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Ganz nah dran

Im Wortlaut,

Der Thüringer Neonazi Ralf Wohlleben, einer der engsten Vertrauten der NSU-Terroristen, soll einem Medienbericht zufolge V-Mann gewesen sein. Innenminister Friedrich (CSU) äußert sich vage. Das befeuert erneut die Debatte über den Umgang der Behörden mit Nazis.

Ein neuer V-Mann-Vorwurf im Umfeld des NSU bringt Geheimdienste in Verlegenheit

Von Wolfgang Hübner

Inzwischen hält man ja im Falle NSU aus unguter Erfahrung alles für vorstellbar. Auch diese Geschichte: Womöglich ist ein weiterer enger Vertrauter des NSU-Mordtrios als V-Mann bei einer Sicherheitsbehörde geführt worden. Der »Spiegel« überraschte damit gestern die Öffentlichkeit. Seiner Darstellung zufolge kam einem Bundesanwalt, der früher im Bundesinnenministerium gearbeitet hat, angesichts der Ermittlungen zur Nazi-Mordserie eine Erinnerung. Wohlleben – war da nicht was?

Gemeint ist Ralf Wohlleben, ein Thüringer Naziaktivist, der eine Zeit lang zu den Helfern der abgetauchten Serienmörder Uwe Mundlos, Uwe Bönhardt und Beate Zschäpe gehörte. Der Beamte, der vor etlichen Jahren am ersten, dann gescheiterten NPD-Verbotsverfahren mitgearbeitet hat, erinnert sich in Zusammenhang mit V-Leuten an den Namen Wohlleben.

Als kürzlich bekannt wurde, dass der Neonazi Thomas S. aus dem NSU-Umfeld viele Jahre lang ein Doppelleben als V-Mann des Berliner Landeskriminalamts geführt hat, entschloss sich der Bundesanwalt, seine Erinnerung an Wohlleben dem Innenministerium zuzuleiten. Dort wird seitdem untersucht. Erneut untersucht, muss man sagen, denn in eiligen Erklärungen nach der Veröffentlichung vom Mittwoch versicherten die Behörden, dass die bisher bekannten NSU-Helfer mehrfach auf V-Mann-Tätigkeit bei Verfassungsschutz oder Bundeskriminalamt überprüft wurden – ohne Befund. Mag ja sein, aber wer will sich noch auf solche Auskünfte verlassen angesichts der vielen Fragezeichen beim Umgang mit rechtsextremen Informanten? Und nachdem einschlägige Akten in Größenordnungen vernichtet wurden, obwohl längst Ermittlungen liefen?

Auch die Beteuerung Wohllebens selbst, er sei kein V-Mann gewesen, die er gestern über seine Anwältin verbreiten ließ, darf man mit Vorsicht genießen. Was wäre, wenn doch? Wenn er in der Szene plötzlich als Verräter dasteht? Ralf Wohlleben, Jahrgang 1975, ist einer der führenden Köpfe in der Thüringer Naziszene, aus der die NSU-Terroristen hervorgingen. Der Informatiker betreute bis zu seiner Verhaftung vor fast zehn Monaten Nazi-Webseiten, er war in den 1990ern in Nazikameradschaften aktiv und profilierte sich dann in der NPD. Er kannte die drei NSU-Mitglieder und hielt mit ihnen Kontakt, nachdem sie 1998 untergetaucht und aus Jena verschwunden waren.

Brisant ist seine Rolle, weil er den Mördern nicht nur Geld, sondern auch die Pistole beschafft haben soll, mit der neun Migranten getötet wurden. Zeugen aus dem NSU-Umfeld sagten jedenfalls aus, dass Wohlleben den Kauf der Waffe eingefädelt, das Geld aufgebracht und einen Kurier für den Transport angeheuert habe. Dem habe Wohlleben laut »Spiegel« gesagt, er solle lieber nicht wissen, »was die drei damit vorhaben«.

Dass dieser Mann V-Mann gewesen sein soll, verwundert kaum noch, nachdem dieser Tage bekannt geworden ist, wie die späteren NSU-Terroristen Mitte der 1990er Jahre zu Sprengstoff für Überfälle kamen: Der Lieferant war Thomas S. – fast während der gesamten Zeit, in der die NSU untergetaucht war, V-Mann des Berliner Landeskriminalamts.

Das Bundesinnenministerium prüft nun die V-Mann-Vorwürfe; Minister Hans-Peter Friedrich äußerte vage, angesichts bisheriger Überprüfungen wäre eine bisher unbekannte V-Mann-Tätigkeit Wohllebens »ungewöhnlich«. Thüringens Verfassungsschutz teilte mit, ihn nicht als V-Mann geführt zu haben. Die Thüringer Abgeordnete Martina Renner (LINKE) erklärte, unabhängig von einer Spitzeltätigkeit Wohllebens werde »Tag für Tag deutlicher, dass viele neonazistische Strukturen eher einem Joint Venture verschiedener Geheimdienste und Polizeistrukturen gleichen«.

neues deutschland, 27. September 2012