Zum Hauptinhalt springen

Gewalt gegen Frauen findet nach wie vor überall statt

Interview der Woche von Kirsten Tackmann,

Die Entwicklung des Tages gegen Gewalt gegen Frauen, der jedes Jahr am 25. November begangen wird, kann als Erfolg feministischer Politik gesehen werden: vor zehn Jahren war er nur in den Nischen der Frauenbewegung bekannt, dieses Jahr fand eine Anhörung in Bundestag zum Thema statt, die Sie mit initiiert haben sowie zahlreiche andere Aktionen und Veranstaltungen. Wie steht es denn aber um die Gewalt gegen Frauen - hat sich die Situation verbessert?

Gewalt gegen Frauen findet nach wie vor überall statt. Häusliche Gewalt ist nur eine Form, wenn auch leider eine alltägliche. Dieses Jahr wollen am 25. November FORWARD Germany e. V. und TERRE DES FEMMES ein weiteres brennendes Thema aufrufen: die weibliche Genitalverstümmelung. ParlamentarierInnen aller Fraktionen des Bundestages sind zu einer Diskussion über diese Menschenrechtsverletzung eingeladen. Im Mittelpunkt wird die Präsentation und Diskussion eines Forderungskatalogs für einen Nationalen Aktionsplan stehen. Ich werde selbst als Vertreterin der LINKEN im Bundestag teilnehmen. Die europäischen Länder, einschließlich der Bundesrepublik, dürfen dieses Thema nicht länger ignorieren, denn diese Menschenrechtsverletzung ist auch hier präsent, wird selbst in Deutschland begangen.

Welche Faktoren führen aus Ihrer Sicht zu Gewalt in Familie und Beziehungen?

Die Täter können Freunde, Bekannte, Partner und Ehemänner, Väter oder Brüder sein. Ein Hauptmotiv ist die Ausübung von Macht und Kontrolle. Sie findet in allen sozialen Schichten statt und hat etwas mit patriarchalen Gesellschaftsstrukturen zu tun. Häusliche Gewalt ist sehr oft sexualisierte Gewalt und wird gezielt als Mittel zur Diskriminierung, Demütigung und Machtausübung eingesetzt. Weitere Formen der physischen oder der psychische Gewalt variieren die Palette der Gewaltanwendungen. Aber auch ökonomische Gewalt (z. Bsp. Verweigerung finanzieller Mittel) oder Freiheitsbeschränkungen werden benutzt, um die Abhängigkeit des oder der Opfer weiter zu verstärken. Oft sind Kinder einbezogen - als Zeugen oder Opfer.

Ein Angebot für Frauen, die innerfamiliärer Gewalt ausgesetzt sind, sind Frauenhäuser. Gemeinhin besteht die Vorstellung, dass Frauen damit eine sichere Zufluchtsmöglichkeit haben und es also ihre Entscheidung ist, ob sie sich und ihre Kinder so vor Gewalt schützen - oder eben auch nicht, was oft auf Verständnislosigkeit stößt. Liegt die Entscheidung wirklich bei den Frauen?

Frauen erdulden die körperliche und sexualisierte Gewalt häufig über sehr lange Zeiträume bis zur Fluchtentscheidung. Sie wissen auch oft nicht, welche Schutzmöglichkeiten sie mit dem Gewaltschutzgesetz erhalten haben. Zum Beispiel können jetzt Täter durch die Polizei zeitweilig der Wohnung verwiesen werden - wer schlägt, geht. Es gibt Schutzanordnungen, Wohnungszuweisungen oder vorläufiges alleiniges Sorgerecht u.a.m. Aber ungeachtet dieser partiellen Verbesserungen gibt es nach wie vor kein Recht auf Zuflucht für jede gewaltbetroffene Frau, schon gar nicht unabhängig von ihrem sozialen Status oder ihrem Aufenthaltsstatus. Trotz vielfältiger Bemühungen sind wir weit entfernt von einer bedarfsgerechten, flächendeckend erreichbaren Anzahl frei zugänglicher Frauenhausplätze.

Im November fand auf Initiative der Fraktion DIE LINKE die erste Anhörung im Bundestag zur Situation der Frauenhäuser statt. Wie sieht es in den Frauenhäusern aus?

