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Freiheit durch Sozialismus

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Der Kapitalismus setzt sich nach Ansicht des Vorsitzenden der „Linken“, Lafontaine, über Regeln hinweg. Schlüsselbereiche der Wirtschaft sollen deshalb einer gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen werden. Die Konzerne haben zu viel Macht. Privatisierung bewirkt mehr Privilegien für eine Minderheit. Ein armutsfester Sozialstaat ist Voraussetzung der Freiheit.

Der globale Kapitalismus wird von immer mehr Menschen in Frage gestellt, auch vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Papst Johannes Paul II. sagte vor einigen Jahren: „Die menschlichen Defizite dieses Wirtschaftssystems, das die Herrschaft der Dinge über die Menschen festigt, heißen Ausgrenzung, Ausbeutung und Entfremdung.“

Den Gegenentwurf zum kapitalistischen Wirtschaftssystem nennt „Die Linke“ demokratischen Sozialismus. Sie versteht darunter mehr als eine Wirtschaftsordnung. Demokratischer Sozialismus setzt aber eine Wirtschaftsordnung voraus, die dem Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, den Frieden bewahrt und die Umwelt schützt. Seit der Aufklärung ist die Utopie der Linken die Weltgemeinschaft der Freien und Gleichen. Der zentrale Wert, für den die Linke politisch eintritt, ist die Freiheit, ist das Recht aller Menschen, ihr Leben selbst zu bestimmen. Die sozialistischen Staaten des Ostens, darunter die DDR, sind gescheitert, weil sie weder demokratisch noch rechtsstaatlich verfasst waren. Mit dem Versprechen einer besseren Zukunft missachteten sie die Freiheit. Sie waren daher weder sozialistisch noch demokratisch. Die Neoliberalen, die heute die Politik der westlichen Industriestaaten bestimmen, sind der festen Überzeugung, dass Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung mehr Freiheit bedeuten. Für die Linke führen diese Strukturveränderungen der Gesellschaft eher zu Unfreiheit und sozialer Not. Die Vorgänge bei der Post und bei der Telekom geben hierfür ein Beispiel. Wer Schutzrechte außer Kraft setzt, schafft der Willkür der Stärkeren freie Bahn. Eine gerechtere Welt kann so nicht aufgebaut werden.

Die Linke beruft sich auf den Aufklärer Jean-Jacques Rousseau: „Entre le faible et le fort c’est la liberté, qui opprime, et c’est la loi, qui libère.“ (Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.) Wir brauchen global und regional eine Wirtschafts- und Sozialordnung, die die Schwachen vor den Starken schützt.

Auf der internationalen Ebene dienen diesem Ziel unter anderem das Völkerrecht, die UN-Charta, die Genfer Konventionen, ein fairer Welthandel und eine Weltfinanzarchitektur mit stabilen Wechselkursen und Kapitalverkehrskontrollen. Der Kapitalismus tendiert systembedingt dazu, sich über diese Regeln hinwegzusetzen, um Umsatz und Gewinn zu steigern. Schon 1933 schrieb Oswald Spengler: „Die Kolonial- und Überseepolitik wird zum Kampf um Absatzgebiete und Rohstoffquellen der Industrie, darunter in steigendem Maße um die Ölvorkommen.“ Für den französischen Sozialisten Jean Jaurès war dieser Kampf eine Folge der wirtschaftlichen Ordnung: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen.“

Wer glaubt, die Beobachtung Spenglers und die Analyse des Jean Jaurès seien nicht mehr aktuell, braucht sich nur das Geschehen im Nahen Osten anzusehen. Die dort geführten Kriege, an denen Deutschland beteiligt ist, sind keine Feldzüge für Freiheit und Demokratie, sondern Kämpfe um die Ölvorräte des Vorderen Orients und die Gasvorräte der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres.

