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Energiewende: einzig sinnvoll und dringend nötig

Interview der Woche von Dorothée Menzner,

Die Regierung rudert bei der Energiewende zurück, stellt den eigenen Zeitplan und selbst die Ziele infrage. Dorothée Menzner, energiepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, erläutert im Interview der Woche, weshalb die Energiewende nicht nur machbar, sondern der einzig sinnvolle Weg ist.

 

 

Dorothée Menzner, haben Sie auch Angst, wenn Sie an die Energiewende denken?   Angst, nein! Wieso auch? Die Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien in Deutschland ist möglich und das einzig Sinnvolle. In Deutschland existieren alle dafür notwendigen Techniken, auch ein großer Teil Infrastruktur, und es gibt genügend Menschen, zum Beispiel in Stadtwerken und Energiegenossenschaften, die die Energiewende bereits ohne großes öffentliches Aufsehen in Angriff genommen haben. Konkret, lebensnah und regional. Das ist ökologisch, aber auch ökonomisch dringend nötig. Alle Untersuchungen zeigen, dass gerade für die Verbraucher, insbesondere die Haushalte mit durchschnittlichem und kleinem Budget, die Energiewende mittel- und langfristig der einzig sinnvolle Weg ist.   Inwiefern?   Die Endlichkeit der Ressourcen wird immer deutlicher. Öl ist nicht nur wegen Krisen, Kriegen und dem Profitstreben der Konzerne in den letzten Jahren teurer geworden, sondern auch, weil es angesichts steigenden Verbrauchs und kleinerer Vorräte einfach knapper und damit teurer wird. Mit den anderen fossilen Energieträgern verhält es sich kaum anders. Sonne, Wind und Wasser stehen dagegen fast unbegrenzt kostenlos zur Verfügung. Die Investition, diese Energie für uns als Strom, Wärme oder Kraft nutzbar zu machen, ist also eine nachhaltige, die sich sogar relativ schnell rechnet. 
 
   Haben die Minister Altmaier und Rösler Recht, wenn sie befürchten, dass die Energiewende nicht mehr bezahlbar ist? Altmaier befürchtet gar, dass sie zu einem "sozialen Problem" werden könnte, wenn die Strompreise für die Verbraucher aufgrund der Umlage für Erneuerbare Energien zu stark steigen.    
Klar kosten neue Anlagen Geld, doch was die Bundesregierung, aber auch so manche Verbände und Konzerne derzeit betreiben, ist Panikmache – und falsche Schwerpunktsetzung. Wenn man bei erneuerbaren Energien hauptsächlich auf gigantische zentrale Großprojekte setzt, wie Off-Shore-Wind, dann ist das natürlich teuer und auch nur von den großen Energiekonzernen zu stemmen. Wie immer bezahlen für diese Kosten am Ende die Verbraucher. Wenn man aber dezentrale Anlagen bevorzugt, sind die Investitionskosten und damit die notwendigen Umlagen auf die Verbraucher viel geringer. Nach unabhängigen Berechnungen müsste die Energiewende nur zu einer Preissteigerung von max. 0,5 Cent je kW/h führen. Sicher, das ist für manche schon zu viel, weshalb DIE LINKE ja auch für soziale Stromtarife streitet, aber angesichts der rund 12 Cent Preissteigerung je kW/h in den letzten Jahren sehr wenig.

