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Linke Stellschrauben im Bundesrat

Im Wortlaut von Bodo Ramelow,

Beitrag zur Serie "Was ist systemrelevant?"

Von Bodo Ramelow, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Thüringer Landtag




 

Systemrelevant ist auf jeden Fall das Verhältnis Föderalismus versus Zentralstaat. In der historischen Entwicklung, die Linke immer im Blick haben müssen, ist sichtbar: je zentralistischer der deutsche Staat gelenkt wurde, desto gefährlicher war er für seine Nachbarn.

Eingedenk dieser historischen Dimension ist der Föderalismus ein nicht zu gering zu achtender Wert. Wenn man ihn allerdings bürokratisch erstickt, wird er funktionslos. Und wenn er den Fortschritt sogar verhindert – wie zum Beispiel bei der klassischen Schulbildung – wird er sogar zu einer Gefahr, in diesem Fall für die Schülerinnen und Schüler. Beim Thema Bildung sagen wir immer: in Europa existieren 17 rückwärtsgewandte Schulsysteme – 16 davon in Deutschland.1

Dies zeigt die Kehrseite des Föderalismus: Wenn er nur dazu benutzt wird, Landesparlamente damit zu beschäftigen, über die Muster der Tapete zu entscheiden, wann immer der Landtag neu tapeziert werden soll. Das sogenannte "Kooperationsverbot", das Verbot der Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der Bildung, ist im Jahr 2006 gegen den erbitterten Widerstand unserer Bundestagsfraktion und aller Landtagsfraktionen der LINKEN von der SPD wider besseres Wissen als Grundgesetzänderung mitbeschlossen worden. Dieselbe katastrophale Fehlentscheidung wurde in der Föderalismuskommission II mit der sogenannten "Schuldenbremse" praktiziert, nach der die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Kredite auszugleichen sind (Artikel 109 Abs. 3 GG). Die SPD war nicht einmal bereit, die von uns vorgeschlagene "Steuersenkungsbremse" – wer Steuersenkungen will, muss aufzeigen, wie die dadurch entstehenden Ausfälle in den öffentlichen Kassen ausgeglichen werden – mit in das Abstimmungspaket aufzunehmen, um dessen fatale Eindimensionalität aufzubrechen.2 Lediglich das damals rot-rot regierte Berlin hat sich für diese Initiative eingesetzt. Das rot-grüne Projekt einer Förderung der Ganztagsschulen mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt wurde von der SPD-Bundestagsfraktion geopfert – als Preis für die Große Koalition. Die gleichen Sozialdemokraten möchten nun das Grundgesetz ändern, das sie erst jüngst wieder besseren Wissens auf den "Wettbewerbsföderalismus" umgestellt haben.

Die negativen Wirkungen der durch die unregulierten Bank- und Spekulationsmechanismen ausgelösten Finanzmarktkrise in Verbindung mit der "Schuldenbremse" im Grundgesetz tragen am Ende die Kommunen. Interessant ist, dass die gleichen Parteien, die für die Grundgesetzänderung die Hand gehoben haben, auf der Lokalebene den Eindruck erwecken, damit noch nie irgendetwas zu tun gehabt zu haben.

Die Partei DIE LINKE hat sich in diesen Fragen klar positioniert. Wir sagen Nein zum "Wettbewerbsföderalismus", Ja zu einem besser finanzierten und kooperativ ausgestalteten Bildungssystem.

Wir sagen Nein zur "Schuldenbremse" und Ja zur Regulierung des Bankensystems sowie zur wirksamen Unterbindung der Finanzspekulationen.

Wir sagen aber auch Ja zu einer großen Steuerreform, bei der die Kommunen für ihre Aufgaben ausreichend finanziert sind und Vermögen stärker besteuert werden.

Im sozialen Sicherungssystem braucht es einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, um die Teilung Ost-West und Nord-Süd zu beenden, die ausschließlich zu einer Teilung in Arm und Reich führen. Es mag ja sein, dass nach Niedersachsen in mancher Parteizentrale das alte Lagerdenken wieder auf Hochglanz poliert wird: Rot-Grün versus Schwarz-Gelb. Dies darf aber den Blick nicht verstellen, dass alle vier damit in den Blick genommenen Parteien (CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne) sich im Laufe der letzten Jahrzehnte zueinander kompatibel verhalten haben – und zwar in allen Koalitionskonstellationen.

Die Umstellung des grundgesetzlich gebotenen ausgleichenden und kooperativen  Föderalismus auf den "Wettbewerbsföderalismus" führt nur dazu, dass keine Weichen für ein modernes Bildungssystem (kostenfreie Bildung, Kitas, usw.) gestellt werden. Auch beim flächendeckenden Mindestlohn wird es deutlich: So gleich soll es in Deutschland doch nicht zugehen. Doch regionale Unterschiede, die in der Landschaft noch begründet seien mögen, dürfen nicht Lebenswege negativ beeinflussen.

Lösungen sind möglich und machbar: Wenn gemeinsame Reformorientierungen in den Vordergrund gestellt werden, wenn abgeklärt wird, wie eine gemeinsame humanistische Vision für eine solidarische Gesellschaft entwickelt werden kann.

Der Kampf gegen Armutsrenten und Armutslöhne ist ein zutiefst humanistischer und kein ökologischer. Und längeres gemeinsames Lernen sowie Inklusion statt Selektion in einem gut ausfinanzierten Bildungssystem mit Schulen, die Lern- und Lebensort sind, ist zuförderst humanistisch, aber in jedem Fall nachhaltig.

Es kommt also auf die Betrachtung an, welche Rolle der Föderalstaat gegenüber allen Menschen in unserer Gesellschaft einnimmt. Wenn dann Parteien mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bereit sind, die gleichen Stellschrauben zu bedienen, dann führt dies zu einem Politikwechsel und nicht nur zu einem optischen Regierungswechsel.

Bereits die Landtagswahl in Niedersachsen verändert das Gefüge im Bundesrat, dem Gremium, durch das die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union mitwirken. Die Gruppe der Landesregierungen, die aus SPD, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen gebildet werden, gewinnt jetzt sechs Stimmen dazu. Es wäre aber viel mehr zu erreichen. Dann nämlich, wenn sich die SPD dazu entschließen würde, in den fünf Bundesländern, in denen im Moment noch mit der CDU regiert (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen), neue Regierungspartner zu suchen. In allen fünf Bundesländern hätten Koalitionen aus SPD, DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen eine Mehrheit. Die rot-rot-grün regierten Länder hätten im Bundesrat eine starke Gestaltungsmehrheit von 54 zu 18 Stimmen, die verbliebenen fünf Bundesländer, in denen CDU/CSU und FDP regieren, wären marginalisiert.



1 Kommentar von Bodo Ramelow zur Föderalismusreform (2008)

2 Rede von Bodo Ramelow im Bundestag: Schuldenbremse ist der falsche Weg (2009)



linksfraktion.de, 24. Januar 2013

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