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Lohndumping sprengt den Euro

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über Wege aus der Euro-Krise, Alternativen zu Sparpaketen, die Rolle privater Ratingagenturen und die Auswirkungen bundesdeutschen Lohndumpings

Erst Griechenland, dann Irland und Portugal. Nun Italien. Warum bekommt Europa die Euro-Krise nicht in den Griff?

Michael Schlecht: Die Euro-Rettung ist ein Rettungsring aus Blei: Die Kürzungspakete drücken die Wirtschaft in den Krisenstaaten unter Wasser, während die Banken und Finanzinvestoren hohe Zinsen kassieren. Das verschärft die Schuldenkrise. Die Finanzhaie bekommen daher Panik. Wenn die Politik nicht den Mut hat, die Profiteure der Krise zur Kasse zu bitten und die Finanzmärkte zu entwaffnen, wird Europa untergehen. Wir haben nicht mehr viel Zeit.

Italien ist hoch verschuldet. Haben es sich die Italiener nicht einfach zu gut gehen lassen?

Für Berlusconi und seine Freunde mag das zutreffen. Die Mehrheit der Italiener sieht das sicher anders. Dass nun selbst Italien im Feuer steht, ist Alarmstufe Rot. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der EU und überwiegend bei den eigenen Bürgern, nicht so sehr im Ausland verschuldet. Es geht längst nicht mehr um einzelne Länder. Die Finanzmärkte testen die Politik. Sie wissen: Immer neue Rettungspakete sind in einem Staatenverbund wie der EU innenpolitisch nicht durchzusetzen.

Welche Rolle spielen die privaten Ratingagenturen?

Die drei großen Ratingagenturen Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s entscheiden über die Zukunft ganzer Staaten. Sie haben in der Finanzkrise jeden Giftmüll der Banken zu Bonbons erklärt. Jetzt wo die Staaten für den Giftmüll haften, ziehen sie die Daumenschrauben an. Sie werden von Banken und Versicherungen bezahlt, die kein Interesse an einer Beteiligung der Gläubiger haben. Wir brauchen eine öffentliche Ratingagentur.

Welche Alternativen schlägt DIE LINKE vor?

Wir brauchen erstens ein Aufbauprogramm statt Sparpakete. Das muss über eine EU-weite Besteuerung der Reichen finanziert werden. Zweitens müssen die Euro-Staaten gemeinsame Anleihen - Euro-Anleihen - auflegen, um Spekulation gegen einzelne Staaten zu verhindern. Drittens müssen wir das Geschäft mit der Staatsverschuldung beenden: Eine öffentliche Bank könnte Euro-Staaten direkt finanzieren, ohne Umweg über die Geschäftsbanken. Staaten bekämen Kredite zum derzeitigen Zinssatz der EZB von 1,5 Prozent. Dies würde auch eine Beteiligung der Gläubiger ermöglichen, weil die Finanzhaie die Politik nicht mehr mit Wucherzinsen erpressen könnten.

Wird das neue Schuldenkrisen verhindern?

Nein. Das zentrale Problem des Euro ist das deutsche Lohndumping. Die Beschäftigten in Deutschland hatten in den letzten zehn Jahren Reallohnverluste von mehr als vier Prozent, damit sind wir Schlusslicht in Europa. Wir haben wegen unserer Billiglöhne mehr Waren an das Ausland verkauft, als von dort eingekauft. Der deutsche Außenhandelsüberschuss betrug in den letzten zehn Jahren 1,2 Billionen Euro. Die privaten Haushalte und Unternehmen im Ausland haben sich daher zunehmend bei uns verschuldet. Diese faulen Kredite wurden in der Wirtschaftskrise zu Staatsschulden.

Was ist zu tun?

Der deutsche Exportüberschuss muss abgebaut werden. Wir brauchen eine Stärkung der Binnenwirtschaft. Etwa durch öffentliche Investitionen in die Energiewende sowie Gute Arbeit statt Befristungen, Leiharbeit und Mini-Jobs. Außerdem muss endlich der gesetzliche Mindestlohn von 10 Euro eingeführt und das Arbeitslosengeld II auf 500 Euro erhöht werden. Die Bevölkerungsmehrheit in Europa bezahlt das deutsche Lohndumping mit Rettungspakten und Sozialabbau. Wenn die Löhne in Deutschland nicht steigen, wird Europa nicht überleben.

Interview: Fabio De Masi

linksfraktion.de, 14. Juli 2011