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Foto: Rico Prauss

Ereignisse "nicht parteipolitisch ausschlachten"

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch,

Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat nach dem Anschlag von Berlin vor Populismus gewarnt. Es dürfe nicht sein, dass solche Ereignisse parteipolitisch ausgeschlachtet würden, sagte Bartsch im Deutschlandfunk. Der Ruf nach schärferen Gesetzen sei absurd.

Stephanie Rohde: Und zugehört hat der Vorsitzende der Linksfraktion Dietmar Bartsch, guten Morgen, Herr Bartsch!

Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Rohde: Sie haben ja gerade gehört, mit welchen Forderungen die CSU jetzt aufwartet. Sahra Wagenknecht, mit der Sie gemeinsam als Spitzenkandidat für die Bundestagswahl antraten, die hat vor einiger Zeit laut nachgedacht über eine restriktivere Flüchtlingspolitik. Damit könnten Sie doch in der jetzigen Debatte total gut punkten, oder?

Bartsch: Es geht überhaupt nicht um eine restriktivere Flüchtlingspolitik. Wir sind gemeinsam der Auffassung, dass wir alles dafür tun müssen, dass nicht Flüchtlinge in Größenordnungen kommen, indem wir die Ursachen für Flucht und Vertreibung bekämpfen, das ist der linke Ansatz. Restriktiv hat auch Frau Wagenknecht nicht gesagt. Es muss darum gehen, dass geltendes Recht durchgesetzt wird und dass selbstverständlich niemand das Grundrecht auf Asyl einschränken will in der Linken, und dass wir eine humane Flüchtlingspolitik betreiben, ist auch unstrittig.

Aber Sahra Wagenknecht hat gesagt, wer das Gastrecht missbraucht, der hat das Gastrecht verwirkt. Könnte man damit jetzt nicht Wähler vielleicht auch von der anderen Seite locken?

Also, um das klar und deutlich zu sagen: Dieses Zitat wird immer wieder gern genommen, es stammt aus dem Januar diesen Jahres, Sahra Wagenknecht hat das nicht wiederholt. Was sie damit politisch meinte, war etwas ganz anderes als die Interpretation. Natürlich hat jemand wie der Terrorist, der hier diese schreckliche Tat durchgeführt hat, überhaupt kein Recht, der muss entsprechend eigentlich von den Behörden behandelt werden, von der Ausländerbehörde, von der Strafverfolgung, das muss selbstverständlich geschehen und da gibt es auch überhaupt keine Einschränkung. Das Recht muss angewandt werden. Aber es geht nicht darum, dieses irgendwie wahlpolitisch zu instrumentalisieren, das würde ich verheerend finden. Man darf diese furchtbaren Ereignisse nicht parteipolitisch ausschlachten, und das wäre ungeheuerlich, das zu tun, deswegen tun wir das auch nicht.

Rohde: Aber hat die letzte Woche nicht gezeigt, dass es tatsächlich auch Redebedarf gibt, dass die Sicherheit verbessert werden muss in Deutschland?

Bartsch: Da stimme ich Ihnen zweifelsfrei zu, es ist einiges falsch gelaufen, das ist deutlich sichtbar. Was wussten die Sicherheitsbehörden zu welchem Zeitpunkt, welche Maßnahmen liefen? Wenn man weiß, dass dieser Mann bereits im Gefängnis in Italien gesessen hat, dass er trotzdem nach Deutschland gekommen ist, angeblich haben die italienischen Behörden alle Daten weitergeliefert, es war so, dass er als Gefährder eingestuft war. Ich frage mich, was zum Beispiel der Verfassungsschutz gemacht hat? Diese Behörde ist im letzten Jahr – da war ich noch dafür zuständig – aufgestockt worden, personell und materiell, und zwar wegen der Gefährder. Und wenn man erkannt hat, dass hier so ein Gefahrenpotenzial ist, da frage ich mich, warum nicht Recht angewandt worden ist? Aber auch da bleibe ich dabei: Es ist jetzt angesagt, präzise zu analysieren, was ist überhaupt gewesen, und dann sind Schlussfolgerungen zu ziehen. Das, was teilweise jetzt gemacht wird, Panik zu machen, Ängste zu schüren, da bin ich weit von weg. Solide Analyse, aber eines ist jetzt schon klar: Es hat Fehler gegeben und diese sind aufzuklären, das müssen wir genau wissen, und zwar um Wiederholung möglichst einzuschränken.

Eine mögliche Konsequenz, die jetzt auch gefordert wird, ist, die Videoüberwachung auszuweiten an öffentlichen Plätzen. Der Bund der Kriminalbeamten fordert das schon seit Längerem, andere Länder machen das. Warum halten Sie nichts davon?

Sie sehen ja auch in diesem Fall, dass nicht die Videoüberwachung ihn dingfest gemacht hat, sondern eine Kontrolle von italienischen Polizisten.

Aber man hätte ihn beispielsweise wiedererkennen können, wenn man genug Videobilder gehabt hätte.

