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Foto: Rico Prauss

»Etwas Luft zum Atmen«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

 

Der Linken-Fraktionsvize erklärt im Interview mit Das Parlament, warum seine Partei erstmals für ein EU-Hilfsprogramm gestimmt hat


Herr Bartsch, Ihre Fraktion hat die Hilfsprogramme der EU bisher immer abgelehnt. Diesmal jedoch nicht. War die Verlängerung der Griechenland-Hilfen für Sie eine besonders schwierige Entscheidung? Die Linke sympathisiert schließlich mit der neuen Regierung in Athen.

Diemtar Bartsch: Sicherlich, das war für uns ein gewisses Dilemma. Wir haben den Kurs der Austeritäts- und Kürzungspolitik in den sozialen Bereichen immer abgelehnt, auch im Falle Portugals, Spaniens und Irlands. Aber nun haben wir eine neue Situation. In den Verhandlungen mit Brüssel hat Athen die Tür, die den bisherigen Kurs der Sparpolitik korrigiert, einen spaltbreit geöffnet. Die wollten wir als Linke nicht zuschlagen – trotz aller Bauchschmerzen. Solidaritätsbekundungen der Linken hat die griechische Regierung nicht wenige. Jetzt geht es um konkrete Solidarität, darum, eine Kurskorrektur möglich zu machen. Deshalb und auch weil uns Premierminister Alexis Tsipras und unsere Partnerpartei Syriza darum bat, haben wir dem Programm mehrheitlich zugestimmt.

Ist für Sie die Einigung auf die Verlängerung des Hilfsprogramms also nicht „alter Wein in neuen Schläuchen“, wie viele Beobachter meinen?

Im Moment kann niemand sagen, wie der Wein gelingen wird. Es ist eine Illusion zu glauben, dass ein radikaler Regierungswechsel in einem Land automatisch eine radikale Veränderung in Europa herbeiführen kann. Aber es ist positiv, dass jetzt endlich die griechischen Oligarchen zur Kasse gebeten werden sollen und die Regierung konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und Korruption vorgelegt hat. Und es ist gut, dass nicht mehr Beauftragte der so genannten Troika ins Land kommen werden, um dort Befehle zu verkünden, sondern dass Griechenland jetzt mit den einzelnen Institutionen, der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds, verhandeln kann. Das alles sind kleine, aber wichtige Mosaiksteine, die dafür sorgen, dass Griechenland zunächst für vier Monate etwas Luft zum Atmen hat. Eine grundsätzliche Kurskorrektur ist das aber noch nicht.

Ist ein „Grexit“, also der Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone, nun erstmal vom Tisch?

Ich glaube, dass der Ausstieg Griechenlands aus dem Euro immer unwahrscheinlich war. Es gibt historisch kein Beispiel, dass eine stärkere durch eine schwächere Währung ersetzt worden ist. Selbst wenn die Drachme wieder eingeführt würde, bliebe der Euro die Hauptwährung für die Wirtschaft und den Tourismus. In Griechenland die alte Währung wieder einzuführen, wäre wie der Versuch, Rührei wieder zurück in die Schale zu bekommen.

Welche Interessen sollte der deutsche Steuerzahler haben, dass Griechenland in der Euro-Zone verbleibt?

Ein großes Interesse, schließlich haften die deutschen Steuerzahler nach jetzigem Stand in einer Größenordnung von fast 80 Milliarden Euro für Griechenland. Das sind keine Peanuts, das ist fast ein Viertel des Bundeshaushalts. Wir müssen schon allein deswegen ein Interesse daran haben, dass es Griechenland besser geht, denn sonst sind die Chancen, dass wir dieses Geld je wiederbekommen, nahezu Null.

Das jetzt verlängerte Programm endet am 30. Juni. Danach muss neu verhandelt werden, womöglich über ein drittes Hilfsprogramm. Wie sollte es Ihrer Meinung nach weitergehen mit der Griechenland-Rettung?

Entscheidend ist, dass in Griechenland, aber auch in anderen europäischen Ländern, wieder Wachstum und Beschäftigung entstehen. Das geht aber letztlich nur, wenn wir in der EU eine Wirtschafts- und Sozialunion schaffen. Es war der Grundfehler, den Euro einzuführen, ohne darüber überhaupt nachzudenken.

