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Euro-Krise: Lohndumping stoppen, Finanzhaie entwaffnen

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

Michael Schlecht, Chefvolkswirt der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, zum Ausgang des EU-Sondergipfels

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben unter Aufsicht von Ackermann und anderer Top-Banker neue Beschlüsse zu Griechenland gefasst. Was ist dabei herausgekommen?

Michael Schlecht: Griechenland erhält neue Kredite über 109 Milliarden Euro, und die Zinsen sollen auf 3,5 Prozent gesenkt werden. Laut Merkel soll sich die Finanzbranche zusätzlich mit 50 Milliarden Euro über eine Verlängerung der Laufzeiten und niedrigere Zinsen beteiligen. Der Rettungsschirm der EU-Staaten soll zudem Anleihen von Krisenstaaten mit Abschlag aufkaufen. Da das aber alles freiwillig ist, stehen die 50 Milliarden auf höchst wackeligen Beinen. Der französische Vorschlag einer Bankenabgabe ist am Widerstand von Merkel gescheitert. Ackermann hat ganze Arbeit geleistet.
 
Niedrigere Zinsen. Das klingt doch erst mal gut.

Bislang waren die Kredite für Griechenland so teuer, dass der deutsche Finanzminister damit 200 Millionen Euro zusätzlich kassiert hat. Das haben wir immer kritisiert. Die Verringerung des Zinssatzes auf 3,5 Prozent ist richtig, reicht aber nicht. Und die Finanzhaie verdienen weiter, weil sich der Rettungsschirm bei ihnen Geld leiht und für die Risiken garantieren die Steuerzahler.
 
Und was ist mit dem Wachstums- und Investitionsprogramm?

Die Euro-Rettung bleibt ein Rettungsring aus Blei: Die Kürzungspakete drücken die Wirtschaft der Krisenländer unter Wasser und gefährden so die Steuereinnahmen. Daran ändert auch das beabsichtigte Wachstums- und Investitionsprogramm nichts, das auch wir im Grundsatz fordern. Wie es ausgestaltet wird ist offen. Mit gleichzeitigem Bremsen und vielleicht ein bisschen Gas geben kommt man trotzdem nicht vom Fleck.
 
Was schlägt DIE LINKE als kurzfristige Maßnahmen vor?

Wir brauchen Euro-Bonds – gemeinsame Anleihen aller Euro-Staaten – oder besser noch günstige Kredite direkt bei der EZB – vermittelt über eine öffentliche Bank. So können die Finanzhaie aus dem Geschäft mit der Staatsverschuldung gedrängt und Spekulation gegen einzelne Staaten verhindern werden. DIE LINKE fordert zudem eine EU-weite Krisenabgabe für Reiche, die Millionärssteuer und eine echte Bankenabgabe.
 
Merkel sagt, dass mit dem Programm "die Probleme auch wirklich an der Wurzel angepackt" werden. Stimmt das?

Überhaupt nicht. Das zentrale Problem des Euro ist das deutsche Lohndumping. Die Beschäftigten in Deutschland hatten in den letzten zehn Jahren Reallohnverluste von mehr als vier Prozent. In allen anderen Ländern Europas gab es mehr oder minder deutliche Zuwächse. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat zudem gerade festgestellt, dass die Löhne für die am schlechtesten bezahlten 40 Prozent der Beschäftigen sogar um 10 bis 20 Prozent gesenkt wurden. Und 75 Prozent der neuen Jobs im Aufschwung sind Leiharbeit, befristete oder Mini-Jobs. Mit der Angst der Beschäftigten werden die Löhne gedrückt.
 
Was hat das mit dem Euro zu tun?

Wir haben wegen unserer Billiglöhne mehr Waren an das Ausland verkauft, als von dort eingekauft. Der deutsche Außenhandelsüberschuss betrug in den letzten zehn Jahren 1,2 Billionen Euro. Die privaten Haushalte und Unternehmen im Ausland haben sich daher zunehmend bei uns verschuldet. Diese faulen Kredite wurden in der Wirtschaftskrise zu Staatsschulden.
 
Was ist zu tun?

Der deutsche Exportüberschuss muss abgebaut werden. Importe müssen steigen und Arbeit, die heute für Exportprodukte aufgewandt wird, muss stärker für Güter eingesetzt werden, die wir im Inland benötigen. Die Binnenwirtschaft muss gestärkt und der Hunger- und Niedriglohnbereich ausgetrocknet werden. Wer für den gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro kämpft, tut nicht nur etwas für die Verbesserung der sozialen Lage in unserem Land, sondern auch für Europa. Wer sich gegen Befristungen, Leiharbeit und Mini-Jobs stark macht, kämpft nicht nur gegen die Prekarisierung hierzulande, sondern auch gegen den Zerfall des Euros. Wer statt Hartz IV ein sanktionsfreies Arbeitslosengeld II von 500 Euro will, verbessert nicht nur die Lage der Erwerbslosen, sondern leistet einen Beitrag zum Erhalt des Euros und des gemeinsamen Europas.


linksfraktion.de, 22. Juli 2011