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»Gezielte Tötungen« – ein Euphemismus für außerrechtliche Hinrichtungen

Nachricht,

Fachgespräch „Gezielte Tötungen – staatlich sanktionierter Mord?“ der Fraktion DIE LINKE. am 4. Juni 2012 in Berlin

Zwischenzeitlich sind „Gezielte Tötungen“ zu einem der zentralen Mittel der US-Regierung in ihrem selbst erklärten, weltweiten „Krieg gegen den Terror“ geworden. Zum Einsatz kommen ferngesteuerte, bewaffnete Drohnen, aber auch Spezialkräftekommandos, die gezielt  Menschen töten. Obwohl die meisten „gezielten Tötungen“ völlig ohne Öffentlichkeit stattfinden, sind in den letzten Monaten fast jede Woche solche Einsätze im Jemen, in Pakistan und Afghanistan bekanntgeworden, da sie zum Teil Hochzeitsgesellschaften, Feste oder größere Gruppen von Menschen töteten.

In Teilen der Wissenschaft aber auch der Politik und den Medien wird diese Form der Hinrichtung von Menschen als Teil der „modernen Kriegführung unter asymmetrischen Bedingungen“ gerechtfertigt. Die NATO-Staaten tragen diese US-Strategie mit. Auch die Bundeswehr in Afghanistan leistet einen Beitrag zu diesen „Gezielten Tötungen“, indem sie Informationen beisteuert und Personen benennt, die dann auf die capture/kill-Listen der NATO gesetzt werden.

Ob und welche Rechtsgrundlagen gelten, bleibt unklar. Dem Vernehmen nach soll der US-Präsident die Todeskandidaten selbst auswählen. Für die Auswahl gibt es keinerlei gerichtliche Überprüfung. Damit wird die Durchführung von „Gezielten Tötungen“ zu Hinrichtungen durch Präsidentendekret. Alle männlichen Personen über 18 Jahren in der Umgebung einer Zielperson werden automatisch als Verdächtige eingestuft, und damit zum „legitimen“ Ziel für diese Angriffe.

Diese beunruhigende Entwicklung nahm die Fraktion DIE LINKE  im Bundestag zum Anlass, um auf Initiative von Annette Groth und Paul Schäfer eine Expertenanhörung zum Thema durchzuführen.

Als Referenten wurden  Dr. Wolfgang S. Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte, Dr. Nils Melzer vom Kompetenzzentrum Menschenrechte der Universität Zürich, Professor Norman Paech aus Hamburg und Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) eingeladen.

Alle Referenten teilen die Sorge um die Enthemmung bei der Anwendung von Gewalt in bewaffneten Konflikten durch die Praxis der „Gezielten Tötungen“ und die Konsequenzen für die Zivilbevölkerung.

Niels Melzer sah selbst unter Kriegsvölkerrecht die Gefahr der groben Unverhältnismäßigkeit der Mittel in solchen Einsätzen. Auch in bewaffneten Konflikten gelte die Maxime dass ein feindlicher Kämpfer nur dann zu töten sei, wenn sein Tod eine militärische Notwendigkeit darstelle, und dies sei auch in Afghanistan oft nicht der Fall. Hier verwies er auf die Kriterien, die das Internationale Rote Kreuz an die Anwendung von Gewalt gegen feindliche Kämpfer anlege.

Andreas Schüller zeigte auf, dass es im Ergebnis der Drohnen-Offensive Obamas mittlerweile mehr getötete ‘Terrorismusverdächtige‘ in Afghanistan und Pakistan gäbe, als Guantanamo Insassen gehabt habe. Ähnlich wie Melzer sah er eine rechtskonforme Art und Weise des Einsatzes von Drohnen in bewaffneten Konflikten, verwies jedoch selbst auf rechtliche Grauzonen: Wann könne man von einem bewaffneten Konflikt sprechen? Er zeigte sich besorgt über die rechtsstaatswidrige Willkür, in der die USA ihre Verdächtigen-Listen erstellten.

