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"Mythos der Geheimdienste muss geknackt werden"

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

Linksfraktion will Aktenfreigabe über den BND notfalls bei Gericht durchsetzen

Der Linksfraktionsabgeordnete Wolfgang Neskovic schließt Aktenfreigaben für den BND-Untersuchungsausschuss per Gerichtsbeschluss nicht aus. Wenn sich die Bundesregierung uneinsichtig zeige, so werde das Bundesverfassungsgericht Grenzen aufzeigen, sagte Neskovic, der in dem heute erstmals tagenden Ausschuss mitarbeitet. "Der Mythos der Geheimdienste muss geknackt werden", sagte er.

Elke Durak: 50 Jahre BND werden heute in Berlin mit einem Festakt begangen, mit der Kanzlerin und allem anderen Drum und Dran. Ein Wehrmutstropfen in den Gläsern könnte die heftige Debatte um den BND-Umzug nach Berlin sein. Die wird ja auch sehr emotional geführt. Ein weiterer könnte sein die erste Arbeitssitzung, der Beginn der eigentlichen Arbeit des Untersuchungsausschusses zu BND-Aktivitäten im Irak-Krieg und im Antiterrorkampf. Das ganze hat sich wochenlang, also ziemlich lange hingezogen, bis dieser Ausschuss in die Gänge kam, wirklich zu Stande kam, einen Auftrag formulieren konnte und nun beginnen kann.

Richter Wolfgang Neskovic ist dabei, ist drin, für die Linken im Bundestag in diesem Ausschuss. Er ist nun bei uns hier am Telefon. Herr Neskovic, weshalb zieht sich so etwas so lange hin? Und Sie spekulieren ja sogar damit, dass sich die Arbeit bis ins nächste Jahr hinziehen kann.

Wolfgang Neskovic: Weil es sich hier um ein sehr komplexes Thema handelt. Der Untersuchungsauftrag ist sehr weit gefasst. Er fängt an bei den BND-Agenten im Irak und hört auf bei der zentral wichtigen Frage, wie halten wir es mit rechtstaatlichen Anforderungen in der Bekämpfung des Terrorismus? Insbesondere eine Kernfrage ist dort: Hat es so genanntes Outsourcing von Folter gegeben? Folter ist nach unserer Rechtsordnung unter allen Umständen untersagt. Hier gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Amerikaner gefoltert haben. Und der Vorwurf besteht darin: Haben unsere Behörden, hat die Regierung in verantwortlicher Weise praktisch dafür Sorge getragen, dass bestimmte Verdächtige den Amerikanern zugeliefert wurden, damit dort Aussagen unter rechtsstaatswidrigen Umständen erpresst werden konnten?

Durak: Herr Neskovic, die einzige Chance der drei Oppositionsparteien in diesem Ausschuss ist ja, geschlossen aufzutreten gegen die große Koalition. So muss man es ja sagen. Sind sie geschlossen in allen Fragen, beispielsweise der Benennung von Zeugen?

Neskovic: Das glaube ich schon. Wir haben einen Vorteil. Erstens wir wissen in der Tat, dass wir nur handlungsfähig sind, wenn wir geschlossen vorgehen. Das war im Vorfeld etwas schwierig. Die Linkspartei war die einzige Partei, die von Anfang an konsequent auf diesen Untersuchungsausschuss gedrungen hat. Zwischenzeitlich haben die anderen beiden aber sich auch dazu entschlossen und Herr Stadler und auch Herr Ströbele - wir drei sitzen ja auch im Parlamentarischen Kontrollgremium - haben persönlich ein gutes Verhältnis zueinander. Ich glaube, dass wir auch sachlich entsprechende Arbeit leisten können. Also ich bin da recht zuversichtlich.

Durak: Als Laie kann man sich schwer vorstellen, dass ein Ausschuss zügig, konzentriert arbeiten kann, wenn er in einer Flut von Anträgen ertrinkt beispielsweise. Nun ist zu hören, dass allein Herr Ströbele 50 Anträge stellen will. Wie viele wollen Sie denn stellen?

Neskovic: Ich kann das noch ein wenig toppen. Bisher liegen die Anträge, die wir in Vorbereitung haben, bei zirka 60. Da geht es nur um Beiziehung von Akten und Aktenteilen. Man muss eben feststellen: Es ist ein sehr, sehr komplexer Vorgang. Entweder bemüht man sich um eine sachliche professionelle Aufklärung, oder man unterlässt es. Wir haben uns diese in der Tat schwierige und auch umfängliche Arbeit vorgenommen. Ich bin 27 Jahre als Richter tätig gewesen und bin es gewohnt, mit Akten umzugehen. Das gilt für Herrn Stadler und Herrn Ströbele in gleichem Umfang, alles erfahrene Juristen. Ich glaube, dass wir auch damit zurecht kommen werden.