Na ja, wir können ja, wenn ich diesen Gedanken konsequent zu Ende gehe, dann können wir das ganze Land videoüberwachen und glauben, dann haben wir mehr Sicherheit. Außerdem, die Videokamera kommt dann auch nicht runter und gebietet ihm Einhalt. Nein, wir müssen vorher agieren. Es ist auch jetzt im Übrigen ja die Möglichkeit der Videoüberwachung gegeben, nur, das auszudehnen und zu suggerieren, damit könnte man in irgendeiner Weise derartige Dinge verhindern, das ist, glaube ich, falsch. Wir müssen schon zurückgehen, was sind die Ursachen für diese Entwicklung? Der Terror ist auch ein Ergebnis von Politik. Und bei diesen ganzen Forderungen, die ich jetzt aus der Union höre, da frage ich mich eigentlich: Wer regiert in diesem Land seit über einem Jahrzehnt, wer stellt denn die Kanzlerin, wer stellt denn den Innenminister? Also, dieses Gequatsche geht mir ehrlich gesagt auf den Keks. Gott sei Dank ist da aktuell der Innenminister, den ich häufig viel zu kritisieren habe, in dieser Frage mit der entsprechenden Zurückhaltung ausgestattet.

Lassen Sie uns kurz noch mal bei der Frage der Videoüberwachung bleiben, mit der Freiheit. Wie wollen Sie Freiheit und Sicherheit miteinander vereinbaren? Denn was bringt das Gefühl der Freiheit, wenn die Menschen am Ende das Gefühl haben, sie sind nicht mehr sicher?

Wissen Sie, das Gefühl der Überwachung ist ein viel schlimmeres. Ich bleibe dabei, dass … mit dem Abbau von Demokratie- und von Menschenrechten kann man Terrorismus nicht bekämpfen. Der hat andere Ursachen. Und wir müssen schon fragen, warum denn in den letzten Jahren diese Eskalation stattgefunden hat. Und da müssen wir über die Kriege in Syrien, im Irak, in Libyen und an anderen Stellen, in Afghanistan, reden. Das ist eine Ursache. Wir müssen über die Weltwirtschaftsordnung reden, wir müssen letztlich diesen Terroristen den Boden entziehen. Am Ende bleibt aber, dieser Satz ist trivial, aber er stimmt eben: Absolute Sicherheit ist nicht möglich. Aber es wird nicht so sein, dass wir mit mehr Videokameras die Sicherheit erhöhen. Das ist maximal ein Gefühl. Und selbst wenn Sie dann … Sie sehen das doch bei Videoüberwachungen, wo es auch funktioniert hat, in U-Bahnen. Sie haben dem Menschen dann nicht helfen können. Sondern wir brauchen selbstverständlich Polizei. Diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass über Jahre reduziert worden ist … Im Übrigen, es ist ja nicht eine originäre linke Forderung, mehr Polizistinnen und Polizisten und eine gute Ausstattung zu fordern, wir fordern das aber seit vielen Jahren. Jetzt endlich sind auch diejenigen aufgewacht, die unter der Überschrift "Schwarze Null" die Behörden, und zwar nicht nur die Polizei, immer weiter reduziert haben. Darüber müssen wir ernsthaft reden. Aber ich fordere noch mal ein: Wir brauchen keine populistischen Schnellaktionen. Es ist nicht, es darf nicht sein, dass derartige Ereignisse parteipolitisch ausgeschlachtet werden, sondern eine solide Diskussion … Und wenn es denn Änderungsbedarf gibt, dann kann man auch darüber reden. Ich bin nur dagegen, sich wichtig zu machen und dann am Abend einer solchen Tat Forderungen aufzustellen und über die Flüchtlingspolitik in Gänze zu reden, das war pietätlos, was der Ministerpräsident Bayerns dort veranstaltet hat.

Aber viele sehen ja den Änderungsbedarf gerade zum Beispiel auch bei neuen Grenzkontrollen. Also, wie können Sie verhindern, dass sich Leute frei in Europa bewegen, die international gesucht werden?

Also, ich bin dafür, dass das Aufenthaltsrecht, was es gibt, angewandt wird. Und wenn es Gefährder gibt, dann muss auch dort angewandt werden. Warum haben auch in dem konkreten Fall die Strafverfolger nicht agiert? Ich meine, der Mann war abgelehnt als Asylbewerber, der hätte selbstverständlich auch in Haft genommen werden können. Ich will das alles aus der Ferne nicht bewerten, das wäre eine Anmaßung, weil, da gibt es entsprechende Behörden, und trotzdem: Der Ruf nach schärferen Gesetzen ist absurd. Wir haben vor allen Dingen ein Vollzugsdefizit. Das alles, was in diesem Fall, auch in anderen Fällen gelaufen ist, das hätte mit den bestehenden Gesetzen verhindert werden können. Aber noch mal: Politiker, die da oberschlau daherreden und sagen, das und das muss man machen, das ist alles gut, die mag ich nicht, sondern unsere Aufgabe ist, die entsprechenden Bedingungen zu schaffen. Und da gab es allerdings in den letzten Jahren ein Defizit. Das hat damit zu tun, dass in allen Behörden reduziert worden ist, auch im Übrigen bei dem Thema Grenze. Ich bin dafür, dass selbstverständlich jeder in Deutschland, wie das normal ist, registriert ist. Und in dem Fall von dem Amri: Mir ist einigermaßen unklar, wieso der denn wieder rausgenommen worden ist, wieso der von Nordrhein-Westfalen nach Berlin kommen konnte? Also, da würde ich auch gerne innerhalb von Nordrhein-Westfalen noch mal prüfen, was ist da eigentlich passiert, wer trägt wofür die Verantwortung?

Das sagt der Vorsitzende der Linksfraktion Dietmar Bartsch hier im Interview.