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Neues Asyl- und Aufenthaltsrecht kriminalisiert Flüchtlinge

Interview der Woche von Ulla Jelpke,

Foto: flickr.de/rosalux

 

In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause verabschiedete der Bundestag eine Gesetzesverschärfung im Asyl- und Aufenthaltsrecht. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, erläutert im Interview der Woche die aktuellen Entwicklungen der bundesdeutschen und europäischen Flüchtlingspolitik und benennt Alternativen zu den derzeitigen Fehlentwicklungen.

Vergangene Woche hat eine Mehrheit im Deutschen Bundestag eine Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts beschlossen. Worum ging es da genau?

Ulla Jelpke: Das Gesetz enthält zwar einige Verbesserungen, für die außerparlamentarische Akteure und DIE LINKE seit Jahren gekämpft haben, wie etwa eine gesetzliche Bleiberechtsregelung ohne Ausschlussstichtag. Es dominieren aber insgesamt die Verschärfungen: So soll künftig häufiger Abschiebungshaft verhängt werden können, gerade gegenüber neu eingereisten Flüchtlingen. Zudem wird das Mittel des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit dem Ziel der Abschreckung massiv ausgeweitet. Wer davon betroffen ist, kann über Jahre hinweg in kein Land der EU mehr einreisen, zumindest nicht auf legalem Weg.

Ihre größte Kritik richtet sich gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen. Worin besteht die und welche Folgen hat das?

Ulla Jelpke: Das neue Gesetz kriminalisiert Verhaltensweisen, die für Menschen auf der Flucht typisch und oft unvermeidbar sind. Wer auf der Flucht einem Schleuser eine erhebliche Geldsumme gezahlt hat, kann dafür in Abschiebungshaft genommen werden. Sogenannte Dublin-Flüchtlinge können künftig bereits dafür in Haft genommen werden, wenn sie aus dem EU-Land ihrer Ankunft weiterreisen, ohne den Abschluss des dortigen Asylverfahrens abzuwarten. Flüchtlinge aus einem sicheren Herkunftsland, deren Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird, sollen mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden. Damit wird ein völlig legitimes Verhalten, das Menschenrecht Asyl zu suchen, sanktioniert.

Als in den 1990er Jahren Flüchtlingsheime brannten und Leute das beklatschten, war die Antwort der Bundesregierung, das Asylrecht zu verschärfen. Jetzt brennen wieder Unterkünfte von Geflüchteten, »besorgte Bürger« gehen gegen Flüchtlinge auf die Straße und die Regierung verschärft das Bleiberecht. Woher kommen diese scheinbaren Zwangsläufigkeiten?

Ulla Jelpke: Das liegt natürlich auch zum großen Teil daran, wie sich die herrschende Politik gegenüber den Flüchtlingen äußert. Wenn Mitglieder der Bundesregierung immer wieder von drohendem Asylmissbrauch sprechen und dabei ganze Flüchtlingsgruppen – wie die Flüchtlinge aus dem Westbalkan – unter den Generalverdacht stellen, Deutschland nur „auf der Tasche liegen“ zu wollen, dann fällt diese Hetze bei einem Teil der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Es wird permanent suggeriert, dass Deutschland keine Kapazitäten für mehr Flüchtlinge habe. Aber das stimmt nicht und mit einer größeren Aufklärung könnte man vielen Ressentiments der Bevölkerung wirksam entgegentreten.

Es gibt aber ja nicht nur die „besorgten Bürger“. Vielmehr haben sich vielerorts Menschen zusammengeschlossen, um für die Rechte von Flüchtlingen einzutreten, sie zu schützen und zu unterstützen und eine Willkommenskultur in Deutschland zu schaffen. Ihre Fraktion hat mit dem gleichen Ziel einen Antrag in den Bundestag eingebracht. Beginn einer Bewegung, die Veränderung schaffen kann?

Ulla Jelpke: Das hoffen wir! Definitiv kann eine Veränderung nur geschehen, wenn sie von der Zivilgesellschaft mitgetragen wird. Es ist aber so, dass es wirklich ein großes Netz an Menschen und Initiativen in Deutschland gibt, welches für die Rechte von Flüchtlingen eintritt und sich den „besorgten Bürgern“ und auch den „besorgten Politikern“ entgegenstellt. Das beginnt beim Nachhilfeunterricht für Flüchtlingskinder, Angebote zur Beratung und Begleitung, nachbarschaftliche Kontakte, gemeinsame Feste und Freizeitaktivitäten und geht bis zum Schutz vor rassistischen Demonstrationen. Wir fordern, dass solche Initiativen politisch und finanziell gefördert werden müssen.

