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„Heute vertritt die Linke das Programm der SPD“

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Fraktionschef Lafontaine über unglaubwürdige Gewerkschafter, glaubwürdige Katholiken - und sein Streben nach Macht

Herr Lafontaine, wie wichtig ist es Ihnen, Macht zu haben?

Macht ist wichtig, wenn man etwas verändern will. Das wollte ich immer, so wurde ich schon als 32-Jähriger Oberbürgermeister in Saarbrücken. Seither habe ich mich bemüht, die Macht so einzusetzen, dass Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger das Ergebnis waren.

Wie reizvoll ist es für Sie, Vorsitzender der vereinigten Linken zu werden?

Ich bin schon lange im politischen Geschäft, insofern ist die Faszination von Ämtern deutlich zurückgegangen. Aber über eine neue Linke die deutsche Politik zu korrigieren, das ist eine wichtige Aufgabe.

Wir verstehen das aber richtig: Auch als Parteichef würden Sie Fraktionschef im Bundestag bleiben wollen?

Ich habe mich noch nicht entschieden, für das Amt des Parteivorsitzenden zu kandidieren. Ich möchte erst die Ergebnisse der Parteitage und deren Programmbeschlüsse abwarten.

Und die Trennung von Amt und Mandat ist für Sie kein Thema?

Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Aber zurzeit ist es wichtig, dass wir als gesamtdeutsche Partei wahrgenommen werden und dass nicht nur bekannte Politiker aus dem Osten, sondern auch prominente Politiker aus dem Westen das Erscheinungsbild der neuen Linken bestimmen.

Fühlen Sie sich manchmal noch fremd in der Linkspartei?

Wenn Sie darauf abzielen, dass es Diskussionen gibt: Ich komme aus einer großen Partei, in der es viele heftige Diskussionen gab, an denen ich beteiligt war …

Es wird kolportiert, dass Sie es bereuen, nicht SPD-Chef geblieben zu sein?

Ich habe meinen Rücktritt immer wieder kritisch infrage gestellt. Ich komme aber nach wie vor zu dem Ergebnis, dass ich es als Parteichef mit einem Kanzler Gerhard Schröder nicht mehr geschafft hätte, das 1998 den Wählern versprochene Programm durchzusetzen. Insofern war der Rücktritt unausweichlich. Wenn ich jetzt die Politik der SPD sehe, muss ich aber schon sagen, dass ich eine solche Entwicklung nicht für möglich gehalten hätte. Die SPD ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Die neue Partei, die im Juni entstehen soll, erbt von der WASG eine Reihe linker Sektierer. Welche Rolle soll nun etwa Lucy Redler spielen?

Wer mitmachen will, macht mit. Wer nicht mitmachen will, macht nicht mit. Ansonsten entscheiden Mehrheiten über die Richtung. Jede Partei hat Minderheiten und Außenseiter, das ist im demokratischen Leben selbstverständlich. Abweichende Meinungen muss man respektieren.

Gregor Gysi hat vorgeschlagen, auf den Grabstein der PDS zu schreiben: „Wir waren doch ganz nett“. Was bleibt von der WASG?

Die WASG wird weiterleben, wenn auch in neuem Gewande. Sie hat dazu beigetragen, dass die neoliberalen Dogmen ins Wanken kamen und sich ein Fünf-Parteien-System in Deutschland etabliert. Diese historische Veränderung deutscher Politik kann sie mit für sich beanspruchen.

Im Moment herrscht Funkstille zwischen SPD und Linkspartei. Man hat auch nicht den Eindruck, dass Sie sich um Annäherung bemühen …

Die Funkstille ergibt sich aus einer politisch-inhaltlichen Auseinanderentwicklung, die extrem ist. Heute vertritt die Linke das Programm der SPD, das 1998 bei den Wählerinnen und Wählern noch große Zustimmung fand - in der Außen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Zurzeit spielt Ihnen die SPD ja regelrecht in die Hände. Rente mit 67, Unternehmensteuerreform …

Parteipolitisch müsste ich mich über solche Torheiten freuen. Da damit Sozialabbau und gesellschaftliche Fehlentwicklungen verbunden sind, kann ich das nicht.