Mancher wird in der Brandmarkung des Kapitalismus durch Jean Jaurès als ein Wirtschaftssystem, das stets die Möglichkeit des Krieges in sich trägt, eine ideologische Übertreibung sehen. Aber so einfach ist das nicht. Den Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg hat auch der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower hergestellt, obwohl er mit sozialistischem Gedankengut kaum in Berührung kam. In seiner Abschiedsrede an die Nation 1961 sagte er: „Die Kombination aus einem immensen militärischen Establishment und einer großen Waffenindustrie ist eine neue Erfahrung für Amerika. Ihr wirtschaftlicher, politischer, selbst geistiger Einfluss ist in jeder Stadt, in jedem Parlament eines Bundesstaates und in jedem Bundesministerium zu spüren. Nie dürfen wir es zulassen, dass das Gewicht des militärisch-industriellen Komplexes unsere Grundrechte oder unsere demokratischen Abläufe in Gefahr bringt. Wir sollten nichts als gesichert ansehen. Nur wachsame und gebildete Staatsbürger können den riesigen industriellen und militärischen Verteidigungsapparat dazu zwingen, sich in unsere friedlichen Methoden und Ziele einzufügen, damit Sicherheit und Freiheit gemeinsam gedeihen können.“

46 Jahre später können wir feststellen, dass die Warnungen des republikanischen Präsidenten in den Wind geschlagen wurden. Guantánamo, Abu Ghraib und die Kriege im Irak und in Afghanistan zeigen, dass es nicht gelungen ist, den riesigen industriellen und militärischen Verteidigungsapparat der Vereinigten Staaten dazu zu zwingen, „sich in friedliche Methoden einzufügen“. Zwar hat der demokratische Präsidentschaftskandidat John F. Kerry im Februar 2004 noch versprochen: „Wenn ich Präsident bin, werde ich alles daransetzen, alternative Treibstoffe und die entsprechenden Fahrzeuge der Zukunft zu entwickeln, damit dieses Land innerhalb von zehn Jahren vom Öl des Nahen Ostens unabhängig wird und unsere Söhne und Töchter nicht mehr für dieses Öl kämpfen und sterben müssen.“ Aber auf den Gedanken, dass Ölkriege und Umweltzerstörung eine Folge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind, kam er ebenso wenig wie die rot-grüne Koalition oder die Regierung Merkel.

Weil die Linke diesen Zusammenhang herstellt, fordert sie nicht nur die Beachtung des Völkerrechts, sondern auch, um das Übel bei der Wurzel zu packen, Schlüsselbereiche der Wirtschaft einer demokratischen und gesellschaftlichen Kontrolle zu unterwerfen. Das gilt zuallererst für die Waffenindustrie. Eine privatwirtschaftlich organisierte Waffenindustrie wird sich immer um Umsatz und Gewinn sorgen. Parlamentarier werden geschmiert, um die notwendigen Rüstungsprogramme auf den Weg zu bringen. Wenn es darum geht, Ölquellen mit militärischen Mitteln zu erobern, arbeiten Energiewirtschaft und militärisch-industrieller Komplex eng zusammen.

Aus ökologischen und sozialen Gründen muss die Energiewirtschaft gesellschaftlicher Kontrolle unterworfen sein. In Südamerika bedeutet das die Verstaatlichung der Öl- und Gasgesellschaften. In Deutschland mit seiner entwickelten Infrastruktur heißt das, die Energiewirtschaft zu rekommunalisieren. Eine umweltfreundliche Nutzung der Energievorräte der Erde muss dezentral sein. Eine dezentrale Energieversorgung, die alternative Energien einbezieht, ist beschäftigungsintensiv. Die Linke ist der Auffassung, dass Wirtschaftsbereiche, die auf Netze angewiesen sind und die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen, in gesellschaftlicher Verantwortung bleiben müssen. Das gilt beispielsweise für die Bahn, für die Strom-, Gas- und Wasserversorgung und den Telekommunikationsbereich.

