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Klassenziel: Gemeinschaftsschule

Periodika,

Als Kinder wuchsen sie in verschiedenen Systemen auf: Diana Golze ging im Osten zur Schule, Nicole Gohlke im Westen. Heute streiten sie gemeinsam für ein Ziel: eine Schule für alle.

Diana Golze und Nicole Gohlke, beide Jahrgang 1975, wurden in verschiedene Bildungswelten hineingeboren, haben sie durchlaufen und am Ende wurde – wie es landläufig heißt – aus beiden Frauen etwas. Die eine, Diana Golze aus Brandenburg, Sozialpädagogin. Die andere, Nicole Gohlke aus Bayern, Kommunikationswissenschaftlerin.

Nicole Gohlke wohnte mit den Eltern in München, in einem Mietshaus, dritter Stock, drei Zimmer, der Innenhof war Wäschetrockenplatz und Spielplatz. Die Straße, in der sie wohnte, bildete eine Art Stadtteilgrenze. Nur einen Steinwurf weiter begann das wohlhabende Viertel. Villen mit großen Gärten vor und hinter dem Haus. Die Grundschule der damals Siebenjährigen lag da mittendrin. Kinder aus den sogenannten besseren Familien waren ihre Mitschüler. „Es gab außer mir vielleicht noch zwei, drei Kinder aus ganz normalen Familien, außerdem vier Heimkinder“, erinnert sich Nicole Gohlke. „Alle in der Klasse hatten diesen Druck, du musst nach der 4. Klasse den Sprung auf die höhere Schule schaffen.“ Nicole hat ihn gemeistert. Als Einzige der weniger betuchten Kinder. Die anderen wurden aussortiert, im Alter von neun und zehn Jahren.

Schule in Ost und West

Anders bei Diana Golze. Sie war bereits in einer Gemeinschaft mit anderen Kindern, als sie gerade mal laufen lernte. Kindergarten, vier Jahre Grundschule, danach weiteres gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der 8. Klasse. „Gemeinsam lernen, das war wörtlich zu nehmen“, erzählt sie. Wer nicht so fix und helle war, dem halfen die besseren Schüler. Lernpatenschaften hieß das. Diana Golze kann sich bis heute an die Namen der Schüler erinnern, mit denen sie übte. Egal, ob in Deutsch oder Naturwissenschaften. Das war etwas anderes als der kommerzielle Nachhilfeunterricht heute. „Es hat nichts gekostet, wir haben uns gegenseitig zu Hause besucht, es entstanden Freundschaften, wir haben Feste gefeiert.“ Die Schule war mehr als Bildungsvermittlung: ein sozialer Ort, man lernte Rücksicht, Solidarität, Respekt.

Auch Nicole Gohlke erzählt von Kinderfesten, doch hat sie daran auch schlechte Erinnerungen. Denn eigentlich waren es fast immer nur Beinahe-Kindergeburtstagsfeiern. Ihre Mitschülerinnen hatten sie eingeladen. Denn die Kinder untereinander waren sich nicht fremd, sie hatten keinen Standesdünkel. Die Eltern dagegen schon. Sie waren es, die Nicole wieder ausluden. Sie passe nicht rein in die gute Gesellschaft, sagte man. Als Kind musste Nicole früh lernen, was es heißt, eine sogenannte falsche Herkunft zu haben.

Eine andere Schule

Heute sind beide Frauen 37 Jahre alt und sie machen Politik. Bildungspolitik. Im Bundestag lernten sich die Frauen aus Brandenburg und Bayern kennen und schätzen. Nicole Gohlke arbeitet seit dem Jahr 2009 als hochschulpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, und Diana Golze ist seit 2005 Expertin für Kinder- und Jugendpolitik. Ihr gemeinsamer Wunsch: Bildungschancen von der Kita bis zur Hochschule.

Wer gleiche Chancen auf Bildung will, muss frühe Schritte ermöglichen. In der Krippe, im Kindergarten, in der Vorschule. Diana Golze erklärt: „Das Recht darauf gehört jedem Kind, egal wer und was die Eltern sind. Nur so gibt es auch wirklich ähnliche oder gleiche Ausgangsbedingungen für den Schulstart.“ Unbedingt aufhören müsse das vorzeitige Aussortieren der Kinder. Kein Abstempeln der Mädchen und Jungen im Alter von etwa zehn Jahren, wer auf der Hauptschule landet oder die Möglichkeit auf bessere Schulabschlüsse erhält. Mit dem dreigliedrigen Schulsystem haben viele Kinder am Ende der 4. Klasse bereits das erste Mal verloren. Der Weg in die Hauptschule, ein gesellschaftlich kaum akzeptierter Schulabschluss, danach schlechte Lehrperspektiven, dafür Aussicht auf Hartz IV – das ist praktizierte deutsche Schulrealität, gegen die sich Nicole Gohlke auflehnt. „Kein Land kann und sollte sich das leisten“, sagt sie. Zumal es viele Spätentwickler gibt, die erst mit oder nach der 8. Klasse richtig loslegen.

Gemeinschaftsschulen, Ganztagsbetreuung, frühzeitige Hilfen für Kinder, deren Eltern von Sozialtransfers abhängig und möglicherweise mit Erziehungsaufgaben überfordert sind – das ist der Bildungsweg, der eingeschlagen werden muss. Bundesweit, mit vergleichbaren Schulabschlüssen. DIE LINKE hat nie nachgelassen in ihrem Plädoyer für ein längeres gemeinsames Lernen unter einem Dach. Der Schulalltag quer durch Europas Nachbarländer spricht ohnehin dafür. Von Finnland über Schweden und Dänemark bis hin nach Frankreich, Spanien und Portugal wird das langjährige gemeinsame Lernen praktiziert. In Deutschland halten die konservativ regierten Bundesländer am dreigliedrigen Schulsystem fest. Bis heute existiert übrigens keine einzige Studie darüber, dass ein längerer gemeinsamer Bildungsweg gute Schüler beim Lernen benachteiligt.