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Handreichung zur Debatte über assistierten Suizid

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Am Donnerstag dieser Woche debattiert der Bundestag über bislang vier verschiedene Gruppenanträge zum Thema "assistierter Suizid". Die Anträge wurden fraktionsübergreifend erarbeitet. Wir stellen in einer Übersicht die jeweiligen Inhalte, Schwerpunkte und Unterschiede zusammen und klären Begriffe zum Thema.
Eine tabellarische Übersicht kann hier heruntergeladen werden: Tabelle Assistierter Suizid I. Begriffe und aktuelle Rechtslage

Die Begriffe werden teils unterschiedlich und/oder nicht trennscharf verwendet. Die einzelnen Gesetzesinitiativen definieren daher meist im Begründungsteil, was genau sie unter den bei ihnen verwendeten Begriffen verstehen. Teils werden Begriffe, insbesondere passive bzw. indirekte Sterbehilfe, von einigen Akteuren abgelehnt. Die juristisch definierten Begriffe „geschäftsmäßig“ und „erwerbsmäßig“ werden in der politischen Debatte nicht immer korrekt verwendet.

Tötung auf Verlangen („Aktive Sterbehilfe“)

Definition: Ein sterbewilliger Mensch wird auf dessen Wunsch hin getötet

Beispiele: Ärztliches Verabreichen einer tödlich wirkenden Spritze; Absichtliche Applikation einer „Überdosis“ Schmerzmittel

Rechtslage: Tötung auf Verlangen ist in Deutschland verboten (§ 216 StGB), wird allerdings in der Regel weniger hart bestraft als die anderen Tötungsdelikte. Motivation des/der Handelnden oder deren/dessen Beziehung zum Sterbewilligen sind für die Strafbarkeit nicht relevant, wohl aber für das Strafmaß. In einigen Ländern, etwa Niederlande, ist die Tötung auf Verlangen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Keine der vorliegenden Gesetzesinitiativen sieht Änderungen bei der Tötung auf Verlangen vor.

Assistierter Suizid (auch „Beihilfe zur Selbsttötung“)

Definition: Eine Person eröffnet einem sterbewilligen Menschen eine Möglichkeit der Selbsttötung, die ohne diese Beihilfe so nicht möglich gewesen wäre

Beispiel: Bereitstellen tödlich wirkender Medikamente, ohne sie aber selbst zu applizieren

Rechtslage: Assistierter Suizid ist in Deutschland grundsätzlich nicht verboten, die unscharfe Rechtslage eröffnet einen breiten individuellen Entscheidungsspielraum. Allerdings untersagten Gerichte teils die organisierte Suizid-Assistenz mit Gewinnerzielungsabsicht.

Gerade bei Ärztinnen und Ärzte („Garantenstellung“), aber auch anderen Personen, kommt nach der jetzigen unscharfen Rechtslage eine Strafbarkeit wegen Unterlassung infrage, etwa wenn sie den Sterbeprozess erkennen, ihnen die Willensäußerung der/des Sterbewilligen aber nicht selbst bekannt ist. Sie wären dann zu lebenserhaltenden Maßnahmen verpflichtet.

Unabhängig vom Strafrecht sind Ärztinnen und Ärzten Handlungen der Suizidassistenz in der Mehrheit der Bundesländer durch berufsrechtliche Vorschriften der Ärztekammern untersagt.

Gerechtfertigter Behandlungsabbruch („Passive Sterbehilfe“)

Definition: „Sterben lassen“; Lebenserhaltende Maßnahmen werden auf Wunsch der/des Betroffenen (auch etwa durch eine Patientenverfügung) oder deren/dessen Vertretung nicht eingeleitet oder abgebrochen.

Beispiele: Nichteinleiten einer medizinischen Reanimation; das Abstellen von lebenserhaltenen Geräten

Rechtslage: Der gerechtfertigte Behandlungsabbruch ist in der Regel weder strafrechtlich noch berufsrechtlich verboten. Gemäß Bundesgerichtshof „kommt es nicht darauf an, ob der Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen durch aktive Handlungen erfolgt, wie beispielsweise durch das Entfernen eines Ernährungsschlauchs. Die Einwilligung eines Patienten rechtfertige nicht nur den Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen, sondern auch durch aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer vom Patienten nicht oder nicht mehr gewollten Behandlung dient" (25.6.2010, Az. 2 StR 454/09).

Therapie am Lebensende („Indirekte Sterbehilfe“)

Definition: Palliativmedizinische Behandlung, bei der eine mögliche lebensverkürzende Wirkung zugunsten einer maximierten (schmerz-) therapeutischen Wirksamkeit bewusst in Kauf genommen wird.

Beispiel: Sedierung bzw. Schmerzbehandlung mithilfe hochdosierter, aber therapeutisch vertretbarer Opiate

Rechtslage: Die Therapie am Lebensende ist in der Regel weder strafrechtlich noch berufsrechtlich verboten.

Hinweis: Alle zu debattierenden Gesetzesinitiativen sehen nur Änderungen bei assistiertem Suizid vor. Die Straflosigkeit von (versuchtem) Suizid, gerechtfertigtem Behandlungsabbruch und Therapie am Lebensende wird ebenso wie das Verbot von Tötung auf Verlangen infrage gestellt.

