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Massengrab Sahara

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Von Ulla Jelpke


2019 sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration 1.300 Schutzsuchende beim Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken. Seit 2014 gab es mindestens 18.999 Tote.

Weniger bekannt ist, dass auch in der nigrischen Wüste jährlich Tausende Menschen ihr Leben verlieren. Seit im Niger 2015 auf Drängen der EU mit dem Gesetz 036/2015 die Reisefreiheit massiv eingeschränkt wurde, sind Flüchtende gezwungen, auf gefährlichere Routen durch unerschlossenes Gebiet auszuweichen. Seit 2016 stationiert die nigrische Armee gezielt Einheiten an Wasserstellen auf dem Weg durch die Sahara, um die Schutzsuchenden zu stoppen und insbesondere ihre Fahrer festzunehmen. Aufgrund der zunehmenden Militarisierung der Sahara werden Flüchtende von Menschenschmugglern aus Angst vor Festnahmen und Strafverfolgung immer wieder in der Wüste zurückgelassen. Wer Schutzsuchende gegen Geld befördert, muss im Niger mit bis zu 30 Jahren Haft rechnen.

Mehr Tote als im Mittelmeer

Die Internationale Organisation für Migration schätzt, dass die Zahl derer, die in der nigrischen Wüste ums Leben kommen, mindestens doppelt so hoch ist wie die Zahl der Toten im Mittelmeer. Über 30.000 Menschen sind nach Schätzungen der Organisation zwischen 2014 und 2018 in der Wüste verschwunden. Gefährdet sind dabei nicht nur Flüchtende, die sich selbst auf den Weg Richtung Norden machen, sondern auch Menschen, die die algerischen Sicherheitskräfte nach Niger abschieben. Solche Abschiebungen finden in der Regel zweimal wöchentlich statt; betroffen sind auch besonders schutzbedürftige Personen, etwa Kinder, Schwangere und alte Menschen. Während nigrische Staatsangehörige in der grenznahen Stadt Assamaka oder in Agadez den nigrischen Behörden übergeben werden, setzt das algerische Militär Menschen anderer Nationalität einfach an der Grenze etwa 15 Kilometer von Assamaka entfernt in der Wüste aus. Immer wieder verirren sich die Betroffenen, weil es in der Landschaft kaum Orientierungspunkte gibt. Im Sommer 2018 berichtete die Nachrichtenagentur AP, dass algerische Behörden in den vorangegangenen 14 Monaten 13.000 Geflüchtete wenige Kilometer vor der nigrischen Grenze ohne Wasser und Nahrung aussetzten, nachdem sie sie zuvor teilweise geschlagen und beraubt hatten. Viele von ihnen verdursteten auf dem erzwungenen Fußmarsch durch die Wüste. Dem Bericht zufolge forcierte Algerien die Massenabschiebungen ab Oktober 2017, nachdem die EU den Druck auf nordafrikanische Staaten erhöht hatte, Schutzsuchende von der Flucht nach Europa abzuhalten.

Die Maßnahmen zur Abschottung gegen Schutzsuchende in Algerien und Niger sind ein direkter Effekt der Vorverlagerung der europäischen Grenzpolitik bis weit in den afrikanischen Kontinent hinein. Indem die EU-Staaten die nigrischen Sicherheitskräfte systematisch aufrüsten und die Schließung von Migrationsrouten erzwingen, tragen sie eine zentrale Verantwortung für den Tod Zehntausender in der nigrischen Wüste.

Bundesregierung stellt sich dumm

Die Bundesregierung will von dieser Verantwortung indes nichts wissen. Bei der Beantwortung einer aktuellen Anfrage der Fraktion DIE LINKE (Bundestagsdrucksache 19/16660) gibt sie vor, zur Zahl der Toten in der Sahara, zu willkürlichen Verhaftungen von Schutzsuchenden in Algerien und Niger, zu Abschiebungen in die nigrische Wüste keinerlei nennenswerte Erkenntnisse zu haben – und verweigert eine substantielle Beantwortung der Fragen. Stattdessen rühmt sie sich damit, Niger bei der „Bewältigung von Migrationsherausforderungen“ und der Entwicklung einer Migrationspolitik zu unterstützen, die den „menschenrechtlichen Verpflichtungen des Landes“ entspricht. Dabei täten die Bundesregierung und auch die EU-Kommission gut daran, sich zunächst einmal an ihre eigenen Verpflichtungen beim Schutz der Menschen- und Flüchtlingsrechte zu erinnern. Transitstaaten, die es mit dem Verbot des Refoulement nicht zu ernst nehmen, zu Türstehern Europas aufzurüsten, und ihnen dann Hilfe bei der Etablierung einer menschenrechtskonformen Politik anzubieten, ist höchst verlogen.

Die Bundesregierung muss sich auf EU-Ebene für ein Ende dieser Vorverlagerung der Grenze einsetzen. Stattdessen müssen sichere und legale Fluchtwege geschaffen werden!