Warum wirkt sich die SPD-Politik in den Umfragen nicht stärker für Sie aus?

Eine Erklärung ist sicher, dass wir bisher nicht die Vereinigung der beiden linken Parteien zustande gebracht haben, dass also viele Menschen noch abwarten. Das Zweite ist, mit Verlaub, dass wir eine massive Mediensperre haben. Für viele Medien gibt es, wenn sie über die Opposition berichten, nur FDP und Grüne.

Und eigene Fehler? Hat sich die Linke nicht zu lange mit sich selber beschäftigt?

Im Blick auf die letzten Monate kann man zu einem solchen Urteil kommen. Aber Sie werden sehen: Sobald es uns gelingt, im Westen eine Organisation aufzubauen, die mit FDP und Grünen vergleichbar ist, werden wir deutlich stärker als zehn Prozent.

Die WASG wollte einen Keil in die SPD treiben. Davon ist nicht viel zu sehen …

Auf jeden Fall nicht ausreichend, auch wenn sich das von Landesverband zu Landesverband unterschiedlich darstellt. Aber wir leben auch in einer Zeit, in der es mit dem parteipolitischen Engagement der Bürger nicht weit her ist. Und leider haben sich viele enttäuschte Sozialdemokraten zurückgezogen und wollen nicht mehr politisch arbeiten. Darunter leiden auch wir. Tatsache ist, dass der Bundestag - ob in der Sozial-, Steuer-, Arbeitsmarkt- oder Gesundheitspolitik - immer mit Zweidrittelmehrheit gegen zwei Drittel des Volkes abstimmt. Das ist eine eklatante Fehlentwicklung der Demokratie. Es ist abenteuerlich zu beobachten, dass unser Beharren, die Meinung des Volkes zu respektieren, von den anderen Parteien und vielen Medien als Populismus verurteilt wird. Welche Anmaßung steckt dahinter, dass man sich mit seinem politischen Mandat so viel klüger fühlt als Millionen andere.

Aber nicht einmal die Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften suchen Ihre Nähe …

Wir führen Gespräche, aber die führenden Gewerkschafter fühlen sich auch den Parteien verpflichtet, deren Mitglieder sie sind. Im mittleren Funktionärsbereich beginnt aber bereits ein Nachdenken. Man kann nicht als Parteimitglied für Renten- und Lohnkürzung sein, für Praxisgebühr und Milliardengeschenke an Unternehmen und sich als Gewerkschafter dann gegen all dies aussprechen. Das geht auf Dauer zulasten der Glaubwürdigkeit.

Strategisch scheint es Ihnen aber überhaupt nicht wichtig zu sein, eine linke Regierung an die Macht zu bringen.

Doch, das ist mir sehr wichtig. Aber ich habe sehr klare Vorstellungen davon, was eine linke Regierung ist. Sie kann nicht - so wie das bei Rot-Grün der Fall war und wie es die jetzige große Koalition fortsetzt - für Sozialabbau und völkerrechtswidrige Kriege sein.

Mit Kurt Beck ist also nichts zu machen?

Bisher hat er nicht erkennen lassen, dass er diesen Kurs für falsch hält. Es geht aber nicht um Beck, Müntefering oder Lafontaine, es geht um die Inhalte der Politik. Sobald die SPD sich wieder für soziale Gerechtigkeit und einen starken Sozialstaat engagiert und zur Außenpolitik Willy Brandts zurückkehrt, haben wir eine völlig neue Situation. Wenn eine Regierungsbeteiligung gute Ergebnisse bringt, bin ich sofort dafür.

Fänden Sie es gut, wenn es in Deutschland eine Welle von Verstaatlichungen gäbe?

