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"Finanzinstitute kennen keine Moral"

Im Wortlaut von Niema Movassat,

Linkspartei fordert gesetzliche Regelung gegen Lebensmittelspekulationen. Ein Gespräch mit Niema Movassat

Niema Movassat ist Bundestagsabgeordneter der Fraktion Die Linke und Mitglied im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und ­Entwicklung

Die UN-Welternährungsorganisation FAO hat Ende vergangener Woche erklärt, daß die Preise an den Weltgetreidemärkten stark angestiegen sind. Die Spekulation mit Nahrungsmitteln lasse sie aktuell derart explodieren, daß sich weltweit der Hunger verschärft, warnt die Hilfsorganisation Oxfam. Wer steht in der Verantwortung?

Niema Movassat: Vor allem Spekulanten, die an der Börse mit Indexfonds oder außerbörslich mit Hedgefonds agieren, verantworten diesen Skandal. Sie treiben die Preise hoch, indem sie mit Weizen oder Mais spekulieren. Deshalb können sich die Ärmsten in der Welt Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten. Politiker sind gefordert, gesetzliche Regelungen an den Börsen zu schaffen, damit solch massive Spekula­tion nicht stattfindet. Früher gab es Regularien, die auf Druck der Bankenlobby in den letzten Jahrzehnten sukzessive abgeschafft wurden. Angefangen hat die Entwicklung in den USA, aber auch die deutsche Bundesregierung spielt eine problematische Rolle. Auch in Frankfurt am Main wird an der Warenterminbörse mit Nahrungsmitteln spekuliert. Die Bundesregierung könnte mit einer gesetzlichen Regelung intervenieren und obendrein auf die EU Druck machen, damit auf europäischer Ebene diese Spekulation unterbleibt, die vor allem an der Pariser Börse stattfindet.

Wie funktioniert Nahrungsmittelspekulation?

Investmentbanken wie die Deutsche Bank oder Goldman Sachs legen Rohstoffonds auf, die auch Agrarrohstoffe umfassen. Jeder kann darin investieren – auch Kleinanleger. Mit diesem Kapital gehen sie an die Warenterminbörsen und kaufen innerhalb von Sekunden jede Menge Getreide, woraufhin der Preis aufgrund hoher Nachfrage steigt. Genauso schnell wird wieder zum überhöhten Preis verkauft. Banken haben kein Interesse, Getreide vor ihrer Tür zu stapeln: Was sollen sie damit! Sie kündigen die Kontrakte, bevor geliefert wird. Ein ganz geringer Teil ist noch echtes Geschäft, der Rest ist reine Spekulation!

Wie ist zu erklären, daß die Commerzbank neuerlich nicht mehr auf Zockerei mit Lebensmitteln setzt – ein Akt der Nächstenliebe?

Wohl kaum. Die Commerzbank ist mit einem Volumen von etwa 104 Millionen Euro kein großer Player im Nahrungsspekulationsbereich gewesen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bank hat ein Volumen von 4,6 Milliarden Euro, die Allianz 6,2 Milliarden. Es tut der Commerzbank insofern nicht wirklich weh, aber sie kann so ihr durch die Finanzkrise angeknackstes Image aufpolieren. Trotzdem ist es gut, daß sie als erste deutsche Privatbank ein Signal setzt, nachdem die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) schon vor Wochen ausgestiegen ist.

Die Linke fordert die Deutsche Bank und die Allianz auf, die Lebensmittelspekulation unverzüglich einzustellen. Hoffen Sie auf Resonanz?

Finanzinstitute handeln profitorientiert und kennen keine Moral. Der weltweite Hunger ist die häßliche Fratze des kapitalistischen Systems. Uns ist klar, daß Appelle wenig fruchten. Wir wollen Öffentlichkeit schaffen. Nach einer Umfrage von Forsa 2011 haben 84 Prozent der Bürger gesagt: Sie lehnen Lebensmittelspekulation ab.

Sie fordern die Bundesregierung auf, gesetzliche Verbote auszusprechen …

Man könnte Positionsobergrenzen schaffen. Etwa: Der Weizen darf nur 1000 Mal, nicht 100000 Mal gekauft und verkauft werden – dann würde dies für Finanzinstitute unattraktiv werden. Außerbörslicher Handel, auf den Fluren der Banken, muß abgeschafft werden und verpflichtend an der Börse stattfinden. Damit wäre mehr Transparenz gegeben. Die Linke geht aber weiter mit ihren Forderungen: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist ein Menschenrecht und hat nichts an der Börse zu suchen. Preise sind international zu vereinbaren.

Offenbar ist es aber nicht gelungen, eine Gegenbewegung in Gang zu setzen?

Der öffentliche Druck hat zugenommen. Die Weltbank hat Studien zur Nahrungsmittelspekulation herausgegeben. Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, Weed oder Foodwatch machen Kampagnen. Wir haben einen Antrag im Bundestag vorgelegt. Der Ausstieg der Commerzbank oder der LBBW belegen, daß dies Wirkung zeigt.

 

junge Welt, 13.08.2012