Zum Hauptinhalt springen

»Niemand will einen Schauprozess«

Im Wortlaut von Petra Pau,

Petra Pau, für DIE LINKE Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, mit einem Ausblick auf dessen Anhörungen am 14. und 15. März


 

 

Der Untersuchungsausschuss tagt auch diese Woche wieder zweimal? 



Petra Pau: Ja, das wird auch in den nächsten Sitzungswochen so sein.

Und das ist seriös zu schaffen?

Schwer. Die Sitzungen dauern jeweils 10 bis 14 Stunden. Das noch größere Problem aber ist: Sie wollen vorbereitet sein. Und das bedeutet meterweise Akten lesen, bei zwei Sitzungen halt doppelt so viele.


Was liegt diese Woche an? 



Am Donnerstag hören wir drei leitende Kriminalbeamte aus Sachsen. Sie waren aktiv, nachdem das Nazitrio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe 1998 untergetaucht war.



Nach Sachsen…

…wo sie auch mehrfach Banken überfielen, zum Beispiel in Chemnitz. 



Drei untergetauchte Nazis und eine Raubserie hatte niemand zusammengebracht, oder?

So wie es aussieht, nicht. Obwohl der Verfassungsschutz sich einen Reim darauf hätte machen können. Hinzu kommt eine weitere Merkwürdigkeit. 



Welche? 



Wir sprechen immer von abgetaucht. Aber die drei haben ein weitgehend normales Leben geführt, inklusive Urlaub an der Ostsee. Und trotzdem will sie niemand bemerkt haben. 


Was könnten die bevorstehenden Zeugenbefragungen ergeben? 



Ich befürchte den bekannten Befund: Die rechtsextreme Gefahr wurde lange, gründlich und tödlich unterschätzt - von Amts und von Staats wegen.



Am Freitag wird Ex-Bundesinnenminister Otto Schily, SPD, als Zeuge erwartet. Die Medien werden strömen.



Wahrscheinlich, so, wie vor Monaten bei Ex-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, auch. 



Bei Schäuble war der Untersuchungsausschuss extra in einen größeren Saal umgezogen, damit die interessierte Öffentlichkeit teilhaben konnte.

Ich verstehe die Anspielung auf das Münchener Gericht, das demnächst gegen Zschäpe und weitere Unterstützer der NSU-Nazis verhandeln wird. Und ich verstehe die Abschottung des Gerichts gegen türkische Beobachter nicht. Das macht alles nur noch schlimmer. 



Man wolle keinen Schauprozess, heißt es.



Niemand will einen Schauprozess. Ich will auch keine Massenshow. Aber neun Opfer wurden hingerichtet, weil sie türkische Wurzeln hatten oder weil die NSU-Bande das annahm. Und dann wurde ermittelt, gegen Türkinnen und Türken, gegen nahe und ferne Angehörige. Man stelle sich das umgekehrt vor. Türkische Faschisten hätten in der Türkei systematisch Deutsche ermordet. Und wenn es zum Prozess in Ankara käme, würde der deutschen Botschaft erklärt: Stellt euch hinten an, reservierte Plätze im Gerichtssaal gibt es nicht. BILD wäre sofort auf Seite Eins vornweg und Angela Merkel ließe erklären, die Türkei sei nicht EU-reif. 



Was ist Otto Schily vorzuhalten? 



In seiner Amtszeit gab es Konflikte zwischen dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Das BKA fühlte sich behindert. Differenzen zum Umgang mit der Naziszene bestanden offenbar auch zwischen dem Bundesinnenministerium, dem Generalbundesanwalt und dem Bundeskriminalamt.



Und dann war ja auch noch Schilys Agieren nach dem NSU-Bombenanschlag in Köln 2004. 


Es gab damals über 20 Verletzte, zum Teil schwer Verletze, durchweg mit türkischen oder kurdischen Wurzeln. Ein rassistischer Anschlag lag nahe. Keine 24 Stunden später aber schloss Otto Schily forsch einen rechtsextremen Hintergrund aus. Vielleicht arrogant, vielleicht schlecht beraten, vielleicht beides, auf jeden Fall folgenschwer. 



Das war ein Fehler, für den er sich 2012 entschuldigt hat.

Immerhin. Bisher hatten wir nur Minister als Zeugen, die immer noch behaupten, alles richtig gemacht zu haben.

Also plötzlich Otto der Gute?



Nein, auch unter seiner Leitung und Verantwortung wurde der tödliche Rechtsextremismus unterschätzt und verharmlost. Das war und ist politisch fatal. Noch mal zur Erinnerung: Bevor die NSU-Nazi-Bande im Jahr 2000 in Nürnberg ihr erstes Opfer hinrichtete, wurden im vereinten Deutschland bereits 105 Menschen aus rassistischen, rechtsextremen Motiven umgebracht.

Nun noch der Werbeblock: Am Mittwoch, dem 13. März, ab 16 Uhr, wollen Sie sich im Berliner Pfefferberg mit dem Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, über Sinn und Unsinn des Verfassungsschutzes streiten. 



Es ist eine öffentliche Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE, konkret des Arbeitskreises BürgerInnenrechte und Demokratie. 



Ich vermute, Sie werden sich nicht einig?



Wir werden Argumente austauschen. Alle Besucherinnen und Besucher können sie dann für sich abwägen.



Es geht um das NSU-Desaster und um die Rolle der Ämter für Verfassungsschutz? 



Nicht nur, auch um Grundsätzliches, letztlich ums Grundgesetz. 


Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 11. März 2013