Norman Paech gelangte zu der Schlussfolgerung, dass der ganz überwiegende Teil dieser „Gezielten Tötungen“ völkerrechtswidrig sei:  Außerhalb bewaffneter Konflikte und konkreter Gefährdungssituationen werden Menschen auf Anweisung von Angehörigen der US-Verwaltung auch außerhalb der eigentlichen Kampfregionen getötet. Durch den Einsatz der Drohnen in Ländern wie Pakistan werde zudem die  staatliche Souveränität verletzt. Als Beispiel nannte er, dass die pakistanische Regierung in der Regel nicht über bevorstehende Luftschläge informiert wird: ihr wird kein Mitspracherecht über die Durchführung solcher „Gezielten Tötungen“ gegen ihre Staatsbürger eingeräumt.

Trotz andauernder internationaler Kritik, insbesondere von Menschenrechtsorganisationen, ist das gesamte Verfahren von „Gezielten Tötungen“ weiter intransparent geblieben. Daher gibt es kaum verlässliche Informationen. Die Empfehlungen des früheren Sonderberichterstatters des UN Menschenrechtsausschusses zu „Gezielten Tötungen“ werden beharrlich ignoriert. Wolfgang S. Heinz sah daher vor allem die Notwendigkeit, den jetzigen Zustand rechtlich genau zu bestimmen. Die Berufung der USA auf das Selbstverteidigungsrecht entbehre jeder Grundlage. Ein Anfangspunkt könne z.B. eine gemeinsame Positionsfestlegung der EU vis-a-vis den USA sein. Winfried Hansch von der Humboldt-Gesellschaft Berlin brachte es auf den Punkt: „Wenn wir  von „Gezielten Tötungen“  sprechen, benutzen wir die Sprache der Täter. (…) Wir sollten von außergerichtlichen Tötungen oder von außergerichtlichen Hinrichtungen sprechen.“

Als ein Resümee könnte gelten: 

  • Die Praxis der „Gezielten Tötungen“ verstößt gegen die Prinzipien einer zivilen Rechtsstaatlichkeit. Ziel der Operation ist nicht die Festnahme von Verdächtigen sondern deren Tötung. Ihre Schuld oder Unschuld wird nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren überprüft – sie werden auf der Basis einer Verdachtslage getötet. Inzwischen sollen sogar sogenannte Zielpersonen nur deshalb ausgewählt worden sein, weil sie sich verdächtig verhalten haben.
  • Die Einsätze zeichnen sich in der Regel durch ein hohes Maß an Unverhältnismäßigkeit aus. Durch „Gezielte Tötungen“ kommen außerordentlich viele Unbeteiligte ums Leben. Dr. Peter Becker (IALANA) konstatierte mit Bezug auf inoffizielle Recherchen, dass z.B. bis zu 90 Prozent der Opfer der Drohneneinsätze in Pakistan sich am Ende als Zivilisten herausstellen. Sie werden mit Terrorverdächtigen verwechselt – oder befinden sich einfach nur deshalb am Angriffsort, weil sie Familienmitglieder oder Nachbarn der angegriffenen Personen sind. Nur wenige Zielpersonen der Einsätze sind Kämpfer, die in afghanischen Kriegsgebieten angegriffen werden.
  • Gezielte Tötungen“ führen zu einer Entgrenzung des Krieges: In räumlicher Hinsicht dadurch, dass militärische Operationen von den Schlachtfeldern dieser Welt in die Regionen getragen werden, in denen die Zivilbevölkerung lebt. Rechtlich dadurch, dass versucht wird, Grauzonen zu schaffen, in denen weder ziviles Recht noch Kriegsrecht angewandt werden.

Als Konsequenz aus der Kritik die in der Anhörung formuliert wurde, forderte Annette Groth das umfassende globale Verbot solcher gezielten Tötungen. Paul Schäfer sieht zudem gegenüber der Bundesregierung die Notwendigkeit gegenüber jeglicher  Enthemmung, Entgrenzung und Entrechtlichung  von bewaffneter Gewalt wachsam zu sein: Die Bundeswehr besitzt zur Zeit mehr als 300 Drohnen und schließt die Durchführung von „Gezielten Tötungen“ in der Zukunft ausdrücklich nicht  aus.