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Menschen erwarten zu Recht Antworten von links

Interview der Woche von Dagmar Enkelmann,

Dagmar Enkelmann, 1. Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, zu den bevorstehenden parlamentarischen Verhandlungen zur Lösung der Eurokrise und den Ergebnissen der Rostocker Fraktionsklausur 

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zimmern weiter an einer Lösung, um die anhaltende Eurokrise in den Griff zu bekommen. Bundestagspräsident Lammert warnt jetzt davor, dabei die Parlamente nicht zu entmachten. Teilen Sie seine Bedenken?

Dagmar Enkelmann: Ja, und deshalb hat DIE LINKE dafür gesorgt, dass die Gesetze für den Euro-Stabilitätsmechanismus nicht im Hau-Ruck-Verfahren durch den Bundestag gedrückt werden. Aus demokratischer Sicht wäre es allerdings hilfreich gewesen, hätte der Bundestagspräsident seine Zweifel schon früher so deutlich geäußert. So wäre das 2008 notwendig gewesen, als die Banken innerhalb einer Woche mit bis zu 480 Milliarden Euro gerettet wurden. Oder jüngst, als vor der Sommerpause das so genannte Energiepaket mit mehr als 700 Seiten Gesetzestexten von der Bundestags-Mehrheit mehr oder weniger abgenickt wurde.

Haben Sie eine Vermutung, warum CDU-Mann Lammert ausgerechnet jetzt Alarm schlägt? Bundesregierungen peitschen ja nun schon seit Jahren immer wieder Gesetze durchs Parlament.

Die herrschende Politik steht mit dem Rücken zur Wand, in weiten Kreisen von Regierung und Koalition dominiert Ratlosigkeit. Bei den Euro-Gesetzen ist die Kanzlerinnenmehrheit gefährdet. Da hält man das Budgetrecht des Parlaments hoch und will die Abgeordneten mit Zugeständnissen ins Boot holen. Hinzu kommt, dass einigen wohl inzwischen dämmert, dass die Finanzmärkte die Politik immer stärker diktieren.

Der Präsident beriet in der vergangenen Woche mit den Parlamentarischen Geschäftsführern der Bundestagsfraktionen über das parlamentarische Verfahren im September zur Eurokrise. Worauf hat sich die Runde verständigt?

Verabredet wurde ein Verfahren, dass aus heutiger Sicht zunächst eine ordnungsgemäße Beratung ohne Fristverkürzungen sichert. Ob die Bundesregierung aber ihre Zusagen einhält und die Abgeordneten rechtzeitig und umfassend informiert, wird sich zeigen. Momentan ergibt sich nahezu jeden Tag eine neue Lage - wie vergangene Woche mit der vom Finanzminister geforderten "Generalermächtigung". Diese ist natürlich nicht zu akzeptieren.

Glauben Sie, dass ein geordnetes parlamentarisches Verfahren gewährleistet wird?

Ich hoffe es und setzte mich mit aller Kraft dafür ein. Generell ist notwendig, dass sich der Bundestag grundlegend über seine Beteiligung an Zukunftsentscheidungen in diesem Land verständigt. Wenn beispielsweise Anhörungen von Sachverständigen nur noch pro forma stattfinden, wenn Zeit- und Termindruck Nachdenken und Abwägen unmöglich machen und letztlich nur die Koalitionsräson zählt, beschädigt das die Demokratie und das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler.

Und für den Heiligen Vater bleibt auch noch Zeit?

Ist ja ganz nett, dass der Papst kommt. Die Krise der EU mit ihren weitreichenden Folgen auch für die Bürgerinnen und Bürger aber sollte politischer Schwerpunkt bleiben. 

Die internationale Finanzkrise war auch zentrales Thema der Fraktionsklausur am Wochenende in Rostock. Mit welchen Kernforderungen geht DIE LINKE in die parlamentarischen Beratungen?

Angesichts der Schärfe der Krise gilt es schnell zu handeln: Kurzfristig muss die finanzielle Handlungsfähigkeit der Euro- und EU-Staaten wieder hergestellt werden. Dazu gehört die Einführung von Eurobonds, die eine Atempause verschaffen können. Wir brauchen eine Europäische Bank für öffentliche Anleihen, damit sich die Staaten kostengünstig und unabhängig von den Finanzmärkten Mittel beschaffen können. Unverzüglich sind Verursacher und Profiteure der Krise zur Kasse zu bitten, vor allem mit einer Finanztransaktionsteuer, einer wirksamen Bankenabgabe sowie einer höheren Besteuerung großer Vermögen. Wir brauchen weltweit Kontrolle und Regulierung der Finanzmärkte, künftig ein öffentlich-rechtliches Bankensystem. Und wir werden das Thema sehr eng mit der Frage der sozialen Auswirkungen, zum Beispiel auf die Reallohnentwicklung, verbinden.

Was werden weitere Schwerpunkte für die Fraktion bis zum Ende des Jahres sein?

Das Thema "Gute Arbeit - gute Löhne - gute Rente" bleibt ein Schwerpunkt. Wir haben auf der Klausur eine Reihe von konzeptionellen Papieren erarbeitet, die Grundlage auch unserer parlamentarischen Arbeit sein werden, unter anderem eine Erwerbstätigenversicherung zur Verhinderung von Altersarmut, eine solidarische Gesundheitsversicherung sowie Grundrisse für ein "rotes Projekt für den sozial-ökologischen Umbau".

Anfang des Jahres haben Sie sich im Interview gewünscht, "dass es unserer Fraktion besser gelingt, mit ihrer parlamentarischen Arbeit ein klares Profil zu zeigen, das DIE LINKE auch für Wählerinnen und Wähler attraktiver macht". Wie sieht Ihr wunschpolitisches Fazit acht Monate später aus?

In aller Deutlichkeit muss ich dazu feststellen, dass uns genau das nicht gelungen ist. Insofern bin ich sehr froh über die Ergebnisse, auch über die angenehme Arbeitsatmosphäre, die wir mit unserer Klausur erreicht haben. Und ich hoffe sehr, dass wir diesen Arbeitsstil fortsetzen können, uns den Themen zuzuwenden, die Wählerinnen und Wähler in besonderem Maße bewegen und bei denen sie Antworten von links zu Recht erwarten und bisher zu wenig bekommen haben.

linksfraktion.de, 29. August 2011