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Keine Sieger im Kalten Krieg des Sports

Im Wortlaut von Katrin Kunert,


10. September 1972, München: Finale der 4-mal-100-Meter-Frauenstaffel mit den Schlussläuferinnen von BRD und DDR, Heide Rosendahl (M.) und Renate Stecher (r.)

 

 

Von Katrin Kunert, sportpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. und Mitglied im Sportausschuss des Bundestages

 

 

Den Wettstreit um Medaillen im Sport zwischen der DDR und der BRD fand ich in meiner Jugend immer spannend. Als ich bei der Bezirksmeisterschaft im Crosslauf den dritten Platz belegen konnte, bekam ich als Auszeichnung das Buch »Olympische Spiele« von Klaus Ullrich. Seitdem lässt mich die olympische Idee, deren Geschichte und lassen mich die Spiele der Neuzeit nicht mehr los. Ich war auch immer ein bisschen stolz auf solche Sportlerinnen und Sportler wie Waldemar Cierpinski, Jochen Schümann, Rosi Ackermann, Gunhild Hoffmeister oder den legendären Ruderachter.

Die deutsch-deutsche Olympiageschichte stand leider immer im Zeichen des kalten Krieges. Traurige Höhepunkte waren zweifelsfrei die Olympiaboykotte 1980 und 1984. Als München die Austragung der Olympischen Spiele 1972 bekam, wurde offensichtlich nicht nur ein Sportausschuss des Bundestages bestellt. Ich habe noch heute ein Bild vor Augen: 1972, München, Finale der 4-mal-100-Meter-Staffel der Frauen. Heide Rosendahl (BRD) läuft vor Renate Stecher (DDR) über die Ziellinie. Wie konnte diese Staffel gewinnen, wenn doch nur in der DDR gedopt worden war?

Doping hat in beiden deutschen Staaten stattgefunden. Das Dopingsystem der DDR wurde ganz schnell und ohne wenn und aber gleich nach der Wende aufgearbeitet. Da wurde keinerlei Rücksicht auf Datenschutz genommen. Als ich 2006 in den Sportausschuss des Bundestages kam, habe ich den Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, einmal gefragt, warum man die Strukturen des Kinder- und Jugendsports der DDR nicht übernommen hat. Schließlich war das Sichtungssystem mit den Trainingszentren eine gute Sache. Herr Vesper antwortete damals, DDR-Sport sei nur Stasi und Doping gewesen, das ginge gar nicht. Seit 1989 schwebte immer der moralische Zeigefinger in Richtung Osten. Und ich musste mir so manchen Unsinn anhören.

Es sollte noch bis 2008 dauern, als der Deutsche Olympische Sportbund endlich den Auftrag erteilte, eine Studie zur Aufarbeitung des Dopings in der BRD von 1950 bis heute an das Bundesinstitut für Sportwissenschaft erteilte. Übrigens an eben jenes Institut, das nun nachweislich eng in die Dopingstrukturen eingebunden gewesen sein soll. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass seit Beginn der Studie die Recherche für die Wissenschaftler erschwert worden ist. Akten sollen vernichtet, Auskünfte und Unterlagen  unvollständig und verspätet an die Wissenschaftler weitergeleitet worden sein.

Die Studie wurde mit Steuergeldern finanziert und war mehrfach Thema im Sportausschuss. Nur den Abschlussbericht haben die Mitglieder dieses Ausschusses bis heute nicht zu sehen bekommen. Da war von Datenschutz die Rede. Man müsse erst prüfen, was veröffentlicht werden kann und was nicht. Aufklärung sollte also nur ein bisschen stattfinden. Erst ein Artikel im Spiegel brachte Bewegung in die Sache. Inzwischen ist der Bericht auf der Homepage des Bundesinstituts für Sportwissenschaft einzusehen. Wir Abgeordneten haben ihn nicht. In einer Sondersitzung des Sportausschusses muss nun mit aller Konsequenz die vollständige Aufklärung auf den Weg gebracht werden. Der neue Bundestag sollte eine Enquete-Kommission einsetzen, die staatlich unterstütztes Doping aufklärt.

DIE LINKE will wissen: Wer hat gedopt? Wer waren die Ärzte, die Trainer? Wer in der Politik hat dies unterstützt und gedeckt? War der 1969 eingesetzte Sportausschuss des Bundestages involviert? Welche Gelder sind in welchen Größenordnungen geflossen? Wer hatte ein Interesse an der Aktenvernichtung im Vorfeld der Erarbeitung dieser Studie? Wer soll gedeckt werden? Welche Rolle haben die Geheimdienste im Dopingsystem gespielt? Welche Forschungsstrukturen wurden bedient? Und gibt es sie heute noch?

Und wann übernimmt der Deutsche Olympische Sportbund als Nachfolgeorganisation des Deutschen Sportbundes endlich die Verantwortung für das Doping in der BRD? Beschwichtigungen seitens des Deutschen Olympischen Sportbundes deuten darauf hin, dass man dort kein ausgeprägtes Interesse an einer lückenlosen Aufklärung hat.

Der Wettstreit um Medaillen ist immer spannend. Nur in diesem Wettstreit hat keiner von beiden gewonnen. Der Sport hat insgesamt verloren. Die vollständige Aufklärung sind wir der Öffentlichkeit und vor allem den Dopingopfern schuldig. Heute wird in Deutschland der Antidopingkampf großgeschrieben. Hoffentlich nicht, um die Vergangenheit dahinter zu verstecken.