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Erschreckende Unkenntnis der Ermittler

Nachricht,

NSU-Trio blieb 13 Jahre lang unerkannt in Sachsen

Von Gerd Wiegel

Man habe damals nicht nach Mördern gesucht, „das war eine Stufe tiefer". Mit dieser Aussage zur damaligen Einschätzung der gesuchten drei Thüringer Nazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in Sachsen versuchte der damalige Leiter der SOKO Rex in Sachsen zu erklären, warum der Fahndungsdruck auf das auch damals bekannte Umfeld des Trios in Sachsen nicht besonders hoch war. Zwar fielen auch dem sächsischen Ermittler keine vergleichbaren Fälle ein, in denen nach bombenbauenden Nazis mit ca. 1,4 Kilogramm TNT gesucht wurde, jedoch wurde in der Sitzung mit Ermittlern aus Sachsen wieder einmal deutlich, dass man sich bis zum Auffliegen des Trios in Polizei und Verfassungsschutz nicht vorstellen konnte, welche Gefahr Nazis mit Sprengstoff und Waffen darstellen können. Die in den Verfassungsschutzberichten wie ein Mantra vorgetragene ‚Affinität der Nazis zu Waffen‘ war offensichtlich beruhigend genug, so dass man über den möglichen Einsatz dieser Waffen niemals wirklich nachdachte. Man stelle sich vor, welche Aktivitäten im Sicherheitsapparat der Bundesrepublik ausgelöst würden, wenn drei Islamisten, die mit Sprengstoff hantierten und sich Waffen besorgten, vom Radar der Behörden verschwunden wären.

Zwischen 1998 und 2011 lebte das Trio in Sachsen, zunächst in Chemnitz, dann in Zwickau. Zehn Banküberfälle und einen Raubüberfall auf einen Edeka-Markt begingen Mundlos und Böhnhardt in Sachsen, doch wurden diese Taten nie mit dem abgetauchten Trio in Verbindung gebracht. Relativ glaubhaft versicherten die Ermittler aus Sachsen, dass ihnen die in Thüringen bekannten Meldungen, das Trio habe Geldsorgen, das Trio brauche dringend Geld, das Trio benötige kein Geld mehr, sie „jobbten", sie hätten „einige Dinger gedreht", sie wollten sich Waffen besorgen um „weitere Überfälle" zu begehen etc. niemals zur Kenntnis gegeben wurden. Mit diesen Infos hätte man wohl eine Verbindung zwischen dem vermuteten Aufenthalt des Trios in Chemnitz (später in Zwickau) und den Banküberfällen ziehen können. Dem Verfassungsschutz in Sachsen lagen diese Informationen aus Thüringen teilweise vor und die Vertreter dieses Amtes werden am 21. März im Ausschuss darstellen müssen, warum sie diese Informationen nicht an die Ermittler gaben.

Dennoch hat sich auch die Polizei in Sachsen nicht mit Ruhm bekleckert: Das Umfeld des Trios im Freistaat bestand aus Kadern des Blood & Honour Netzwerks und der Fahndungsdruck auf dieses Umfeld war bei der Suche nach dem Trio gering. Zu drei Observationen kam es im Jahr 2000, Ziel war dabei, Kontakte des Trios zu identifizieren und sie, wenn möglich, festzunehmen. Fünf Tage lang wurde ein Haus in Chemnitz videoüberwacht, allerdings ohne dass ein Beamter vor Ort war. Wie so eine Festnahme hätte gelingen können, blieb das Geheimnis der Ermittler. Auf den Videoaufzeichnungen glaubten die Zielfahnder aus Thüringen am 29. September 2000 Beate Zschäpe erkannt zu haben – eine Festnahme konnte bei dieser Art der Observation natürlich nicht erfolgen, man bewegte sich eben „eine Stufe tiefer".

