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„Menschen sind häufig billiger als Computer“

Periodika,

Smartphones und Internet haben die Arbeitswelt radikal verändert. Ein Gespräch mit dem Fachjournalisten Jonas Rest über Taxiunternehmen ohne Taxis, „digitale Minutenlöhner“ und Sekundenjobs.

Mikrochips, Computer, weltweite Kommunikationsnetze – manche sprechen von einer neuen industriellen Revolution. Wie haben diese Technologien die Arbeitswelt verändert?

Jonas Rest: Ein zentraler Effekt ist, dass es diese Technologien extrem einfach machen, Arbeit auszulagern. Arbeit, die vorher von Angestellten mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gemacht wurde, wird nun über Internet-Plattformen abgewickelt. Es wäre beispielsweise früher undenkbar gewesen, dass ein deutscher Energieversorger die Zählerstände seiner deutschen Kunden für Centbeträge in Indien eingeben lässt. Man kann dieses Phänomen die „Uberisierung“ der Arbeit nennen.

Uber ist ein US-amerikanischer Konzern, der online Taxifahrer und Fahrgäste zusammenbringt und seit einem Jahr auch auf den deutschen Markt drängt.

Uber hat einen Taxidienst aufgebaut, der ohne Smartphones und Internet nicht möglich wäre. Die Taxifahrer sind keine Angestellten von Uber, sondern formal Selbstständige. Tatsächlich sind sie aber total abhängig von dem Unternehmen. Wenn Uber von einem Tag auf den anderen den Preis pro Kilometer ändert, haben sie sofort starke Einschnitte beim Lohn.

Bei Uber müssen die meisten Taxifahrer ihre Privatwagen benutzen.

Das wird häufig nicht beachtet, wenn von dem Stundenlohn von Uber-Fahrern und ähnlichen Selbstständigen gesprochen wird. Zwar verdient eine Fahrerin möglicherweise einen Stundenlohn in der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in der Stunde. Sie muss aber ihren Wagen versichern, pflegen, reparieren, Benzin kaufen; sie muss sich selbst kranken- und rentenversichern. Um das mit dem Mindestlohn zu vergleichen, müsste er leicht etwa das Doppelte verdienen. Ein enormes Problem des Geschäftsmodells von Uber und ähnlichen Plattformen ist: Früher war Taxifahrer ein Beruf, heute kann jeder mit seinem Pkw Fahrgäste für ein paar Stunden befördern. Das Ergebnis ist eine Entwertung von Arbeit.

Für die „Berliner Zeitung“ haben Sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt in Deutschland recherchiert. Welches Phänomen hat Sie am meisten überrascht?

Mich hat beeindruckt, wie stark Menschen als Ersatz für Computerprogramme eingesetzt werden, ohne dass wir das merken. Bei Unternehmen wie Amazon oder Zalando fallen viele Aufgaben an, die nicht oder nur zu sehr hohen Kosten automatisiert erfüllt werden können: Kataloge sortieren, Ware klassifizieren oder Produktbeschreibungen texten. All diese Aufgaben werden zerlegt in Abermillionen Minijobs und über Plattformen erledigt. Technologiekonzerne bevorzugen gewöhnlich Algorithmen, aber vielfach ist es billiger, Menschen anstelle von Computern einzusetzen. Auch in Deutschland ist dieses sogenannte Clickworking über Internet-Plattformen mittlerweile weit verbreitet.

Wie muss man sich die Arbeit eines Klickarbeiters vorstellen?

Die Menschen, die für solche Plattformen arbeiten, haben keine Arbeitsverträge. Sie sind „digitale Minutenlöhner“, die ausschließlich pro geleistete Aufgabe bezahlt werden. Wie viel sie verdienen, hängt davon ab, wie viele Aufträge sie machen. Als Selbstständige müssen sie sich selbst versichern. Bei Krankheit oder Urlaub bekommen sie kein Geld.

In Deutschland geht die IG Metall davon aus, dass etwa eine Million Menschen solche Tätigkeiten verrichten.

International gibt es einzelne Plattformen, die Zugriff auf mehr als fünf Millionen Klickarbeiterinnen und Klickarbeiter versprechen. Bei Amazon sind es allein mehr als eine halbe Million Klickarbeiter.

Sie haben mit vielen dieser Klickarbeiter gesprochen. Was denken diese über ihre Tätigkeit?

Viele sind froh, wenn sie abends oder zwischendurch mit zwei, drei Stunden Arbeit zehn Euro zusätzlich verdienen. Zum Beispiel eine alleinerziehende Frau, die, während das Kind schläft, arbeiten kann. Auch Schüler können sich so ihr Taschengeld aufbessern. Es gibt aber auch Leute, die das hauptberuflich machen. Viele von ihnen gehen ihrer Arbeit nach wie einem normalen Bürojob: Sie fangen um 9 Uhr an und klicken bis 17 Uhr Aufträge. Ich habe mit einer Klickarbeiterin gesprochen, die über 800.000 solcher Sekunden-Jobs gemacht hat.

Kann man mit solch einem Job dauerhaft über die Runden kommen?

Ich habe niemanden getroffen, der oder die einen solchen Job dauerhaft machen möchte. Und ich glaube nicht, dass viele Klickarbeiter auf 8,50 Euro pro Stunde kommen, wie viele Plattformen in Deutschland behaupten. Das mag zwar vereinzelt passieren. Bei den meisten liegt der Stundenlohn jedoch deutlich darunter. Die Auftragslage ist manchmal so dünn, dass einige in dieser Zeit nicht mehr als einen Euro pro Stunde verdienen.

Wie organisiert sich diese neue „digitale Arbeiterklasse“?

In Deutschland gibt es bisher keine Interessenvertretung. Die Gewerkschaften ver.di und insbesondere die IG Metall haben zwar das Thema erkannt und aufgegriffen. Doch bisher gibt es kaum Austausch zwischen den Klickarbeiterinnen unabhängig von den Betreiberplattformen. In den USA ist das anders. Dort organisieren sich die Selbstständigen auf verschiedene Weise. Bei Uber haben die Fahrer, die vom Konzern als Kleinunternehmer betrachtet werden, mittlerweile eine Art Gewerkschaft gegründet und einzelne Forderungen durchgesetzt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Deutschland eine ähnliche Entwicklung sehen werden.

Jonas Rest ist ein vielfach ausgezeichneter Journalist. Er arbeitet als Redakteur für die „Berliner Zeitung“ und hat jüngst die Serie „Ausgelagert ins Netz – Wie die neuen Web-Jobs unsere Arbeit verändern“ veröffentlicht.

Das Interview führte Ruben Lehnert.