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"Koalition tut nicht, was machbar ist"

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

Wolfgang Nescovic - Der frühere Richter am Bundesgerichtshof ist parteilos und vertritt die Linkspartei/PDS im Bundestag. Er war 15 Jahre SPD- und zehn Jahre Grünen-Mitglied.

Herr Nescovic, bleibt es beim Zeitplan zur Fusion von WASG und Linkspartei, obgleich die Berliner WASG gegen die PDS wahlkämpft?

Ich bin optimistisch, dass wir die Fusion bis 2007 hinbekommen. Der Strom fließt in diese Richtung.

Der "Aufruf zur Gründung einer neuen Linken" liest sich, als gäbe es in der Politik noch Träume: demokratischer Sozialismus, Arbeitszeitverkürzung, Wirtschaftsdemokratie, das Recht auf Generalstreik ...

... es ist genau anders herum: Die Koalition tut nicht, was tatsächlich machbar ist. Das entspricht der Propaganda der Regierung: Die große Koalition behauptet, es gebe keine Alternative zu ihr; die Dinge könnten gar nicht anders sein. Es ist das verheerende Erbe von Rot-Grün, so viel politische Agonie und Apathie verbreitet zu haben. Aber das, was die Regierung heute anrichtet, wird die Leute mobilisieren.

Sie erwarten also zur Parteigründung im Sommer 2007, jede Menge aufgebrachte Hartz-IV-Opfer als Wähler mobilisieren zu können?

Es klingt zynisch, aber es stimmt. Und erstmals wird es mit uns die ernst zu nehmende Alternative geben, die das Protestpotenzial sowohl inhaltlich wie organisatorisch aufnehmen kann. Wir stoßen vor allem im linken Bürgertum auf großes Interesse - beim gut ausgebildeten Mittelstand, der durch Massenentlassungen arbeitslos wird und sein Angespartes aufbrauchen muss, bevor er staatliche Hilfen bekommt.

Können Sie ruhigen Gewissens versprechen, dass der Sozialstaat sein Niveau wieder anheben kann?

Das, was Hartz IV an wenigen Milliarden mehr kostet, kann über Steuererhöhungen ausgeglichen werden. Beispiel Dänemark: 65 Prozent Steuern, 25 Prozent Mehrwertsteuer - aber ein Haushaltsüberschuss von 6,8 Milliarden. Das Gesundheitssystem wird ausschließlich, die Arbeitslosenversicherung zu 80 Prozent über Steuern finanziert. In Deutschland gab es früher einen Spitzensteuersatz von 56 Prozent und eine Körperschaftsteuer von 45 Prozent - die Kosten für Sozialhilfe sind seither ungefähr gleich geblieben. Die Regierung kann sich nicht auf leere Kassen berufen, wenn sie vorsätzlich Mindereinnahmen herbeiführt.

Fragen von Claudia Lepping

Stuttgarter Nachrichten, 8. Juni 2006