Die Gefahr, die von der Konzentration des Kapitals in den Händen weniger für die Freiheit ausgeht, sah niemand klarer als der Freiburger Ökonom Walter Eucken. Ihm ging es nicht um die Kontrolle, sondern um die Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Nach seiner Meinung bekämpften sich Kapitalismus und Sozialismus zwar - gemeint war der autoritäre Staatssozialismus des Ostens -, aber in Wirklichkeit hätten sie vieles gemeinsam. Werde die Marktwirtschaft sich selbst überlassen, dann führe sie zu einer stets größer werdenden Machtkonzentration. Wirtschaftliche Interessengruppen würden dann verstärkt Märkte - also die Konkurrenten - durch Kartelle, Fusionen, Dumpingpreise und Marktsperren kontrollieren. Große Unternehmen könnten demokratische Regierungen durch ihre bloße Wirtschaftsmacht legal erpressen. Die Politik des Staates sollte deshalb darauf gerichtet sein, wirtschaftliche Machtgruppen aufzulösen oder ihre Funktionen zu begrenzen. Deshalb trat Ludwig Erhard damals für ein Fusionsverbot im Kartellgesetz ein. Er konnte sich aber nicht durchsetzen.

500 Konzerne kontrollieren heute die Hälfte des Weltsozialproduktes. Die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht untergräbt die Demokratie. Macht, die demokratisch nicht legitimiert ist, darf aber die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bestimmen. Die Linke will das Primat der Politik. Stark konzentrierte Wirtschaftsbereiche müssen entflochten werden. Aus diesem Grund wollen wir die Kartellgesetzgebung verschärfen. Markt und Wettbewerb führen nicht nur zu einer effizienten Wirtschaft, sondern ebenso zu Dezentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen und damit zur Einschränkung wirtschaftlicher Macht.

Die Kontrolle jeder Art von Macht, also auch der wirtschaftlichen Macht, ist ein Kernanliegen der Linken. In den ehemaligen sozialistischen Ländern hatte der Staat zu viel Macht. In den kapitalistischen Ländern haben die Konzerne zu viel Macht. Franz Böhm, der ebenso wie Walter Eucken der Freiburger Schule angehörte, nannte den Wettbewerb „das genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“. Für die neue Linke ist der Wettbewerb eine öffentlich-rechtliche Veranstaltung, die ein starker und unparteiischer Staat organisieren muss. Der Staat hat die soziale Aufgabe, sicherzustellen, dass die auf die Beseitigung des Wettbewerbs zielenden Tendenzen der Marktwirtschaft nicht zum Tragen kommen. Jede monopolartige Struktur muss vermieden werden, weil sonst, wie die angekündigten Strompreiserhöhungen zeigen, schamlos abkassiert wird. Auch aus diesen Gründen lehnt die Linke die Privatisierungswelle der letzten Jahre ab. Wenn beispielsweise die Wasserwerke einer Gemeinde verkauft werden, dann steigen die Preise deutlich an. Ein kommunales Monopol wird zum privaten Monopol. Die Monopolrente wird zusätzlich gesteigert durch die Ausgliederung von Teilbereichen und durch die Einstellung von Leiharbeitern, um die Löhne der Beschäftigten drastisch zu verringern. Deregulierung und Privatisierung bewirken das Gegenteil von dem, was die neoliberalen Propheten versprechen. Das Ergebnis ist immer dasselbe: mehr Privilegien und Reichtum für eine Minderheit, weniger Freiheit und soziale Sicherheit für die Mehrheit.

Soziale Sicherheit und Freiheit gehören aber untrennbar zusammen. Wenn Tarifverträge und Kündigungsschutz, Regeln also, die die Schwachen schützen, durchlöchert oder abgeschafft werden, dann entstehen prekäre Arbeitsverhältnisse. Menschen, die am Monatsende nicht wissen, ob sie ihre Miete oder die Stromrechnung bezahlen können, die Angst haben, ihr Geld reiche nicht mehr, um Brot zu kaufen, verlieren ihre Freiheit. Sie können am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen und ihre Zukunft nicht mehr planen. Ihre Widerstandskraft erlahmt. Sie resignieren und flüchten oft in Alkohol- oder Drogenkonsum. Erst ein starker Staat, der die Schutzrechte der Schwachen sichert, ermöglicht eine freie Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund füllen sich die alten Begriffe der Verstaatlichung und Vergesellschaftung mit neuem Inhalt. Machtkontrolle ist die Voraussetzung einer demokratischen Gesellschaft. Das gilt auch für das Miteinander in Betrieben und Verwaltungen. Daher sind Mitbestimmung, Betriebsverfassung und Personalvertretung unverzichtbare Bausteine einer demokratischen Gesellschaft. Unabhängig vom Eigentümer ermöglichen sie die Mitentscheidung der Beschäftigten.

Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene vertreten die Gewerkschaften die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine schlimme Entwicklung, dass sie in den letzten Jahren systematisch geschwächt wurden. Und das nicht nur, weil Millionen arbeitslos sind, sondern auch, weil die Politik dafür gesorgt hat, dass die Löhne immer weiter nach unten rutschen. Die Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns, der Abbau des Kündigungsschutzes, die Zumutbarkeitsregel bei Hartz IV, die immer zahlreicher werdenden befristeten Arbeitsverträge, die Zunahme der Leiharbeit und der Scheinselbständigkeit haben nur ein Ergebnis: sinkende Löhne. Die Gewerkschaften können ihre zentrale Aufgabe, in einer wachsenden Wirtschaft Lohnsteigerungen durchzusetzen, nicht mehr erfüllen.

„Der Name, mit dem wir unsere politische Ordnung bezeichnen, heißt Demokratie, weil die Angelegenheiten nicht im Interesse weniger, sondern der Mehrheit gehandhabt werden“, sagte der athenische Staatsmann Perikles vor über 2000 Jahren. Konfrontieren wir die politische Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2007 mit dieser einfachen Definition der Demokratie, dann kommen wir zu dem Schluss, dass wir in einer parlamentarischen Demokratie leben, die dem entscheidenden Kriterium des Perikles für eine politische Ordnung, die Demokratie heißt, nicht gerecht wird. Nur notorische Schönredner können behaupten, bei uns würden die Angelegenheiten im Interesse der Mehrheit gehandhabt. Lohnkürzungen in der Gestalt von Arbeitszeitverlängerungen ohne zusätzliche Bezahlung, Rentenkürzungen, als Rente mit 67 beschönigt, und Sozialkürzungen, Umbau des Sozialstaates genannt, prägen die Entscheidungen des Deutschen Bundestages. Und obwohl über dem Hauptportal des Bundestages in ehernen Lettern geschrieben steht „Dem deutschen Volke“, glaubt das die Mehrheit der Deutschen nicht mehr. Bei einer Umfrage vor einigen Monaten sagten 82 Prozent der Befragten, auf die Interessen des Volkes werde keine Rücksicht genommen. Vor einigen Wochen störten Jugendliche die besinnliche Ruhe des „Hohen Hauses“, indem sie ein Transparent entrollten, auf dem geschrieben stand: „Der deutschen Wirtschaft“. Wenn die Bevölkerung so über unsere Demokratie urteilt, dann ist es kein Wunder, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten zunehmend lieber zu Hause bleibt oder spazieren geht, statt zur Wahlurne zu gehen.

Die Linke versteht sich als demokratische Erneuerungsbewegung. Die politischen Entscheidungen müssen in Deutschland wieder den Interessen der Mehrheit Rechnung tragen. Wir müssen mehr Demokratie wagen, vor allem mehr direkte Demokratie.

Deshalb fordert die Linke den politischen Streik, den Generalstreik, der in den meisten Staaten Europas Instrument der politischen Auseinandersetzung ist. Unsere Demokratie gerät in Gefahr, wenn, wie bei der Hartz-IV-Bewegung und den Protesten gegen die Rente mit 67 geschehen, große Demonstrationen stattfinden, die nichts bewirken. Wenn Politiker und Kommentatoren in diesem Zusammenhang vom Druck der Straße sprechen, dem man nicht nachgeben dürfe, dann haben sie ein falsches Verständnis von Demokratie. Es sind im Übrigen oft dieselben, die bei der Solidarnocs-Bewegung in Polen oder den Montagsdemonstrationen in Leipzig den Druck der Straße begrüßten und in ihm ein unverzichtbares Grundrecht der Demokratie sahen.

