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Korrupter Apparat

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Seit mehr als acht Jahren unterstützen deutsche Polizisten den Aufbau der afghanischen Polizei. Doch die Antwort der Bundesregierung auf eine große Anfrage der Linksfraktion zeigt: Die eingesetzten Ressourcen verpuffen überwiegend wirkungslos.

Nach Darstellung des Bundeskabinetts verfolgen die USA und Deutschland bzw. die Europäische Union in Afghanistan unterschiedliche Ansätze: die Europäer einen »zivilpolizeilichen«, die USA sowie die NATO hingegen plädieren für »ein Gesamtkonzept aus Armee und Polizei«. Welcher Ansatz dominiert, zeigen folgende Zahlen: Allein das US-Pentagon stellt 1500 Polizeiausbilder am Hindukusch. Hinzu kommen 500 Angestellte der Sicherheitsfirma Xe, besser bekannt unter ihrem früheren Namen Blackwater. Weitere 1000 Ausbilder stehen unter NATO-Kommando, darunter Angehörige der Europäischen Gendarmerietruppe. Die EU-Mission EUPOL und die Bundesrepublik entsenden gemeinsam knapp 500 Polizisten. Die Ausbildung liegt fast ausschließlich in der Hand der NATO-Mission und der USA. Das US-Militär erarbeitet den Lehrplan, führt Basisausbildungen durch und konzentriert sich speziell auf Grenz- und paramilitärische Bereitschaftspolizei. Daß die USA durch die Zusammenarbeit mit Milizen den zivilen Ansatz zusätzlich unterminieren, veranlaßt sogar die Bundesregierung, »Skepsis« zu äußern.

Generell verteidigt sie jedoch die Militarisierung: Die afghanische Polizei benötige »robustere Elemente«, dazu gehöre eine »modulare Ausbildung im militärischen Sinne«. Den Vorwurf, deutsche Polizisten in einem Kriegseinsatz zu mißbrauchen, weist die Regierung mit der Bemerkung zurück, der deutsche Beitrag finde »im Benehmen« mit den USA, »aber völlig autark in den deutschen Polizeitrainingszentren« statt. Ihr Auftrag sei »unabhängig davon, wie die Konfliktlage in Afghanistan zu qualifizieren ist«. Der Krieg findet den Worten der Regierung zufolge »außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der entsendeten Polizeikräfte« statt und betreffe diese daher gar nicht. Das ist nicht nur realitätsblind, sondern ignoriert die Gefährdung der Beamten. Seit 2003 sind 4500 afghanische Polizisten im Dienst ums Leben gekommen. Im angeblich kriegsfreien Norden des Landes hat die Zahl von Anschlägen allein im ersten Halbjahr 2010 um 120 Prozent zugenommen.

Fakten für eine verläßliche Auswertung der bisherigen Arbeit gibt es nicht. Zur Zahl »einsatzfähiger« afghanischer Polizisten wird auf die offizielle Angabe der Regierung in Kabul verwiesen (106000). Dabei hat die Bundesregierung selbst eingeräumt, daß diesen Zahlen nicht zu trauen ist. Der Personalschwund beträgt derzeit rund 20 Prozent. Viele Afghanen nehmen die Waffenausbildung und womöglich einen Alphabetisierungskurs mit und gehen dann zu besser zahlenden privaten Sicherheitsfirmen, die rund 18000 Arbeitsplätze anbieten. Oder gleich zu den Taliban, die, so die Bundesregierung, 550 Dollar pro Monat zahlen. Das Grundgehalt für Streifenpolizisten ist zwar eben erst erhöht worden, liegt aber dennoch nur bei 165 Dollar. Die Abgänge stellen den Sinn der Ausbildung komplett in Frage. Ohnehin ist deren Qualität zweifelhaft: Die Ausbildungszeit wurde in diesem Jahr von acht auf sechs Wochen verkürzt– es wird Nachschub an Kanonenfutter gegen die Aufständischen benötigt.

Im Bereich der Justiz ist die Situation noch desolater: Es gibt nur 400 Anwälte für 30 Millionen Einwohner. »Die Stammes- und Dorfältesten werden in vielen Regionen als bessere Alternative zur staatlichen Justiz angesehen, da sie im Ruf stehen, schnell und fair zu entscheiden und nicht korrupt zu sein«, heißt es in der Antwort der Bundesregierung.

Deutsche Polizisten und Soldaten berichten regelmäßig über die Furcht der afghanischen Bevölkerung vor der eigenen Polizei, deren Beteiligung am Waffen- und Drogenschmuggel und das kriminelle Verhalten von Provinzfürsten. Doch die Bundesregierung gibt vor, »keine konkreten Informationen« zu haben. Strafverfolgung obliege allein den afghanischen Behörden, die dazu jedoch nicht willens sind. Die Linksfraktion erklärte am Freitag, in Afghanistan werde nur ein weiterer, undemokratischer und korrupter Unterdrückungsapparat aufgebaut. Sie will in Anträgen im Bundestag den Abzug der Polizisten fordern.

 

Von Ulla Jelpke

junge Welt, 18. September 2010