In der Anhörung stellten vor allem die Vertreterinnen der Frauenhäuser und ihrer Vernetzungsstellen deutlich heraus, in welcher sozialen Schieflage sich unser Land bei diesen Einrichtungen befindet, insbesondere seit der Einführung einer Tagessatzfinanzierung durch Hartz IV. Das heißt im Klartext, die von Gewalt betroffenen Frauen müssen ihren Aufenthalt im Frauenhaus entweder selbst bezahlen oder Hartz IV bzw. Sozialhilfe zur Finanzierung ihres Aufenthalts beantragen. Die Kosten werden also auf die Opfer abgewälzt. In ihrer Notsituation stehen sie als erstes vor bürokratischen Hürden, die kaum zu bewerkstelligen sind, zumal die Mitarbeiterinnen in den Job-Centern für solche Fälle gar nicht ausgebildet oder sensibilisiert sind. Mit dieser Regelung wird der Zugang für viele schwierig oder unmöglich. Die verfügbaren Frauenhäuser decken weder quantitativ noch qualitativ den Bedarf. Mit Nachdruck wurde daher die Sicherung einer bundesweit einheitlichen, bedarfsgerechten Finanzierung gefordert, die allen Frauen einen kostenlosen Aufenthalt ermöglicht. Dazu brauchen wir ein Bundesgesetz, in dem das Recht auf Zuflucht festgeschrieben wird.

Sind Frauenhäuser für alle Frauen eine Option, die Gewalt in der Familie erfahren?

Diese Option sollte zumindest verfügbar sein. Aber nach den jetzigen Regelungen sind sie es für ganze Gruppen von Frauen nicht. Z. Bsp. nicht für Schülerinnen, Auszubildende, Studentinnen oder Migrantinnen mit Aufenthaltsauflagen. Wenn die Frauenhäuser sie aufnehmen, was sie trotzdem oft tun, laufen sie Gefahr, auf den Kosten sitzen zu bleiben. Probleme kann es auch geben, wenn Frauenhäuser nur Frauen aus der eigenen Kommune aufnehmen dürfen, obwohl der Schutz oft nur wohnortfern wirklich zu sichern ist. Geeignete Zufluchtsmöglichkeiten für psychisch kranke, behinderte, suchtkranke oder obdachlose Frauen gibt es praktisch gar nicht. Wir sind also weit entfernt von einem Recht auf Zuflucht.

Die Bundesregierung wirkt geschäftig und hat schon zwei Aktionspläne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen beschlossen. Tragen diese Maßnahmen dazu bei, Gewalt wirksam zu verhindern?

Der Aktionsplan II der Bundesregierung enthält über 130 Maßnahmen, allerdings berücksichtigt er entscheidende Probleme nicht. Zum Beispiel das Fehlen einer gesicherten Finanzierung aller Frauenhäuser. Zudem fehlen Gelder für die Vernetzungsarbeit der Frauenhäuser. In das Zentrum des Aktionsplanes II soll angeblich der Schutz von Migrantinnen mit dem Hautthema Zwangsheirat sowie der Schutz von Kindern und Behinderten stehen. Allerdings gibt es weder zu den Migrantinnen noch den Behinderten tatsächlich belastbare Zahlen, die eine solche Schwerpunktsetzung erzwingen. Schaut man sich die Maßnahmen genauer an, stellt man zudem oft ihre Kleinteiligkeit fest. Eine Strategie zur Bekämpfung der unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Frauen bleibt die Bundesregierung schuldig.

Wo werden Sie am 25. November sein?

Am Abend bei der erwähnten Podiumsdiskussion im Bundestag. Da der 25.11. in diesem Jahr in eine Haushaltssitzungswoche des Bundestages fällt, werde ich tagsüber im Plenum sitzen. Wie im vergangenen Jahr wird es aber auch eine öffentliche Aktion des Frauenplenums der Fraktion DIE LINKE aus Anlass dieses Tages geben, die ich hier aber noch nicht verraten möchte. Zudem haben sich viele Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion entschlossen, sich mit ihren Wahlkreisbüros an der Fahnenaktion von TERRE DES FEMMES zu beteiligen. Die Bilder werden auf unserer Fraktionshomepage dokumentiert werden. Am 26.11. werde ich mich über die konkrete Zufluchtssituation in Pritzwalk informieren, einer Stadt in meinem Heimatwahlkreis.

www.linksfraktion.de, 24. November 2008