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Ich lehne neue Sanktionen ab

Im Wortlaut von Lothar Bisky,

Linksparteichef Lothar Bisky zur Eingliederungsdebatte: Integration zielt auf das Gegenteil von Verdächtigung

Für Linkspartei-Chef Lothar Bisky ist die Diskussion um Sanktionen gegen Zuwanderer, die sich Integrationsmaßnahmen verweigern, eine "Verdächtigungsdebatte". Wer sich besondere Maßnahmen ausdenke, "stellt Einwanderer unter einen generellen Verdacht", so Bisky zu SZ-Korrespondent Hagen Strauss.

Herr Bisky, funktioniert Integration ohne neue Sanktionen?

Wir haben ausreichend Gesetze. Wer gegen sie verstößt, ob Deutscher oder Asylbewerber, der wird rechtsstaatlich behandelt. Sich besondere Maßnahmen auszudenken, stellt Einwanderer unter einen generellen Verdacht. Integration zielt aber auf das Gegenteil von Verdächtigung. Deswegen lehne ich neue Sanktionen ab. Der Streit dreht sich ja vor allem um die Frage, wie man mit Einwanderern umgeht, die sich Eingliederungsmaßnahmen wie Sprachkursen entziehen.
Ich kenne solche Fälle nicht. Für mich ist das eine theoretische Diskussion der Großen Koalition, die Strenge nachweisen will. Es gibt ja auch deutsche Analphabeten, was mach ich denn mit denen? Nein, ich halte dies für absurd.

Das heißt, die jetzige Integrationsdebatte ist eigentlich eine Ausgrenzungsdebatte?

Sie ist eine Verdächtigungsdebatte. Missbrauch gibt es in allen Kreisen. Auch in den allerbesten, politischen Kreisen. Auf dieser Ausgangslage lässt sich aber keine Integrationsdebatte entfalten. Wenn dem Gipfel, der letzte Woche stattgefunden hat, konkrete Taten folgen, die ausländischen Jugendlichen bessere Chancen bieten, dann wäre viel gewonnen. Aber mit Verdächtigungen hilft man nur den ideologischen Spekulanten.

Welches waren die schwerwiegendsten Versäumnisse deutscher Integrationspolitik?

In den letzten Jahren wurde zu viel geredet und zu wenig getan. Man hat die Ghettowelten in den Städten widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Und man lebt darin. Diejenigen, die sich Mühe gegeben haben, Brücken zu schlagen und Integration zu leisten, sind von politischer Seite nicht ermutigt worden. Sondern sie wurden eher gebremst.

Was folgern Sie konkret daraus?

Wir brauchen Dringlichkeitsmaßnahmen. Wenn man türkischen Jugendlichen keine Lehrstellen zur Verfügung stellt, sind Konflikte programmiert. Auch wenn sie ausgezeichnet Deutsch sprechen. Deutsch zu lernen ist ein wesentliches Ziel. Deswegen müssen sich solche Maßnahmen zunächst auf die Kinder konzentrieren. Die Sprache allein beseitigt aber nicht die sozialen Probleme. Wenn so viele Jugendliche keine berufliche Perspektive haben, ist sozialer Zündstoff da.

Das ist ein Aspekt der Integrationsdebatte. Welche Bedingungen sollten Einbürgerungswillige erfüllen müssen? Unionsfraktionschef Volker Kauder erwartet ein Bekenntnis zur "deutschen Schicksalsgemeinschaft".

Das ist mir zu mystisch. Ich setze den Verfassungskonsens voraus. Das heißt, wer sich einbürgern lassen will, muss das Grundgesetz und die Regeln des Zusammenlebens in der deutschen Kultur akzeptieren. Und wer das tut, der leistet doch schon unheimlich viel.

Hintergrund

Im Bundesinnenministerium gibt es Überlegungen für eine Verschärfung des Ausländerrechts. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, es werde erwogen, dass etwa Deutsche, die von Sozialhilfe leben, keine ausländischen Ehepartner mehr ins Land holen können. Ein Ministeriumssprecher sagte, es handele sich um einen Erfahrungsbericht zum Zuwanderungsgesetz, das seit Anfang 2005 in Kraft ist. Dem "Spiegel"-Bericht zufolge sollen Ehen zwischen Deutschen und Ausländern zudem künftig deutlich länger als die bisher vorgesehenen zwei Jahre halten müssen, bevor der ausländische Partner nach einer Scheidung ein eigenes Aufenthaltsrecht erhält. dpa

Saarbrücker Zeitung, 17. Juli 2006