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Klimaabkommen mit Fallstricken

Im Wortlaut von Eva Bulling-Schröter,

 

Von Eva Bulling-Schröter, Sprecherin für Klima- und Energiepolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Ist das UN-Klimaabkommen von Paris historisch, wie es überall zu lesen ist? Wenn sich fast alle einig sind, ist Misstrauen angebracht. Nicht nur deshalb, weil sich naturgemäß immer erst im Nachhinein herausstellt, was Verträge wirklich wert sind.

Um es vorweg zu nehmen: Das Abkommen von Paris kann historisch werden. Ich betone KANN. Denn momentan ist lediglich ein gut ausgerichteter Rahmen, der noch gefüllt werden muss, um die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.

Vorausgesetzt, sie werden erfüllt

Der Vertrag hat relativ starke Zielstellungen. Die Festlegungen, sie zu erreichen, sind dagegen schwach. Ins Abkommen integriert sind deshalb Mechanismen, um schrittweise nachzubessern. So ist es ein Erfolg, dass erstmals jeder Staat auf dieser Erde völkerrechtlich darauf verpflichtet wird, dazu beizutragen, den Temperaturanstieg auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen. Die Länder wollen darüber hinaus "Anstrengungen unternehmen", um auf maximal 1,5-Grad zu kommen. Letzteres haben insbesondere die vom Untergang bedrohten Inselstaaten eingefordert. Doch die von den Ländern gemeldeten Selbstverpflichtungen bis 2030 führen zusammengerechnet auf einen Pfad, der die Erde bis Ende des Jahrhunderts um 2,7 bis 3,5 Grad erwärmen könnte – vorausgesetzt, sie werden überhaupt erfüllt.

An dieser brisanten Schere setzt der so genannte Ambitionsmechanismus an: Alle fünf Jahre soll überprüft werden, ob die gemeldeten nationalen Klimaschutzpläne der einzelnen Länder sowie das Forderungsniveau insgesamt ausreichen, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Dabei soll es nur eine Verschärfung der Verpflichtungen geben, keine Abschwächung. Mit dieser "Sperrklinkenklausel", wollen die Staaten die Klimaschutzlücke schrittweise schließen.

Viele haben sich ein stringenteres Abkommen gewünscht. Doch die jahrelangen Blockaden von Staaten wie die USA, Russland, China oder Saudi Arabien machten es unmöglich, "von oben" auf alle Länder verbindliche und gerechten Emissionsziele zu verteilen, die noch dazu ausreichend sind, um das 2-Grad-Limit einzuhalten. Insofern ist das nun vorliegende schwächere Abkommen – das dennoch als diplomatische Meisterleitung gefeiert wird (und wohl auch ist) – den globalen Machtverhältnissen geschuldet. Es hat aber zumindest das Potential, eine vergleichbare Wirkung zu entfalten.

Kohle-Investments verlieren an Wert

Vor allem der Trick der Verpflichtungsmeldung "von unten" hat den gordischen Knoten durchschlagen, der seit dem Desaster von Kopenhagen im Jahr 2009 als unlösbar galt. Alle Länder machen nun mit – allerdings zum Preis einer Architektur, die unverbindlicher ist, dafür aber einen Verbessrungsmechanismus und Transparenzregeln verankert hat, die letztlich zu einem ähnlichen Ergebnis führen sollen.

Vor zehn oder zwanzig Jahren wäre solch ein Abkommen wohl nicht die Tinte wert gewesen, mit der man es geschrieben hätte. Das könnte nun anders sein, denn die Welt hat sich verändert: Die Kosten der regenerativen Energien sind drastisch gesunken. Hinter den Erneuerbaren stehen nicht nur Klimaschützer, sondern auch riesige neue Wirtschaftszweige. Gleichzeitig verlieren Kohle-Investments an Wert. Die im Paris-Abkommen vereinbarten Finanztransfers von Nord nach Süd von mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr können dazu beitragen, dass Entwicklungsländer ihre fossile Phase teilweise überspringen. Nicht zuletzt setzt der brennende winterliche Smog in China und anderen Staaten Regierende genauso unter Druck, wie weltweit zunehmende Wetterkatastrophen als Folgen des Klimawandels.

Die materielle Basis für ein politisches Umsteuern wird also immer fester. Der Erfolg ist aber nicht garantiert. So wird sich erst zeigen, ob der verankerte Ambitionsmechanismus tatsächlich etwas taugt. Auch darum steigt die Bedeutung des Klimaschutzes von unten. Das sind Millionen von Bürgerenergieanlagen oder der Kampf von NGOs und Forschungseinrichtungen gegen Interessen von Großkonzernen – und manchmal auch ein besetzter Bagger.

TTIP droht neue Handelsströme zu entfachen

Ohne diesen Druck von unten ist Klimaschutz undenkbar. Wer daraus aber schlussfolgert, man könne auf ein weltweites Abkommen verzichten, liegt schief. Ein globales Problem braucht auch globale Antworten. Verbindliche Übereinkünfte über Ziele, Finanzströme, Rechenmethoden und Überprüfungssysteme sind staatenübergreifend unabdingbar. Völkerrecht wird dabei immer nur einen Minimalkonsens zustande bringen. Darum haben wir jetzt kein Bilderbuchabkommen, sondern besagtes Gerüst, das gefüllt werden kann und muss. Auf keinen Fall dürfen dabei jedoch CCS, neue Atomkraftwerke und andere falsche Lösungen eine Rolle spielen. Zudem drohen andere Abkommen, wie TTIP, neue Handelsströme zu entfachen, die mit ihren Verkehrsemissionen weltweiten Klimaschutz torpedieren. Dies muss verhindert werden. Auch das ist Kampf und wird niemanden geschenkt.

Hierzulande sind die Treibhausgasemissionen seit fünf Jahren kaum noch gesunken. Für die Regierung des vermeintlichen Öko-Musterknaben Deutschland ist dies eine Blamage. Inwieweit und wie schnell sich dies ändert, entscheidet mit darüber, ob das Abkommen von Paris tatsächlich ein historisches sein wird – oder nur ein weiterer wertloser Papiertiger.

linksfraktion.de, 21. Dezember 2015