Im Moment haben wir ja das Gegenteil: eine große Welle von Privatisierungen. Die Rückübertragung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft in gesellschaftliche Verantwortung - ob Gemeinde, Land, Bund oder Genossenschaft - wäre eine nötige Korrektur. Wenn die Deutsche Bank jetzt für die Verstaatlichung der Stromnetze eintritt, zeigt das, dass die Linke bei ihren Forderungen eher noch zu zaghaft ist. Die Netze müssen in staatlicher Verantwortung bleiben. Das gilt auch für die Bahn. Wenn die Koalition erwägt, das Bahnnetz zu privatisieren, zeigt das, dass sie die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat.

Haben Sie schon einmal eine drastische Zuspitzung bereut? Neulich haben Sie den Irakkrieg mit dem RAF-Terror verglichen …

Das ist keine drastische Zuspitzung, sondern ein notwendiger Denkanstoß. Die deutsche Öffentlichkeit drückt sich vor der Antwort auf die Frage, was Terrorismus ist. Nur ein Beamter hat das neulich der Regierung zu meiner klammheimlichen Freude ins Gesetz geschrieben. Dort steht, ein Terrorist ist für rechtswidrigen Gewalteinsatz, um seine politischen Ziele umzusetzen. Das gilt natürlich für die RAF genauso wie für Blair und Bush. Selbst die UN sagen inzwischen, dass die Iraker in dem schlimmen Regime Saddam Husseins besser gelebt haben als jetzt in dem schrecklichen Krieg, den Bush und Blair zu verantworten haben.

Irritiert hat auch Ihr Hinweis, mit der Beteiligung am Antiterrorkampf der USA, zum Beispiel durch den Tornadoeinsatz in Afghanistan, holten wir den Terror nach Deutschland.

Wieso irritiert das? Auch Bayerns Innenminister Beckstein hat diesen Zusammenhang hergestellt, und der ist bestimmt nicht linker Abweichung verdächtig. Wenn der ehemalige Verteidigungsminister Struck den törichten Satz geprägt hat, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt, dann kann die Antwort der Afghanen sein: Der Tod meiner Verwandten wird auch in Deutschland gerächt.

2009 wollen Sie Spitzenkandidat der Linkspartei im Saarland werden. Wird es so lange dauern, bis Ihre Partei in ein westdeutsches Landesparlament einzieht?

Ich hoffe nicht. In Bremen sieht uns eine Umfrage bei sechs Prozent. Aber ich gab ja bereits zu, dass wir eine organisatorische Schwäche im Westen haben. Im Saarland kommen wir mit Sicherheit in den Landtag.

Welche Rolle wird Ihre Frau Christa Müller spielen? Aufgefallen ist sie jetzt mit Lob für den Augsburger Bischof Mixa, der die Kinderkrippenpolitik von CDU-Ministerin Leyen scharf kritisiert hatte.

Meine Frau arbeitet in der saarländischen Linkspartei mit. Sie hat nicht Mixa gelobt, der sich mit dem Wort „Gebärmaschine“ vergriffen hat. Sie hat dem katholischen Bischof in der Einschätzung recht gegeben, dass von der Leyens Politik das Ziel hat, gut ausgebildete Frauen möglichst schnell wieder in den Beruf zu bringen. Das kann nicht der Ansatz von Familienpolitik sein. Diese Kritik teile ich. Familienpolitik muss das Kindeswohl im Auge haben und die Wahlfreiheit von Eltern auch mit niedrigen Einkommen. Davon kann derzeit keine Rede sein. In den unteren Einkommensschichten sind beide Elternteile gezwungen, berufstätig zu sein. Wahlfreiheit haben nur die Besserverdienenden. Niemand soll sich anmaßen, Eltern vorzuschreiben, wie sie in den ersten Jahren die Erziehung ihrer Kinder handhaben. Deshalb hat unsere Bundestagsfraktion ein Konzept vorgelegt, das auch Eltern mit niedrigeren Löhnen die Entscheidungsfreiheit lässt, wie sie ihre Kinder aufziehen. Wenn das katholische Familienverbände ähnlich sehen, muss es die Linke nicht für falsch halten.

Das Gespräch führten Matthias Meisner und Rainer Woratschka.

Der Tagesspiegel, 19. März 2007