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"In der Regierung sitzen viele Anfänger"

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine, Chef der Linksfraktion, kritisiert die Finanz- und Außenpolitik der Koalition.

Der Haushaltsentwurf für 2007 ist wieder verfassungsgemäß und erfüllt die Maastricht-Kriterien der EU - ein Erfolg der Koalition?

Nein, denn dieses Ergebnis ist teuer erkauft. Insbesondere durch die Mehrwertsteuererhöhung, die dem Volk mit rund 20 Milliarden Euro tief in die Tasche greift. Die Politik der Umverteilung von unten nach oben wird fortgesetzt.

Die Steuereinnahmen sprudeln. Ist es an der Zeit, die Sparpolitik zu beenden?

Die Steuereinnahmen sprudeln nur, weil die Wirtschaft wieder investiert. Der private Konsum ist weiter sehr schwach. Deshalb ist es völlig falsch, die Mehrwertsteuer anzuheben. Um das Wirtschaftswachstum nicht abzuwürgen, sollte die Regierung das zurücknehmen. Das zweite große Problem sind die öffentlichen Investitionen, die in Deutschland nur halb so hoch sind wie in anderen europäischen Ländern. Wir fordern daher, mehr in Schulen, Krankenhäuser und Straßen zu investieren. Finanzieren lässt sich das mit Vermögens- und Erbschaftssteuern.

Zur Außenpolitik: Die Regierung etabliert Deutschland über Bundeswehreinsätze als internationale Mittelmacht. Begrüßen Sie das?

Nein. Die deutsche Außenpolitik verfehlt das Ziel, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Sie holt den Terror ins Land. Wer deutsche Soldaten in alle Welt schickt, muss sich über die gestiegene Gefahr nicht wundern. Wenn wir uns an völkerrechtswidrigen Kriegen gegen andere Länder beteiligen, kommen vielleicht auch die Angehörigen von Opfern dieser Kriege auf die Idee, Anschläge in Deutschland zu verüben.

War es richtig, die Debatte über einen Libanon-Einsatz so früh anzustoßen?

Nein. Das zeigt, dass in der Regierung viele Anfänger sitzen, die Deutschland in militärische Abenteuer hineinschwatzen. Das beginnt beim Verteidigungsminister und endet bei der Chefin.

Das Verteidigungsministerium erwägt eine Grundgesetzänderung, um Auslandseinsätze weiter abzusichern. Sind Sie einverstanden?

Das Grundgesetz sieht die Bundeswehr als Verteidigungsarmee. Demnach waren die letzten Auslandseinsätze mehr oder weniger verfassungswidrig. Ich sehe keinen Anlass, der manischen Sucht mancher Leute, deutsche Soldaten in alle Welt zu schicken, im Grundgesetz Rechnung zu tragen.

Führt der Weg Ihrer 2007 fusionierten Linkspartei in die Fundamentalopposition? Nicht einmal der Berliner SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit würde mit Ihnen im Bund zusammenarbeiten.

Auch wir können uns auf der Grundlage ihrer derzeitigen verfehlten Politik keine Zusammenarbeit mit der SPD vorstellen, denn wir reichen nicht die Hand zum Sozialabbau und zu völkerrechtswidrigen Kriegen. Mit Hartz-IV-Demokraten gehen wir kein Bündnis ein.

Interview: Martin Rücker

Neue Presse, 6. Septembber 2006