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Glück auf aus Herne - Post für »clara.«

Periodika,

Klaudia Scholz ist eine resolute Frau. »Ich sag immer: Lasst nicht alles mit Euch machen!« Deshalb mischt sie sich ein in Politik. Wer sie in Wanne-Eickel in ihrem kleinen Haus in einer Bergarbeitersiedlung besucht, dem signalisiert die ganze Wohnung Kampfgeist. Fotos von Demonstrationen, Flyer und Sprüche zieren die Wände. Und selbst im Bad prangt in voller Länge der Text der »Internationale«, des alten Arbeiterkampfliedes.
Klaudia lässt sich nichts gefallen. Das hat sie von den Kumpels gelernt. Ihr Leben lang arbeitete die heute 55-Jährige in Herne im Bergbau - nicht unter Tage, sondern in der Telefonzentrale der Zechengesellschaft. Um ihr kleines Reihenhaus abzuzahlen, jobbte sie an den Wochenenden nebenher zehn Jahre lang nachts als Klofrau in einer Disco. Dann, vor drei Jahren, gehörten rund 300 Arbeitsplätze der Zeche plötzlich zu einer neuen Firma. Klaudias Arbeit wurde »outgesourced«, ausgelagert. Und wenig später hieß es, ihr neuer Arbeitsplatz sei nun im Saarland. Das verkraftete sie nicht. Klaudia wurde krank. Ihr Leben lang hatte sie mit ihrer Familie im Ruhrgebiet gelebt und gearbeitet. Seit einem Jahr ist Klaudia Frührentnerin. Sie macht das Beste daraus.

Hartz IV ist eine Schande

»Heute habe ich endlich die Zeit, richtig was zu tun«, sagt sie und lacht. Jede Woche findet man sie seither auf den Montags-demos gegen Hartz IV. Bei den LINKEN im Kreisverband Herne sitzt sie als Delegierte im Umweltausschuss. Und im Arbeitslosenzentrum »Zeppelin« in Wanne-Eickel organisiert sie die Treffen im Frauencafé. Rund 20 Frauen aus der Umgebung kommen hier wöchentlich zusammen. Mal diskutieren sie über Hartz IV. Mal werden Aktionen geplant. An Ideen mangelt es nicht. Da war zum Beispiel der Umzug bei der Cranger Kirmes: »Da sind wir als Ein-Euro-Sklaven gegangen, und Schröder ist mit der Peitsche hinter uns hergelaufen«, erzählt Klaudia lachend.
Christel, Margot, Dagmar und Leni kichern. Sie lieben Klaudia für ihre verrückten Einfälle. Dicht gedrängt sitzen die vier Frauen um den Tisch in Klaudias kleiner Küche und blättern in der »clara.«, dem Magazin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag. »Wir sind fast so was wie ein ›clara.‹-Fanclub«, meint Klaudia. Sie liest die Zeitschrift immer von vorn bis hinten durch, und manchmal reagiert sie mit einem Leserbrief. »›clara.‹ ist immer dabei!«, schreibt sie zum Beispiel. »In Diskussionen mit meinen Freundinnen dient sie mir als Argumentationshilfe.« Und wenn einmal die Artikel zu Hartz IV in der »clara.« fehlen, ist Klaudia enttäuscht.

»Hartz IV ist immer unser Thema«, sagt Christel. Sie hat früher als Weißnäherin gearbeitet. Ihre Rente muss die 72-Jährige heute mit Sozialhilfe aufstocken. Christel hat Krebs. »Meine Frauen und das ›Zeppelin‹ geben mir Halt«, sagt sie. Auch Margot war jahrelang Näherin. Die 60-Jährige lebt heute von Hartz IV. »Wenn ich an das Bürgergeld der FDP denke, wird mir ganz schlecht«, meint sie.
Dagmar kann dem nur beipflichten. Nach Jahren als Fabrikarbeiterin schulte sie mit 45 zur Altenpflegerin um. Eine halbe Stelle bei der AWO musste sie mit Hartz IV aufstocken. Monatelang lebte sie ausschließlich von Hartz IV. Seit einigen Wochen hat die 52-Jährige nun wieder einen Job als Altenpflegerin. Leni, die vierte im Bund ist 63 und Rentnerin. Alle vier arbeiten genau wie Klaudia ehrenamtlich im Arbeitslosenzentrum
»Zeppelin«. Margot und Leni helfen in der »Klamottenkiste«. Dort verkaufen sie Second-Hand-Kleidung zu kleinen Preisen an Arbeitslose. Christel und Dagmar helfen in der Küche, wo unter der Woche täglich ein preisgünstiges Mittagessen für Bedürftige zubereitet wird.

