht an das LKA Thüringen (sondern nur an den Verfassungsschutz Thüringen) weitergegeben, womit eine wichtige Spur den Ermittlern nicht bekannt wurde.

Piato selbst war 1994 zu einer längeren Haftstrafe wegen Beteiligung an einem versuchten Totschlag verurteilt worden und war auch sonst als brutaler und gewalttätiger Nazi bekannt. Dennoch wurde er 1994 vom LfV-Brandenburg als V-Mann angeworben. Der Zeuge Förster machte deutlich, dass die Anwerbung eines solchen V-Manns, den er im Amt 'geerbt' habe, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen sei, die politische Verantwortungsebene davon zur damaligen Zeit gar nichts gewusst habe.

Einmal mehr wurde somit die Unkontrollierbarkeit des V-Leute-Systems deutlich, dass es schleunigst abzuschaffen gilt.

Die nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusse finden am 29. Und 30. November statt.

linksfraktion.de, 23. November 2012