Erschreckend war, was die Ermittler an Unkenntnis über die Naziszene offenbarten. Der Leiter der SOKO Rex konnte keine analytische Einschätzung zur Blood & Honour Szene in Sachsen abgeben, immerhin die wichtigste Nazistruktur damals. Konzepte des bewaffneten Kampfes aus der Naziszene seien ihm bekannt, einen Zusammenhang mit B&H in Sachsen oder dem Trio wurden vom ihm nie gesehen. Die „14 words" (ein rassistisches Bekenntnis der Naziszene) sagten ihm nichts. Ähnlich der Leiter der Staatsschutzabteilung Rechts der PD Zwickau. Zu führenden Köpfen der Naziszene in Sachsen konnte er so gut wie keine Angaben machen. Bei diesem analytischen Unverständnis der rechten Szene ist es wenig verwunderlich, wenn sich polizeiliche Arbeit nur an der Oberfläche der Naziszene bewegt. Für die Ergreifung des Trios hätte es eines tieferen Blicks bedurft, den man aber in einem Bundesland, dessen früherer Ministerpräsident Biedenkopf den Sachsen eine geradezu genetische Nichtanfälligkeit für Rechtsextremismus attestierte, nicht erwarten kann.

Schily übernimmt politische Verantwortung

Von allen Taten des NSU trug der Bombenanschlag in der Keupstraße 2004, bei dem 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, die deutlichsten Zeichen eines rechtsterroristischen Anschlags. Die Bombe wurde in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße gezündet, die Täter wurden beim Platzieren der Bombe zufällig von einer Videokamera gefilmt, die Anschläge tragen die Handschrift von Combat 18, einer britischen rechtsterroristischen Gruppierung. Dennoch äußerte der damalige Innenminister Schily am Tag danach, es deute nichts auf einen terroristischen Anschlag hin, es handele sich eher um eine Tat im kriminellen Milieu. Diese Einschätzung sei eine fatale Fehleinschätzung gewesen, so Schily am 15. März vor dem Untersuchungsausschuss. Er habe sich bei dieser Aussage auf das gestützt, was ihm von Seiten der Ermittler vorgelegt worden sei, habe also deren Einschätzung wiedergegeben. Schily räumte ein, dass die Gefahr des Rechtsextremismus generell unterschätzt worden sei, wenngleich er selbst diesem Thema eine hohe Bedeutung beigemessen habe. Im Zusammenhang mit der Frage nach einem möglichen Rechtsterrorismus sei zu wenig Fahndungsdruck auf die Naziszene ausgeübt worden. Unerwähnt ließ der frühere Innenminister, dass auch von ihm der Blick maßgeblich auf die realen und vermeintlichen Gefahren des Islamismus gelenkt wurde, womit die extreme Rechte immer weiter aus dem Blickfeld geriet. Von wem ihm die Fehleinschätzung zum Anschlag in der Keupstraße vorgetragen wurde, daran konnte sich Schily nicht mehr erinnern, so wie er auch keine Erinnerung mehr daran hatte, ob und wie das Thema der Mordserie ihn erreicht hatte.

Die Kriminalisierung und der Vertrauensverlust der Hinterbliebenen und Opfer des NSU sei der bedauerlichste Effekt der Taten, so Schily, nachdem ihm von Petra Pau der bewegende Brief einer Anwohnerin der Keupstraße vorgetragen wurde. Hier schildert die Frau, wie ihre Wohnung nach dem Anschlag von der Polizei gestürmt und sie beschuldigt wurde, als Kurdin für den Anschlag verantwortlich zu sein. Die Traumatisierungen, Verletzungen und Langzeitfolgen für die Opfer müssen in den Schlussfolgerungen des Untersuchungsausschusses eine deutlich größere Rolle spielen, als es in den Befragungen der Fall ist. Der Brief der Frau aus der Keupstraße endet mit dem Satz: „Ich wünsche mir, dass wir endlich als Teil dieser Gesellschaft gesehen werden. Das wünsche ich mir."

Die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses mit Zeugen des Verfassungsschutzes aus Sachsen findet am 21. März statt.