Auch bei uns hat die Bevölkerung Gründe, sich zur Wehr zu setzen. Seit Jahren erlebt sie den Abbau des Sozialstaates, der ihr Halt und Sicherheit gab. Ein armutsfester Sozialstaat ist aber die Voraussetzung der Freiheit. Wer weiß, dass er, wenn er krank ist, gut versorgt wird, wer keine Angst hat, im Alter hungern zu müssen, und wer im Falle der Arbeitslosigkeit nicht mit einer deutlichen Verschlechterung seiner Lebensbedingungen rechnen muss, kann seine Zukunft planen.

Dass die sozialen Rechte Voraussetzung einer freien Gesellschaft sind, weiß man seit der Französischen Revolution. Was nützt einem Analphabeten die Pressefreiheit? Was nützt den Hungernden das Wahlrecht? Und was nützt die Gedanken- und Versammlungsfreiheit den Aidskranken in Afrika? Ohne soziale Gerechtigkeit gibt es keine Republik. Freiheit erleben nur Menschen, die vor dem sozialen Abstieg geschützt werden. Daher muss der Sozialstaat in Deutschland wiederaufgebaut werden. Das gilt vor allem für die Rentengesetzgebung.

Der letzte OECD-Bericht kommt zu einem erschütternden Ergebnis: Diejenigen, die bei uns unterdurchschnittliche Löhne erhalten, haben die niedrigste Rentenerwartung aller Industriestaaten. Die Altersarmut, die nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend abgeschafft wurde, ist für die Zukunft wieder vorprogrammiert.

In einer Gesellschaft, die immer reicher wird, behaupten Politiker und Kommentatoren, Altersarmut sei eine zwangsläufige Folge der Globalisierung. Die Linke wird die Wiederherstellung einer Rentenformel, die ein würdiges Leben im Alter garantiert, in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Sie wird unermüdlich darauf hinwirken, dass die durch Hartz IV vorgenommene Enteignung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer rückgängig gemacht wird. Wer als Durchschnittsverdiener jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält als über Fünfzigjähriger nur für ein Jahr Arbeitslosengeld. Er hat 60 000 Euro eingezahlt und erhält nur 10 000 Euro zurück. Die Leistungen nach Hartz IV bekommt er nur dann, wenn er das, was er für seinen Lebensabend zurückgelegt und angespart hat, verbraucht oder verscherbelt. Die Linke fordert: Je älter die Arbeitnehmer sind, umso länger muss wieder Arbeitslosengeld gezahlt werden.

Im Sinne der eingangs zitierten Formel Rousseaus müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die ausufernde Leiharbeit zu begrenzen. Zurzeit lesen wir überall Jubelmeldungen, weil die Zahl der Beschäftigten weiter zugenommen hat. Jeder dritte neue Arbeitsplatz entsteht aber in der Leiharbeitsbranche. Leiharbeiter werden viel schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft. Die Linke wird alles daransetzen, die Leiharbeit wieder zu begrenzen und die Unternehmen zu verpflichten, Leiharbeiter genauso zu bezahlen wie die festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

„Beim heutigen Stand der Dinge ist eben doch der Sozialismus die einzige Lehre, die an den Grundlagen unserer falschen Gesellschaft und Lebensweise ernstlich Kritik übt.“ Dieser Satz Hermann Hesses gilt noch heute. Er verpflichtet uns, eine gesellschaftliche Ordnung durchzusetzen, die allen ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglicht.

Das bloße Fortschreiten bisheriger Entwicklung ergibt keine Zukunft mehr. Wir brauchen einen Fortschritt, der unsere Gesellschaft freier, gerechter und solidarischer macht. Ohne diesen Fortschritt hätte der Rückschritt freie Bahn. Wenn wir das gegenwärtige Wirtschaftssystem beibehalten, dann wird der Staat zum überforderten Reparaturbetrieb. Er soll durch soziale Nachsorge oder nachhinkenden Umweltschutz reparieren, was durch ökologisch und sozial unverantwortliches Wirtschaften zerstört wurde. Ökologisch und sozial verantwortbares Wirtschaften lässt sich nur erreichen, wo der Vorrang demokratischer Entscheidungen vor Gewinninteressen und Wirtschaftsmacht durchgesetzt wird.

Von Oskar Lafontaine

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juli 2007