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Guter und schlechter Wahlbetrug?

Im Wortlaut von Gesine Lötzsch,

Foto: picture alliance/dpa

 

 

Von Gesine Lötzsch, Haushaltsexpertin

Zeitfenster, in denen bestimmte Handlungen möglich sind, öffnen und schließen sich. Keiner kann sagen, wie lange sie offen sind. Keiner weiß, wie lange sie geschlossen bleiben. Börsianer leben davon, dass sie ihre Computer millisekundengenau über Milliardengeschäfte entscheiden lassen. Klar ist: Ob sich ein Zeitfenster öffnet oder schließt, hängt nicht von Parteitagsbeschlüssen ab. Die Arbeitsmethode “Kommen wir heute nicht, kommen wir morgen” ist in der Politik verhängnisvoll. Jetzt ist ein historisches Zeitfenster für eine SPD-LINKE-Grüne Koalition geöffnet. Jetzt kann die SPD handeln. Nein, sie wartet ab, bis sich das Zeitfenster schließt.

Die Folgen dieses Nichthandelns sind noch nicht abzusehen. Wir brauchen jetzt kühne Entscheidungen, damit Europa nicht in der Bankenkrise versinkt und die gigantischen Handelsungleichgewichte in der Welt nicht zu einer Weltwirtschaftskrise führen. Wir brauchen jetzt kühne Entscheidungen, damit wir unsere Lebensgrundlagen nicht vollständig zerstören. In zwei oder vier Jahren kann es zu spät sein, oder es kostet uns ein Vielfaches vom dem, was es heute kosten würde. Zeit ist Geld, das hat die SPD noch nicht verstanden.

Ein Journalist erklärte mir, dass die SPD auf keinen Fall mit Grünen und LINKEN jetzt eine Koalition bilden dürfte, das wäre Wahlbetrug. Ja, das stimmt, das wäre Wahlbetrug.
Doch gibt es guten und schlechten Wahlbetrug? CSU/CDU und SPD arbeiten gerade an einem ganz großen Wahlbetrug - dem Koalitionsvertrag. Die SPD hat mehr Gerechtigkeit im Wahlkampf versprochen. Sie wollte mit höheren Steuern umverteilen, um in Bildung, in gutes Personal, in Kindergärten und in Straßen zu investieren. Dass die SPD jetzt ganz auf Steuererhöhungen verzichten will, ist natürlich Wahlbetrug. Dieser Wahlbetrug wird sehr vielen Menschen schaden. Den Menschen, die darauf gehofft hatten, dass ihre Kinder in einem neuen Kindergarten betreut werden, die darauf gehofft hatten, dass ihre Kinder eine bessere Ausbildung bekommen oder die darauf gehofft haben, dass Straßen, Bahnhöfe und Krankenhäuser in Ordnung gebracht werden. Die SPD wird Wahlbetrug begehen, sie muss sich nur fragen, welcher Betrug für unser Land den geringeren gesellschaftlichen Schaden anrichtet.

In der „Streich-AG“ wollen Herr Schäuble (CDU) und Herr Scholz (SPD) die geplanten Mehrausgaben pro Jahr von 50 Milliarden Euro auf 10 Milliarden Euro senken. 2015 wollen sie ohne neue Schulden auskommen. Ich bin auch dafür, keine neuen Schulden zu machen und trotzdem mehr Geld in unsere Zukunft zu investieren. Das geht allerdings nur mit mehr Steuergerechtigkeit. Doch Steuergerechtigkeit war noch nie mit CDU und CSU zu machen. Dafür braucht die SPD andere Partner.

Die SPD hat in ihrer Geschichte einiges für die arbeitenden Menschen erreicht. Sie hätte aber viel mehr erreichen können, wenn sie nicht so häufig zugeschaut hätte, wie sich historische Zeitfenster schließen.

 

linksfraktion.de, 22. November 2013