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Geschäftsführendes Empörungsrauschen

Interview der Woche von Katja Kipping,

Katja Kipping, Vorsitzende der Partei und Mitglied der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, über die späte Empörung der geschäftsführenden Bundesregierung zum NSA-Ausspähskandal, die Erfolgsaussichten von Merkel und Hollande in Washington sowie die laufen Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD

 



Glauben Sie, dass die Kanzlerin mit dem Wissen, von der NSA belauscht worden zu sein, in ihren berüchtigten SMS-Aktivitäten bei den laufenden Koalitionsverhandlungen nachhaltig beeinträchtigt sein wird?

Katja Kipping: Inwieweit der Ausspähskandal die Koalitionsverhandlungen beeinflusst, das ist schwierig einzuschätzen. Aus meiner Sicht wiegt allerdings die Erpressbarkeit der Kanzlerin viel schwerer, denn irgendwo in einem Giftschrank in Washington liegen Merkels Kommunikationsprotokolle und die könnten jederzeit veröffentlicht werden. Das Wissen darum ist eine schwere Hypothek für jede Regierung. Bei jeder Entscheidung wird man sich künftig wohl auch fragen, ob da nicht Druck aus Amerika dahinter stand.

Warum reagiert die Bundesregierung erst jetzt? Warum nicht schon, als vor Monaten bekannt wurde, dass millionenfach Bundesbürgerinnen und -bürger ausspioniert wurden?

Dieses Land hat eine Kanzlerin, die sich erst dann empört, wenn ihr eigenes Handy abgehört wird. Noch im Juli hat Innenminister Friedrich die Bevölkerung dazu aufgefordert, sich selbst um den Schutz der eigenen Daten zu kümmern. Nun muss die Bundesregierung eingestehen, dass selbst Bundesministerien mit ihren technischen Möglichkeiten nicht dazu in der Lage sind. Und damit die Bürgerinnen und Bürger diese Botschaft nicht hören, versucht man es jetzt eben mit Störgeräuschen - weißes Empörungsrauschen nennt man das.

Oder die Bundesregierung hat den Spruch: "Wer nichts getan hat, hat auch nichts zu befürchten", der Überwachungskritikern so gern entgegen gehalten wird, wirklich selbst geglaubt. Nun merkt sie, wir haben die letzten vier Jahre wenig getan, aber sie fürchtet sich trotzdem. Es könnte sein, dass es jemand merkt.

Merkel und Hollande sollen im Auftrag der EU im Weißen Haus gegen die US-amerikanischen Ausspähpraktiken intervenieren. Mehr als Dudu sagen kann Europa aber wohl kaum. Oder?

Richtig. Die Bundesregierung ließe aber vermutlich selbst gern tun, was NSA und CIA können. Da sie das aber nicht dürfen und auch nicht hinbekommen, sind sie auf die Überwachungskrümel angewiesen, die von den Tischen der Partnerdienste herabfallen. Wenn die Bundesregierung zu sehr von unten gegen den Tisch haut, fallen anders als im realen Leben nicht mehr Krümel vom Tisch, sondern gar keine mehr. Francois Hollande wird Merkel in Washington auch keine große Hilfe sein. Schließlich hat der französische Geheimdienst den "Five Eyes" zugearbeitet. Dem Geheimdienstbündnis gehört unter anderem das EU-Land Großbritannien an. Obama kann sich also getrost zurücklehnen und aus dem Johannes-Evangelium zitieren: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein.

Und die Bundespolitik wartet in der Zwischenzeit seelenruhig auf den Abschluss der Koalitionsverhandlungen.

Wir wollen, dass der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommt und in größtmöglicher Geschlossenheit unmissverständlich klarstellt, dass die Spitzelei gegen Bürgerinnen und Bürger nicht geduldet wird. So lange die SPD noch nicht ganz sicher weiß, ob sie gemeinsam mit der Regierung abbügeln oder vielleicht doch als Opposition mit aufklären wird, ist es natürlich schwierig.

Dass die Union die Koalitionsverhandlungen nutzt, den Mindestlohn zu verzögern und bis zur Unkenntlichkeit zu stutzen, hätte der SPD von Anfang klar sein müssen. Hätten Sie gedacht, dass die SPD dabei auch noch in Kauf nimmt, dass die Menschen in Ostdeutschland ein weiteres Mal diskriminiert werden?

Offenbar hofft die SPD auf einen Gewöhnungseffekt. Nach Rentendiskriminierung, nach Lohndiskriminierung nun auch noch Diskriminierung beim Mindestlohn. Ich kann mich nicht daran gewöhnen und hoffe, dass sich die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger auch nicht daran gewöhnen mag.

Welche faulen Kompromisse werden Union und SPD in den kommenden Wochen wahrscheinlich noch so präsentieren?

Von Franz Müntefering stammt der schöne Satz: "Wir werden als Koalition daran gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt wurde. Das ist unfair." Von daher bietet das Wahlprogramm der SPD gute Anhaltspunkte. Kurz: Herdprämie bleibt, Bürgerversicherung bleibt fern, Energiewende schleppt sich …

Ist DIE LINKE präpariert, gegen die Regierungsüberzahl im Bundestag zu opponieren?

Na klar, wir sind gut aufgestellt.
 

linskfraktion.de, 29. Oktober 2013