Durak: Die Bundesregierung will verhindern, dass Zeugen geladen werden und auch Akten eingesehen werden, die Belastendes aussagen könnten: Beamte, BND-Mitarbeiter oder eben auch ganz bestimmte Akten. Sie wollen an alle Akten heran und müssen dann bis vor den Bundesgerichtshof gehen?

Neskovic: So ist es. Wir werden sehen, wie kooperativ sich die Bundesregierung verhält. Ich kann nur sagen: Der Mythos der Geheimdienste muss geknackt werden. Ich räume ein, dass es bestimmte Bereiche gibt, die zwingend geheim gehalten sein müssen, aber die generelle Zuweisung, dass man einfach etwas für geheim Kraft Willenserklärung erklärt, und dann muss man das hinnehmen, das kann nicht hingenommen werden. Ich bin zuversichtlich: Wenn die Bundesregierung mauert, kann sie sich unter Umständen um die Demokratie - ich sage das etwas ironisch - verdient machen, weil ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht dort entsprechende Grenzen setzen wird. Ich darf daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht beim Luftsicherheitsgesetz auch den Gesetzgeber ganz klar zurechtgewiesen hat und rechtstaatliche Grundsätze eingefordert hat. Ich gehe davon aus, dass dies mit Hilfe der Gerichte auch der Fall sein wird, wenn die Bundesregierung sich hier uneinsichtig zeigt.

Durak: Wenn zu viel an Geheimdienstaktivitäten bekannt wird, könnte die Bundesregierung sich international unglaubwürdig oder angreifbar als Partner machen. Wollen Sie das?

Neskovic: Das will ich natürlich nicht. Nur die Bundesregierung kann so etwas behaupten, ohne dass sie die Plausibilität für diese Behauptung vorträgt, und genau darum geht es. Das generell zu behaupten, wird zwar gemacht, und viele lassen sich davon beeindrucken. Wir lassen uns davon nicht beeindrucken. Wir wollen genau wissen, welche Informationen dann mit welchen Konsequenzen versehen werden. Es kann nicht sein in einer Demokratie, dass Geheimdienste mit solchen pauschalen Begründungen sich kontrollfrei zeichnen. Das ist demokratiefremd und wir werden hier eine konsequente Plausibilität einfordern.

Durak:! Was soll dabei alles öffentlich gemacht werden?

Neskovic: Alles was für die Öffentlichkeit - und darum geht es auch in dem Untersuchungsausschuss - tragfähig ist. Tragfähig heißt, wir müssen insbesondere Quellenschutz gewährleisten. Das ist völlig klar. Es können nicht Personen in Gefahr geraten dadurch, dass ein öffentliches Interesse an der Diskussion und auch an Informationen besteht. Aber ich halte es für möglich, die Öffentlichkeit qualitativ so hinreichend zu informieren, dass einerseits Quellenschutz für Personen gewährleistet ist und andererseits das Interesse der Öffentlichkeit an diesen Vorgängen ausreichend gewährleistet ist.

Durak: Wer bestimmt, was ausreichend ist?

Neskovic: Ja, das ist ein Wertungsprozess und da hängt es zunächst erst mal von uns ab, wie wir damit umgehen. Das hängt auch von der Bundesregierung ab. Wenn es dort zu einem Dissens kommt, hängt es letztlich von den Gerichten ab. Das ist aber nichts Unübliches, dass man eben wertet.

Durak: Sind Sie für eine TV-Übertragung, eine Fernsehübertragung?

Neskovic: Das Untersuchungsausschussgesetz lässt das zu in bestimmten Fällen, insbesondere mit Einwilligung der Beteiligten. Ich würde meinen, wenn es um Politiker geht, die es gewohnt sind, mit dem Fernsehen umzugehen und wo ich auch persönliche Gefährdungen nicht zu befürchten brauche, wird man so etwas im Interesse der Transparenz auch sicherstellen müssen.

Durak: Wolfgang Neskovic, für die Linke im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Besten Dank Herr Neskovic für das Gespräch. Auf Wiederhören.

Neskovic: Auf Wiederhören.

Moderation: Elke Durak

Deutschlandfunk, 11. Mai 2006