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Mitglieder des Bundestages bei einer namentlichen Abstimmung © DBT/Lichtblick/Achim MeldeFoto: DBT/Lichtblick/Achim Melde

Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Menschen?

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Von Florian Schulze

 

Die EU-Verordnung (Nr. 536/2014) über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln von 2014 legt fest, unter welchen Bedingungen klinische Untersuchungen mit nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmerinnen und –teilnehmern in der Europäischen Union möglich ist. Nicht einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite einer ärztlichen Maßnahme nicht erfassen kann.

Klinische Studien, bei denen die Probandinnen und Probanden einen direkten Nutzen durch die Studienteilnahme, zum Beispiel durch die Wirkung eines neuen Arzneimittels, haben können, werden als individualnützig bezeichnet. Diese individualnützige Forschung soll mit allen vorliegenden Vorschlägen weiterhin möglich sein. Wenn nur die Patientengruppe, der die Probandinnen und Probanden angehören (zum Beispiel Demenzerkrankte), als Ganzes von der Studie profitiert, wird die Studie als gruppennützig eingestuft und unterliegt strengeren Kriterien. Die Einstufung der einzelnen Untersuchung wird durch die Ethikkommissionen der Länder vorgenommen.

Die EU-Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, für die gruppennützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Menschen Regelungen zu treffen, die über die Vorgaben der EU-Verordnung hinausgehen. Diese Forschung ist momentan in Deutschland nicht erlaubt. Die Bundestagsdebatte am 9. November 2016 dreht sich um die Frage, ob beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen sie möglich sein soll.

Die Bundesregierung schlug in dem Entwurf des 4. Arzneimittelrechtsänderungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/8034) vor, gruppennützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Menschen nur dann zu ermöglichen, wenn die Probandinnen und Probanden solcher Forschung vorher ausdrücklich, in klarem Bewusstsein und volljährig für den späteren Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit in einer Patientenverfügung zugestimmt haben.

Momentan liegen vier Anträge vor, wie dieser Vorschlag der Bundesregierung verändert werden soll:

  • Die Abgeordneten Uwe Schummer, Ulla Schmidt, Kathrin Vogler und andere schlagen vor, die gruppennützige Forschung mit nicht einwilligungsfähigen Probandinnen und Probanden zu verbieten und damit die bisherige deutsche Rechtslage weitgehend beizubehalten.
  • Die Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein, Prof. Dr. Karl Lauterbach und andere wollen die vorherige Zustimmung von der Patientenverfügung entkoppeln („Probandenverfügung“) und eine ärztliche Aufklärung zur Voraussetzung für ihre Gültigkeit machen.
  • Die Abgeordneten Hilde Mattheis und Sabine Dittmar wollen ebenfalls die Zustimmung über eine Probandenverfügung ermöglichen und grundsätzlich eine ärztliche Aufklärung. Allerdings soll auch ausdrücklich auf die Aufklärung verzichtet werden können.
  • Unabhängig von der Zulassung gruppennütziger Forschung beantragt der Abgeordnete Hubert Hüppe, dass verbale und nichtverbale Willensäußerungen von minderjährigen oder nicht einwilligungsfähigen Probandinnen und Probanden, die sich gegen die Teilnahme an der Studie wenden, beachtet werden müssen.

In dieser Abstimmung werden die Fraktionen nicht einheitlich abstimmen, sondern alle Abgeordnete entscheiden nach ihrem Gewissen.