Es sollte also kein neues Hilfspaket der EU für Griechenland geben?

Die Bilanz der beiden so genannten Rettungsprogramme für Griechenland ist doch nach all den Jahren katastrophal. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50 Prozent, auch insgesamt ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Das Bruttosozialprodukt ist in jedem Jahr zurückgegangen und die Renten sind um 40 Prozent gekürzt worden. Viele Menschen haben keine Krankenversicherung mehr. Stellen Sie sich solche Zustände mal in Deutschland vor – da wäre Revolution angesagt! Von diesen angeblichen Rettungsprogrammen ist doch nichts bei den Menschen angekommen. Wir sollten in Zukunft den Menschen in Griechenland statt den Banken helfen, etwa indem Deutschland das Land beim Aufbau einer besseren Steuer- und Finanzverwaltung unterstützt. Auch deutsche Unternehmen können durch Investitionen einen Beitrag leisten. Genauso ist es unsere humanitäre Pflicht, etwas gegen die eklatante Armut in Griechenland zu tun.

Und was soll mit den griechischen Schulden passieren?

Selbstverständlich muss auch dieses Thema angegangen werden. Da gibt es aber keinen akuten Handlungsbedarf, weil die großen Rückzahlungen erst im Jahr 2020 beginnen sollen. Dennoch sollte man aktuell über ein Moratorium nachdenken, denn wenn Griechenland langfristig durch diese enormen Schulden erdrückt wird, hilft das niemandem.

Immer wieder gibt es Berichte über strukturelle Probleme in der griechischen Verwaltung, etwa bei den Steuer- und Finanzbehörden. Kann Athen unter diesen Voraussetzungen und in dieser kurzen Zeit überhaupt die zugesagten Reformen umsetzen?

Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um – wie Ernst Bloch sagt. Athen steht tatsächlich vor einer Herkulesaufgabe und es wird dauern, bis die Reformen bei den Menschen ankommen und es ihnen wieder besser geht. Bis dahin wird es viele Widerstände und auch Enttäuschungen geben. Syriza regiert erst seit einigen Wochen und statt zu kapitulieren, macht sich die Partei daran, den Misthaufen, den ihre Vorgänger hinterlassen haben, abzutragen. Dazu gehört in Griechenland leider auch, überhaupt erst mal eine funktionierende Verwaltung aufzubauen und dafür zu sorgen, dass Steuern nicht nur formal erhoben, sondern tatsächlich auch eingezogen werden. Außerdem geht es darum, Vermögen aufzuspüren, die ins Ausland geschafft wurden.

Das alles kostet aber auch Geld.

Auch in Griechenland gibt es Multimillionäre und Superreiche, die bisher kaum zur Kasse gebeten werden. Bei denen muss endlich etwas abgeholt werden.

Die Bundesregierung ist während der Verhandlungen insgesamt bei ihrer harten Position geblieben: Geld gegen strikten Sparkurs. Hat sie dafür eigentlich noch genug Rückhalt in Europa?

Ich glaube, dass das deutsche „Standing“ in Sachen Krisenpolitik tatsächlich schlechter geworden ist, auch wenn Deutschland über eine sehr große wirtschaftliche und politische Macht, also über viel Einfluss verfügt. Aber andere europäische Regierungen, gerade in den südlichen Ländern, setzen inzwischen neue Akzente. Selbst EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und IWF-Chefin Christine Lagarde haben wohl eingesehen, dass man nicht weiter Medizin verabreichen kann, deren Dosis fast zum Tod des Patienten geführt hätte. Das sollte uns nachdenklich machen. Insgesamt finde ich es ziemlich beeindruckend, für wie viel Bewegung in Europa der Regierungswechsel in Athen in so kurzer Zeit gesorgt hat. Vor dieser griechischen Regierung kann man nur den Hut ziehen. Ich wäre stolz, wenn Die Linke in Deutschland ähnliches Format hätte.


Interview: Johanna Metz und Annette Sach


Das Parlament, 2. März 2015