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Lobby für die, die es immer trifft

Interview der Woche von Diana Golze,

Diana Golze wurde gerade von den Mitgliedern der Fraktion zur Leiterin des Arbeitskreises \\\\\\"Arbeit und soziale Sicherung\\\\\\" gewählt. Dass Kinder aus Familien, die Hartz IV beziehen, das verdiente Geld aus Ferienfobs endlich ganz für sich behalten können, begrüßt die Kinderpolitikerin. Entwarnung beim Thema Kinderarmut kann es aus ihrer Sicht aber nicht geben.

Viele Schülerinnen und Schüler verdienen sich in den Ferien ein wenig Geld über sogenannte Ferienjobs. Nach diversen vollmundigen Ankündigungen hat die Bundesregierung jetzt endlich eine Regelung gefunden, damit Jugendlichen aus Familien im Hartz IV-Bezug dieses Geld nicht mehr voll angerechnet wird und sie dieses Geld auch behalten können. Ende gut, alles gut?

Für die betroffenen Jugendlichen ist es am Ende wirklich gut ausgegangen. Auch wenn die neue Regelung weiterhin völlig unnötige Diskriminierungen wie die unrealistische Höchstgrenze von 1.200 Euro oder die weiterhin notwendige Meldung über den Verdienst beim zuständigen Amt enthält. Aber in diesem Sommer gilt: Jeder Schüler darf das verdiente Feriengeld ganz für sich behalten.

Warum ist eine so wichtige Entscheidung der Öffentlichkeit nicht in so großem Umfang bekannt gemacht worden? Das Problem bestand ja für nicht wenige Jugendliche und ihre Familien?

Das Thema war in der Tat im Wahlkampf zur letzten Bundestagswahl heiß in den Talkshows diskutiert worden. Als DIE LINKE es sowohl in der letzten Wahlperiode als auch in der neuen eingebracht hat, wurde es mehrheitlich abgelehnt. CDU und FDP haben es vorgezogen, die notwendigen Änderungen über eine sogenannte Verordnung zu bewerkstelligen. Die konnten sie ohne das Parlament vornehmen. Das ist auch die bittere Pille dabei: Man hätte diese Ungerechtigkeit schon längst beseitigen können. Der Druck, den DIE LINKE zu diesem Thema ausüben konnte, wurde offenbar nun groß genug.

Auch das Bundesverfassungsgericht hat auf deutliche Nachbesserung der Hartz IV-Sätze für Kinder gepocht. Welche Veränderungen genau hat das Gericht angemahnt?

Laut Bundesverfassungsgericht sind die Regelsätze für Kinder in zweifacher Hinsicht nicht mit der Verfassung vereinbar. Zum einen sind sie prozentual vom Regelsatz der Erwachsenen abgeleitet, was nicht sein darf, denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Zum anderen ist schon der Regelsatz für Erwachsene an sich verfassungswidrig, weil er in seiner Zusammensetzung nicht nachvollziehbar ist. Ganze Ausgabenblöcke wurden bei der Berechnung des Regelsatzes nicht einbezogen, zum Beispiel Ausgaben für Bildung. Das gilt im Besonderen für den Kinderregelsatz.

Hat sich die politische Großwetterlage für Kinder aus Familien in Hartz IV insgesamt gebessert?

Im Gegenteil. Jeder hat sicher noch die unerträgliche Debatte in Erinnerung, die Guido Westerwelle losgetreten hat. Aber auch was - wenn auch leiser - vom Rest der Regierungsbank kam, war nicht wirklich besser für die Familien. Es wird vielmehr immer deutlicher, wie ernst es der Regierung damit ist, sich die Neuregelung so wenig wie möglich kosten zu lassen. Schlimmer ist, dass Union und FDP noch nicht einmal so viel Geld in die Hand nehmen wollen, wie nötig ist. Von Verbesserung kann also keine Rede sein.

Die Koalition hat jetzt vorgestellt, wie sie das Urteil des Verfassungsgerichts umsetzen will. Ihre Meinung dazu?

Von einer Vorstellung, wie die Bundesregierung das Urteil in die Realität übertragen und die Bedenken des Gerichtes auflösen will, habe ich offen gestanden noch nichts gehört. Es ist weder ein konkreter neuberechneter, nachvollziehbarer Regelsatz vorgestellt noch eine Ansage darüber gemacht worden, wie der für Kinder zukünftig berechnet werden soll. Der müsste ja laut dem Gericht konkret aussagen, was einem Kind aufgrund seiner besonderen Bedürfnisse zusteht. Alles, was bisher kam, war die Ansage, dass man glaubt, das Urteil so billig wie möglich umsetzen zu können.

Arbeitsministerin von der Leyen will den Kindern Nachhilfe oder den Besuch von Musikschulen über Chipkarten ermöglichen. So käme das Geld auf jeden Fall bei den Kindern an. Was spricht dagegen?

Ob nun Schulbedarfspaket, Gutscheine oder Chipkarten - immer schwingt mit, dass diese Eltern das Geld nicht für ihre Kinder ausgeben. Auch das ist eine Form von Diskriminierung und Verunglimpfung und bedeutet zudem noch mehr Rennerei, weil alles extra beantragt und bewilligt werden muss. Gutscheine oder jetzt neu Chipkarten lösen keines der bestehenden Probleme. Schon gar nicht, wenn am Ende rund 20 Euro pro Kind in die Hand genommen werden sollen. Abgesehen davon, dass das schon kaum reicht, um fehlendes Geld für gesunde Ernährung oder Kleidung auszugleichen. Welche Angebote sollen denn die Kinder von diesem Betrag nutzen können? Sollen sie da etwa auch ansparen, wie die Eltern für den Kühlschrank?

Wie müsste aus Ihrer Perspektive eine sinnvolle Förderung armer Kinder und Jugendlicher aussehen?

Eine sinnvolle Förderung kommt allen Kindern zu Gute, nicht nur denen aus den von Armut betroffenen Familien. Denn sie spielt den Ausbau und die Verbesserung von Infrastruktur, also beispielsweise von Schulen, Kitas, Sportvereinen und Bibliotheken, und eine den Bedürfnissen entsprechende Existenz sichernde Grundsicherung nicht gegeneinander aus. Die Infrastruktur ist notwendig, damit Kinder nicht nach Sozialstatus sortiert, sondern gemeinsam bestmöglich gefördert werden und Eltern Familie und Beruf mit einander in Einklang bringen können. Soziale Sicherungssysteme dürfen auf der anderen Seite nicht zur vollständigen Isolation der Betroffen führen.

Sie sind in der vergangenen Woche zur Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit und soziale Sicherung“ der Fraktion gewählt worden. Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?

Ich möchte genau hier anknüpfen: Aus meiner Arbeit in der Kinder- und Jugendpolitik bringe ich das Wissen darum mit, wie sehr sich die Verschlechterung der sozialen Verhältnisse auf eine der schwächsten Gruppen auswirkt - die Kinder. Das übertrage ich in alle Bereiche - die Arbeitsmarktpolitik, die Diskussion um einen neuen sozialen Generationenvertrag, in die Beschäftigungspolitik genauso wie in die Frage der Grundsicherungsmodelle oder der Rente. Genau darum möchte ich mit meiner Arbeit eine Lobby für die schaffen, die es aktuell trifft, vor allem aber für die, die es immer trifft - die Kinder.

linksfraktion.de, 12. Juli 2010