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»Finanzschwache können nicht studieren«

Im Wortlaut von Nele Hirsch,

Teilnahme am Bologna-Prozeß müßte an die Ablehnung von Studiengebühren gekoppelt sein. Ein Gespräch mit Nele Hirsch

Die Linksfraktion im Bundestag verlangt, den so genannten Bologna-Prozeß »auf eine neue Grundlage zu stellen«. Um was geht es dabei?

Die viel zitierte »soziale Dimension« im Bologna-Prozeß ist nichts weiter als ein soziales Deckmäntelchen. Mit konkreten Forderungen ist sie nicht untersetzt. Auf diese Weise entsteht kein europäischer Hochschulraum, an dem alle gleichermaßen teilhaben könnten. Im Gegenteil: Die Hochschulen schließen für junge Menschen aus finanzschwachen Elternhäusern immer weiter ihre Türen. Der gesamte Prozeß muß deshalb auf eine neue, eben eine soziale Grundlage gestellt werden.

Wie kann das erreicht werden?

So gut wie alle Bologna-Staaten haben den UN-Sozialpakt unterzeichnet. Sie verpflichten sich damit unter anderem, den Zugang an die Hochschulen gebührenfrei zu halten. Wir haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, mit dem wir fordern, daß die konsequente Umsetzung der Verpflichtungen aus dem UN-Sozialpakt zur Voraussetzung für die Teilnahme am Bologna-Prozeß wird. Bei der Debatte im Bundestag haben alle anderen Fraktionen dieses Ansinnen abgelehnt. Das zeigt nicht nur, wie unwichtig ihnen internationale Verpflichtungen sind, sondern auch, wie halbherzig gerade SPD oder Grüne tatsächlich gegen Studiengebühren eintreten. Vor Ort feiern sie sich immer wieder als Gebührengegner, und im Bundestag loben sie den Bologna-Prozeß als zentralen Bestandteil der Lissabon-Strategie der Europäischen Union ...

... deren Ziel es ist, die EU bis 2010 zum »wettbewerbsfähigsten, dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum« der Welt zu machen.

Diese Strategie ist nicht nur einseitig auf die Förderung der europäischen Wirtschaft ausgerichtet, sie impliziert auch konkrete Empfehlungen der EU-Kommission zur Einführung von Studiengebühren oder für die Erleichterung von Public-Private-Partnership-Modellen im Hochschulbereich. Es ist zutiefst unglaubwürdig, sich auf der einen Seite als Gebührengegner aufzuspielen, aber auf der anderen Seite auf europäischer Ebene dieselben neoliberalen Konzepte offensiv zu unterstützen.

Welche Rolle spielt der hiesige Föderalismus bei der Umsetzung des Bologna-Prozesses?

Die Bundesregierung hat in der vergangenen Woche einen Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Hochschulrahmengesetzes verabschiedet. Damit würden im Hochschulbereich die letzten bundesweit einheitlichen Regelungen über Bord geworfen. Für die Studierenden wird damit ein Hochschulwechsel künftig noch schwieriger. Im Rahmen des Bologna-Prozesses hat man ihnen europaweite Mobilität versprochen; jetzt müssen viele feststellen, daß sie nicht einmal mehr von Mainz nach Wiesbaden wechseln können.

Die Regierung feiert vor allem den Stand der Umstellung auf Bachelor/Master als Erfolg. Wie schlägt sich Deutschland in Sachen Qualität?

Im Rahmen der Umstellung auf Bachelor und Master werden die Studiengänge nicht nur verschulter, sondern auch inhaltlich umgestrickt. Kritische Wissenschaft fliegt bei der Akkreditierung regelmäßig aus den Vorlesungsverzeichnissen. Ziel des Studiums soll die Paßfähigkeit der Absolventen in den Arbeitsmarkt - die sogenannte employabilty - sein. Vor diesem Hintergrund wäre es falsch, die Kritik am Bologna-Prozeß darauf zu beschränken, daß nur eine formale Umetikettierung der Studiengänge stattfindet. Allem voran müssen wir für ein anderes Verständnis von Studium und Hochschule streiten. Es kann nicht darum gehen, daß Studierende lernen, sich möglichst störungsfrei in den aktuellen Arbeitsmarkt einzupassen. Unser Ziel muß dagegen eine umfassende gesellschaftliche Handlungsfähigkeit der Absolventen sein. Nur so können Bildung und Wissenschaft dazu beitragen, daß das Bestehende wirklich verstanden, kritisch hinterfragt und schließlich verändert werden kann.

Die einstige Euphorie um Bologna ist inzwischen auch bei der Hochschullinken Ernüchterung gewichen. Wäre nicht mehr zu erreichen gewesen, hätte man anstelle von begrenzter Mitwirkung gleich zu Anfang auf Protest und Widerstand gesetzt?

Die Mitwirkung am Bologna-Prozeß wird dort unsinnig, wo sie hinter verschlossenen Türen stattfindet und zu hochschulpolitischem Pseudoexpertentum verkommt. Ziel der hochschulpolitischen Linken muß es sein, die Möglichkeiten der Mitbestimmung zu nutzen, um Protest und Widerstand zu stärken. Der neugegründete linke Studierendenverband kann dazu wesentlich beitragen.

Interview: Ralf Wurzbacher

junge Welt, 19. Mai 2007