Zum Hauptinhalt springen

»In Gorleben entsteht der Schwarzbau eines Endlagers«

Kolumne von Dorothée Menzner,

Von Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag




Ein Untersuchungsausschuss ist das schärfste Schwert der Opposition, heißt es. Wie stumpf oder scharf es ist, bestimmt aber letzten Endes – wie immer – die Koalitionsmehrheit.

Seit zweieinhalb Jahren weisen wir der Koalition in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nach, dass der Standort Gorleben als Atommüll-Endlager niemals aus wissenschaftlichen und geologischen Gründen, sondern einzig und allein aus politischen Motiven heraus gewählt wurde. Gorleben und das Wendland, ein kleiner Zipfel am Ostrand Niedersachsens, war in den Siebziger Jahren vom Gebiet der DDR halb eingeschlossen, also äußerste Randlage der BRD. Dünn besiedelt obendrein, war von dort nach Erwartungen der damals Regierenden kein großer Widerstand zu befürchten. Ein politisch bequemer Standort. Wissenschaftliche Kriterien wurden an das angepasst, was man in Gorleben vorfand. Geborstenes Deckgebirge und Öl- und Gasvorkommen in und unter dem Salzstock? Früher Ausschlusskriterien, heute kein Problem mehr.

Kritische Wissenschaftler mundtot gemacht

Über Tage findet sich ein staatliches Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle – Müll, der "ergebnisoffen" vielleicht eines Tages in den Schacht darunter versenkt werden soll. Transporte abgebrannter hochradioaktiver Brennstäbe, die noch so heiß sind, dass sie 40 Jahre lang an der frischen Luft abgekühlt werden müssen, schickt man über zig Kilometer auf einer eingleisigen Strecke und dann über Holperpisten in dieses Zwischenlager. Wer so etwas an einem nur mit hohen Sicherheitsrisiken erreichbaren Ort errichtet, will niemals den Rückweg antreten. Was in Gorleben angeliefert wird, soll für immer dort bleiben. In Gorleben ging es nie nur um Erkundung. In Gorleben entsteht der Schwarzbau eines Endlagers.

Der Widerstand im "Atomklo" Niedersachsen wurde allerdings so groß, und das Fachwissen der Bürgerinnen und Bürger vor Ort so umfassend, dass die Verantwortlichen in Erklärungsnöte kamen. Kritische Wissenschaftler, die im Auftrag der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Gutachten "zur Eignung" Gorlebens erstellen sollten, allerdings aus geologischen Gründen zu dem Schluss kamen, lieber andere Standorte zu untersuchen, wurden gefeuert und mundtot gemacht. Einige dieser Wissenschaftler haben das im Untersuchungsausschuss bestätigt. Verantwortliche Politiker der damaligen Zeit haben sich in Widersprüche verstrickt oder wollen sich schlicht nicht mehr erinnern.

Unwahrheiten sind längst salonfähig

Es ist immer die gleiche Geschichte: Die Mehrheit bestimmt die Wahrheit. Und so wird es wenigstens zwei Abschlussberichte des Untersuchungsausschusses geben. Einen der Koalitionsmehrheit, und noch einen der Opposition, der von der Koalitionsmehrheit begründungslos weggestimmt werden wird.

Wahrheit wird dabei eine untergeordnete Rolle spielen. Denn Unwahrheiten sind längst salonfähig. Man nennt sie heute "sprachlich nicht perfekt". Das haben wir, wie alle anwesenden Journalisten auch, im Untersuchungsausschuss von Angela Merkel lernen können. Die Bundeskanzlerin war in den neunziger Jahren Umweltministerin und hat in dieser Funktion aus einer vergleichende Studie zu Endlagerstandorten herauslesen können, dass Gorleben von all diesen Standorten der beste sei. Sie hat der Öffentlichkeit im Brustton der Überzeugung dargestellt, Gorleben sei im Vergleich der bestgeeignete Standort und bleibe deshalb erste Wahl. Das Problem: Gorleben war gar nicht Bestandteil dieser Studie, und das wusste sie. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hatte sie explizit darauf hingewiesen und betont, Rückschlüsse auf Gorleben seien nicht möglich. Vom Untersuchungsausschuss befragt, ob sie damals die Bevölkerung nicht bewusst falsch informiert hätte, wies sie den Vorwurf der Lüge von sich und sagte lapidar, sie sei "damals sprachlich noch nicht so perfekt gewesen".

Gorleben dient als staatlicher Entsorgungsvorsorgenachweis

Und so ist das mit allen Unwahrheiten, die Gorleben betreffen. Indizien für politische Manipulationen und die Unterdrückung kritischer Gutachten gab es schon immer. Doch jetzt sind sie in den Wortprotokollen des Ausschusses schriftlich dokumentiert und für alle nachvollziehbar. Zwingend ist das für die Koalition dennoch nicht. Denn Gorleben dient damals wie heute als staatlicher Entsorgungsvorsorgenachweis für hochradioaktiven Müll, also abgebrannte Brennelemente. Allein die Erkundung dieses Standortes reicht dafür aus. Würde man den Standort Gorleben der Beweislast nach folgerichtig aber als nicht geeignet bezeichnen, fiele dieser Nachweis weg. Das wäre das sofortige Aus für sämtliche deutschen Atomkraftwerke. Deshalb hielt man immer an Gorleben fest, auch die Rot-Grüne Bundesregierung. Und deshalb hält auch die jetzige Pro-Atom-Koalition an Gorleben fest. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Gorleben ist als Atommüllendlager nicht nur geologisch ungeeignet. Es ist politisch verbrannt. Wir brauchen dringend eine ernsthafte Suche nach einer neuen Option für die Atommüllverwahrung. Dabei denselben gesellschaftlichen Konflikt wie mit Gorleben, der Asse, Morsleben oder Schacht Konrad erneut heraufzubeschwören, ist Irrsinn. Doch genau das tut, wer an Gorleben festhält und den Salzstock nicht ein für allemal als Atommüll-Standort ausschließt.

linksfraktion.de, 27. November 2012