Es klingelt an der Haustür. »Die Tür ist offen«, ruft Klaudia, »kommt einfach rauf!« Es wird eng in ihrer Küche. Christel Nummer zwei, die im Arbeitslosenzentrum kocht, und Marion, die im Frauencafé mithilft, kommen vom Sport. Dazu stoßen noch Bärbel und Veronika, die beiden Ratsfrauen der LINKEN in Herne, und Corinna, die gerade erst an-fängt, linke Politik zu machen. Zu zehnt drängen sich die Frauen vor einem kleinen Computerbildschirm. Marion hat eine DVD von der Modenschau beim Gemeindefest im Sommer mitgebracht.
»Da war ich die Merkel«, erzählt Christel stolz. In einem schicken Anzug stolziert die 72-Jährige im Film durch die kleine Cafeteria des Gemeindezentrums. In den Händen hält sie eine Glasschale mit Sand. »Und hier sehen Sie unser Modell Merkel«, moderiert Klaudia aus dem Off. »Elegant und knitterfrei kommt es daher. Das sitzt und ist perfekt für jeden repräsentativen Auftritt. Wenn Sie keine Lust mehr haben, herumzurepräsentieren, dann stecken Sie einfach den Kopf in den Sand!« Christel versenkt ihren Kopf in die Glasschale und geht langsam aus dem Saal. Die Zuschauer lachen und applaudieren.
Zwölf Modelle stellte Klaudia den Gästen des Gemeindefestes vor. Da war die Abwrackprämie, der Matchboxautos um den Hals hingen, da stolzierte das Modell Mißfelder über den Laufsteg, geschmückt mit abgerissenen Puppenbeinen, ganz nach dem Motto: »Keine Hüfte mehr ab 85!« - und natürlich durfte das Modell Hartz IV nicht fehlen: Ein windiges Modell, das auf einem Drahtseil balancieren musste, um nicht abzurutschen.

»Mann! Das hat so einen Spaß gemacht«, ruft Klaudia in die Stille nach dem Film. In solchen Momenten vergessen die Frauen den Hartz-Alltag für eine Weile. Ideen kosten fast nichts, und sie gehen Klaudia auch nie aus. Manchmal schreibt sie neue Texte für alt-bekannte Lieder, wenn Feiern im Arbeitslosenzentrum oder Demos anstehen. Statt »Für mich soll’s rote Rosen regnen…« stimmen Klaudia und ihre Frauen andere Töne an: »Für uns soll’s wieder Arbeit regnen, uns sollte niemals ein Mini-Job begegnen!«, heißt es dann.

»clara.«liestfrau auch im Schwimmbad

Neben aller Politik kümmert Klaudia sich auch intensiv um die gemeinsame Freizeit. Sport ist gut für Geist und Köper. Regelmäßig besucht sie mit ihren Frauen das Herner Schwimmbad. Im Sommer liegen sie dann in der Sonne, lesen sich aus
der »clara.« vor und diskutieren. Schade, dass jetzt nicht Sommer ist und das geplante Foto erst im nächsten Jahr entstehen wird. Im Herbst und Winter organisiert Klaudia mit den Leitern der beiden Arbeitslosenzentren von Herne und Wanne-Eickel kulturelle Ausflüge für Arbeitslose in die Umgebung. Diesmal geht’s zum Gasometer nach Oberhausen, der das Wahrzeichen der Stadt ist und zugleich auch als Kulturdenkmal mehr als nur das Symbol einer untergegangenen Industrie verkörpert. »Sternstunden - Wunder des Sonnensystems« heißt die aktuelle Ausstellung, die Klaudia, Christel, Leni und die anderen besuchen. Sternstunden können manchmal auch sehr irdisch sein. Wer Frauen wie Klaudia und ihre Freundinnen kennenlernt, hat die Gelegenheit, das festzustellen. Ihr Elan ist ansteckend, und wer ihnen begegnen will, der schreibe an die Redaktion »clara.«.