Wann immer Medien von gekenterten Flüchtlingsbooten im Mittelmeer berichten, von Leichen, die an Badestrände treiben, Bilder von zusammengepferchten Menschen in lecken Kähnen im die Welt gehen, ist die Betroffenheit groß. Genauso wie die Empörung über die Zustände in griechischen, bulgarischen, italienischen Flüchtlingslagern. Gleichwohl haben sich die EU-Staaten wieder nicht auf eine gerechte Verteilungsquote für Flüchtlinge einigen können. Warum ist das so schwer?

Ulla Jelpke: Betroffenheit – ob ehrlich oder vorgeblich – ist zunächst einmal leicht gezeigt. Doch es kommt darauf an, was daraus folgt. Natürlich gehen solche Bilder unter die Haut, nur gehen sie vielen genauso auch wieder schnell aus dem Kopf, sobald die Medien nicht mehr darüber berichten. Die EU muss ihre Asylpolitik radikal ändern, weg von der jahrzehntelangen Abschottung, hin zu legalen und sicheren Einreisewegen für Flüchtlinge. Dazu besteht – trotz der vielen toten Flüchtlinge im Mittelmeer – aber noch keine Bereitschaft. Es ist ein Armutszeugnis, dass die EU-Mitgliedstaaten immer noch ihre Eigeninteressen vorne an stellen, statt eine menschenrechtskonforme, solidarische europäische Lösung zu entwickeln.

Letzthin unternahm Ungarn einen Versuch, Flüchtlinge, die über das Land in die EU eingereist sind und nun aus anderen EU-Ländern wieder nach Ungarn zurück verwiesen werden, nicht einreisen zu lassen. Ist das Dublin-III-Abkommen am Ende?

Ulla Jelpke: Das ist es bereits seit langem. Das System ist ungerecht, menschenrechtswidrig und ineffektiv. EU-Staaten mit Außengrenzen sind massiv benachteiligt, eine wirkliche Integration der Schutzsuchenden ist nicht möglich. Sogar die Kanzlerin hat festgestellt, dass Dublin nicht funktioniert. Doch was kommt stattdessen? Starre Verteilungsquoten sind jedenfalls auch keine Lösung. DIE LINKE fordert, dass Schutzsuchende sich ihr Zufluchtsland selbst aussuchen können und Ungleichverteilungen innerhalb der EU vor allem auf finanzieller Ebene ausgeglichen werden. Wir brauchen ein System, das auf die familiären Bindungen, Bedürfnisse und Fähigkeiten (wie etwa Sprachkenntnisse) der Schutzsuchenden eingeht.

Die EU will Schleusern den Kampf ansagen – im wörtlichen Sinn. Mit Militäreinsätzen will sie Schiffe von Schleusern aufbringen und ihnen damit die „Geschäftsgrundlage“ entziehen – und nimmt Tote und Verletzte seitens der Flüchtlinge dabei in Kauf. Wohin entwickelt sich die EU-Flüchtlingspolitik und welche Möglichkeiten gibt es, darauf Einfluss zu nehmen?

Ulla Jelpke: Im Moment sieht es danach aus, als werde das Prinzip der Abschottung und Abschreckung beibehalten und durch den Schritt hin zur Militarisierung sogar weiter ausgebaut. Es muss sich jedoch etwas ändern, Griechenland und Italien können nicht weiterhin alle Flüchtlinge aufnehmen, die Europa erreichen. Die Frage ist nun, ob es eine Lösung auf Sparflamme geben wird oder endlich eine echte Wende in der Flüchtlingspolitik. Wir streiten auf der EU- und Bundesebene seit langem für einen solchen Kurswechsel. Ich habe den Eindruck, dass die Bevölkerung und zivilgesellschaftlichen Akteure auf dem Gebiet der Asylpolitik oft viel weiter sind als die Regierungspolitik, die angebliche Ängste in der Bevölkerung vorgibt und damit gleichzeitig nährt.   

 

linksfraktion.de, 6. Juli 2015