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»Kommunen sind das Fundament«

Interview der Woche von Steffen Bockhahn,

 

Steffen Bockhahn vertritt seit 2009 seine Heimatstadt Rostock als Direktgewählter Abgeordneter im Bundestag. Im Interview spricht er über Lokalpatriotismus im Bundestag, schildert, wie sich die Agenda-Politik der letzten zehn Jahre auf die Situation in der Kommune ausgewirkt hat, erklärt die Lohnkostenmodelle in Call Centern und warum, DIE LINKE gerade den Rostocker Haushalt platzen ließ.

 

Zum zehnten Geburtstag der Agenda 2010 schickte die Bundes-SPD Altkader Schröder, Müntefering und Steinbrück ins Feld, um ihr Werk zu verteidigen. DIE LINKE wiederholte ihre Kritik an dem größten Sozialabbau in der Geschichte Deutschlands. Aber ein Aufreger war das Thema nicht. Hat sich die Republik mit Agenda arrangiert?

Steffen Bockhahn: Es gibt doch das Sprichwort, wonach der Mensch ein Gewohnheitstier sei. Ich denke, das ist hier auch passiert. Außerdem gibt es viele die sich zurückgezogen haben. Sie mussten erleben, dass die massiven Proteste nichts gebracht haben. Selten gab es so große Demonstrationen und vielfältige Aktionen in der jüngeren deutschen Geschichte wie im Protest gegen Hartz IV. Aber Rot-Grün hat es eiskalt durchgezogen. Und Schwarz-Gelb hat das mitgemacht und angefeuert. Hinzu kommen dürfte, dass viele durch die unsicherer gewordenen Arbeitsplätze auch Angst bekommen haben und sich deshalb zurückhalten.

Was haben zehn Jahre Agenda-Politik konkret in Ihrer Heimatstadt Rostock hinterlassen?

Es gibt wohl nirgendwo so viele Call Center wie bei mir zuhause. In den seltensten Fällen sind das gute Arbeitsplätze. Da kalkulieren die Betreiber die Lohnkosten oft knallhart so, dass Hartz IV fester Gehaltsbestandteil ist. Ein richtig abstoßendes Beispiel dafür ist die Sixt-Autovermietung, die ihr größtes Call Center in Rostock hat. Diese Branche ist ein Beispiel für den gewachsenen Niedriglohnsektor, für prekäre Arbeit und andere gravierende Fehlentwicklungen. Etwa 40 Prozent aller Hartz IV-Beziehenden sind Aufstocker. Das ist unfassbar, denn arm trotz Arbeit ist damit der Regelfall.

Nun konnte ja keine Kommune sagen: Nein, bei Eurer Agenda 2010 machen wir nicht mit. Und auch DIE LINKE in Rostock muss mit den realen Auswirkungen vor Ort umgehen. Welche Spielräume haben Sie in der Rostocker Bürgerschaft?

Hartz IV nimmt uns bei den Kommunalfinanzen die Luft zum Atmen. Ich darf daran erinnern, dass es ein Versprechen der Regierung an die Kommunen gab. Entlastungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro wurden angekündigt. Ich habe es mal durchgerechnet und festgestellt, dass wir im Vergleich zu der Regelung, die bis 2005 galt, etwa 200 Millionen Euro mehr zahlen mussten. Wo ist die Entlastung? Zum Vergleich: Rostock hat etwa 170 Millionen Euro Schulden bei einem Etat von etwa einer halben Milliarde Euro. Kurzum: Es fehlt hinten und vorne.

Sie haben gerade den Rostocker Haushalt platzen lassen. Warum?

Ganz einfach: Die Stadt ist pleite. Es gab eine Mehrheit, die deswegen wieder Steuern für die kleinen Leute erhöhen wollte. Wir waren dagegen. Und es fehlten 380.000 Euro für die Sicherung der Arbeit der Träger der Jugendhilfe. Damit sind Jugendclubs und ähnliches gemeint. Unsere entsprechenden Anträge, den Betrag zur Verfügung zu stellen, haben SPD und CDU abgelehnt. Wir hatten vorher gesagt, dass wir dem Haushalt nur zustimmen, wenn dieser vergleichsweise kleine Betrag für diese sehr wichtige Sache beschlossen wird. Also haben wir im Ergebnis konsequent abgelehnt.

Wie Sie sind viele Bundestagsabgeordnete gleichzeitig in Kommunalparlamenten aktiv. Da dürfte doch jede Entscheidung in Berlin auch auf die Frage abgeklopft werden: Was heißt das für meine Gemeinde. Oder?

Wünschen würde man sich das. Es gibt welche, die aus wohlhabenden Gemeinden kommen, die es ja auch gibt. Dann gibt es viele, die meinen: Sie sitzen im Bundestag und müssten jetzt ausschließlich auf die Rechnung des Bundes achten. Ich meine, dass es der ganzen Republik nicht gut geht, wenn die Kommunen am Boden liegen. Anders gesagt: Die Kommunen sind das Fundament, die Länder der Hochbau und der Bund ist das Dach. Ich würde ja immer auf ein solides Fundament achten. Leider entscheiden viele anders.

Gibt es ein klein wenig gemeinsamen Lokalpatriotismus unter den Bundestagsabgeordneten aller Parteien aus Ihrer Region?

Das hält sich im Rahmen. Aber wenn es gemeinsame Interessen gibt, dann redet man schon miteinander und versucht sich abzustimmen. Aber so sehr viele Abgeordnete hat ja Mecklenburg-Vorpommern nicht. Wir haben die schönste Landschaft und dafür weniger Einwohner. Aber wir vier linken B’s aus dem Nordosten - Bartsch, Bluhm, Bunge, Bockhahn - halten schon fest zusammen.

Sie wollen im September Ihr Direktmandat in Rostock verteidigen. Mit welcher Botschaft?

Zum Wahlkreis gehört noch ein ganzer Teil des Landkreises, der meine geliebte Heimatstadt umschließt. Ich konnte bisher bereits einiges für die Region erreichen, von Mehrgenerationenhäusern, über zusätzliche Freiwilligendienststellen bei der Tafel oder die Instandsetzung von Schiffen der Bundespolizei See. Aber vor allem habe ich immer wieder die Situation der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern oder die Lage der Kommunen im Bundestag thematisiert. Nur so kann man den Druck aufrecht erhalten, damit es endlich soziale Verbesserungen, wie einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Dafür will ich mich gern auch in den nächsten vier Jahren richtig reinhängen.

linksfraktion.de, 21. März 213