Geschäftsmäßige und organisierte Ausübung der Suizidassistenz

Geschäftsmäßig ist die Tätigkeit, wenn sie auf eine regelmäßige Ausübung ausgelegt ist. In Abgrenzung zur erwerbsmäßigen Ausübung sind meist nichtkommerziell handelnde Organisationen (etwa Vereine, dann ist die Ausübung auch organisiert) oder Personen gemeint. Sofern Ärztinnen und Ärzte ihre berufliche Tätigkeit auf wiederholte Suizidbeihilfe auslegen, handeln auch sie geschäftsmäßig. Eine Ärztin, die etwa einem langjährig begleiteten Patienten beim Suizid hilft, handelt dagegen nicht geschäftsmäßig.

Gewerbsmäßige bzw. kommerzielle Ausübung der Suizidassistenz

Gewerbsmäßig ist die Ausübung von Suizidassistenz mit Gewinnerzielungsabsicht, also als Einnahmequelle, die nicht nur vorübergehend und nicht unwesentlich ist. Gewerbsmäßige Suizidassistenz ist momentan nicht explizit gesetzlich geregelt. Das Hamburger Oberlandesgericht entschied jedoch, „diese Form der Sterbehilfe widerspreche den allgemein anerkannten moralischen und sittlichen Wertvorstellungen und dem Menschenbild des Grundgesetzes“ und erklärte 2009 im Fall Kusch das damals bestehende polizeiliche Verbot eines Unternehmens, das gegen Entgelt Suizidbeihilfe anbot, als rechtmäßig. Der Unterlegene führte die organisierte Suizidassistenz daraufhin als nichtkommerziellen Verein fort.

Suizidassistenz als eigenständiges gewinnorientiertes Geschäftsmodell – in diesem Sinne werden die genannten Begriffe meist verwendet - wird von allen Gruppen im Bundestag abgelehnt. Nicht klar geregelt ist die Frage, ob eine ärztliche Suizid-Beihilfe als gewerblich anzusehen ist, wenn sie zwar vergütet wird, die Vergütung aber insgesamt keinen wesentlichen Teil der Einkünfte ausmacht. Der Zusatz „kommerziell“ wird meist synonym mit „gewerbsmäßig“ gebraucht.

II. Kurzdarstellungen der vier eingebrachten/angekündigten Gesetzesinitiativen (sortiert ausgehend von der bisherigen Rechtslage) 1. Hintze/Lauterbach/Reimann

Der Gesetzentwurf regelt kein Verbot im StGB, sondern Einzelheiten und Voraussetzungen für die Suizidbeihilfe durch Ärztinnen und Ärzte im BGB. Die Intiator_innen lehnen „Sterbehilfeorganisationen“ zwar ab, halten die Anwendung des Strafrechts aber hier für ungeeignet und gehen davon aus, dass ihnen durch Möglichkeit der ärztlichen Suizidassistenz der Boden entzogen würde. Ob sich die Rechtsprechung zu Unternehmen, die Suizid-Assistenz anbieten, ändern würde, müsste abgewartet werden.

Die ärztliche Suizidbeihilfe wird explizit erlaubt, aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft (u.a. tödliche Krankheit der/des Betroffenen, vorhergehende Beratung über andere Behandlungsmöglichkeiten, Einholung einer zweiten ärztlichen Meinung zu Krankheitsverlauf und Einwilligungsfähigkeit). Die Gewissensfreiheit der Ärztinnen und Ärzte wird explizit gewährleistet.

2. Künast/Sitte/Gehring

Der Gesetzentwurf stellt klar, dass Suizidassistenz grundsätzlich nicht strafbar ist (entspricht im Wesentlichen bisheriger Rechtslage). Dagegen werden die gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe) sowie die gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung im StGB verboten. Es werden Kriterien für die Beratung und Dokumentation für die organisierte oder geschäftsmäßige Suizidassistenz aufgestellt. Die Bundesregierung soll alle vier Jahre einen Evaluationsbericht vorlegen.

3. Brand/Griese/Vogler/Terpe/Wawzyniak

Der Gesetzentwurf verbietet im StGB die geschäftsmäßige Förderung - im Sinne von Gelegenheit verschaffen, gewähren oder vermitteln - der Selbsttötung (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe). Dies betrifft nicht nur die Menschen, die Suizidassistenz ausüben, sondern auch etwa diejenigen, die die Fahrt in ein Land, wo die gewünschte Suizid-Assistenz oder aktive Sterbehilfe erlaubt sind, ermöglichen oder organisieren („Sterbetourismus“). Teilnehmer (im Sinne von Menschen, die die Suizidassistenz selbst nicht durchführen, aber dazu anstiften oder Hilfe leisten) werden jedoch nicht bestraft, wenn sie Angehörige oder Nahestehende der/des Sterbewilligen sind und nicht geschäftsmäßig handeln.

4. Sensburg/Dörflinger

Sowohl Beihilfe als auch die Anstiftung zur Selbsttötung werden im StGB verboten (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre). Dabei soll es im Gegensatz zu anderen Entwürfen keine Ausnahmen für bestimmte Gruppen geben. Die Initiatoren gehen davon aus, dass sich solche Ausnahmen in einem Gesetz kaum regeln ließen. Sie weisen aber darauf hin, dass „in extremen Einzelsituationen, bei denen z.B. keine Schmerztherapie hilft und großes Leiden besteht, auch heute schon Möglichkeiten, mangels Schuld ganz von Strafe abgesehen werden könne. 

 

linksfraktion.de, 29. Juni 2015