   Wirtschaftsminister Rösler hebt ja auch immer gern auf die Strompreise und die Bezahlbarkeit der Energiewende ab, die wichtig sei für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Wer wird für die Energiewende zahlen: Wirtschaft? Verbraucher?   Bisher bezahlen im Wesentlichen die privaten Haushalte und kleine Unternehmen und Gewerbetreibende über das EEG die Energiewende. Energieintensive Unternehmen sind davon befreit. Das kritisieren wir schon lange. Wenn diese Unternehmen international wettbewerbsfähig bleiben sollen, lässt sich das nicht von einem Tag zum anderen ändern, doch es müsste wenigstens ein Plan entwickelt werden, auch diese Großverbraucher an den Kosten des Umbaus zu beteiligen. Ein Beispiel aus meinem Wahlkreis: Das Stahlwerk Salzgitter ist ein solcher Großverbraucher. In der internationalen Konkurrenz spielen für diesen Konzern die Energiekosten eine wichtige Rolle. Dennoch konnten wir in intensiven Gesprächen mit Gewerkschaftern klären, dass nach einem festen, langfristigen Fahrplan und begleitet von Effizienzmaßnahmen sehr wohl eine schrittweise Beteiligung am EEG möglich wäre. Die Bundesregierung macht es sich mit der pauschalen Befreiung zu einfach. Sie bürdet die Kosten den privaten Haushalten, Arbeitern, Rentnern, Alleinerziehenden und all den anderen auf, die oft schon heute an der Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit sind.
 

   Und wenn nun jeder von uns mal ein bisschen Strom sparen würde? Um 10% sollte doch laut Regierungskonzept der Stromverbrauch bis 2020 in Deutschland sinken. Wieso sollte das so schwer zu schaffen sein, wie Altmaier meint?   Alle Effizienzrichtlinien, die die Bundesregierung auf Druck der EU erlassen hat, sind halbherzig und unambitioniert. Da wäre deutlich mehr möglich. Aber fairerweise muss man auch sagen, dass die großen Energieverbraucher in Deutschland  nicht die privaten Haushalte sind, sondern vor allem Metallindustrie, chemische Industrie und Rechenzentren. Bei denen sind Einsparungen von 10% nicht ohne weiteres zu realisieren, sondern durchaus eine Herausforderung.
 
   In diesem Zusammenhang werden trotz Beteuerungen, am Atomausstieg bis 2022 festhalten zu wollen, Forderungen laut, den "Fahrplan" nochmals zu überarbeiten - sprich: zu verlangsamen.   Diese Tendenz gibt es, unzweifelhaft. Doch alle Versuche in dieser Richtung werden nicht nur auf unseren Widerstand stoßen, sondern auch auf den der kampferprobten Anti- Atom Bewegung. DIE LINKE hat nachgewiesen, dass ein Ausstieg ohne Kapazitätsprobleme, ohne deutliche Preissteigerungen und ohne die Notwendigkeit von Stromimporten binnen 3,5 bis 4 Jahren möglich wäre. Schon die Fristsetzung bis 2022 ist viel zu lang und hatte vor allem zwei Gründe: zum einen die Sicherung der Macht- und Marktanteile der vier großen Stromkonzerne und zum anderen die Möglichkeit, den Atomausstieg vielleicht doch noch komplett kippen zu können. Die Konzerne, und zwar nicht nur die Energiekonzerne, sondern zunehmend auch die Konzerne, die die Atomtechnik herstellen, sind ein Machtkartell, dessen Einfluss nicht zu unterschätzen ist. Tragischer Weise bestimmen sie die Politik stärker als gewählte Parlamente. Das ist auch der Grund, warum wir Parlamentarier dringend weiter eine starke, laute und phantasievolle Anti-Atom-Bewegung auf der Straße brauchen. Ohne sie wird es uns nicht gelingen, diesen Nuklearkapitalismus zu überwinden.   

Als große Krux beim Ausbau erneuerbarer Energien wird oft der fehlende (und teure) Netzausbau dargestellt. Brauchen wir diese großen neuen "Stromautobahnen" von Nord nach Süd?   Strom sollte im Wesentlichen da produziert werden, wo er verbraucht wird. Das ist einer der unschlagbaren Vorteile von erneuerbaren Energien- dass man sie nahezu überall erzeugen kann. Dennoch werden einige neue Höchstspannungstrassen notwendig  und – noch viel wichtiger – ein Aus- und Umbau der Verteilnetze. Doch das, was an Bedarf augenblicklich in den Raum geworfen wird, erscheint nicht nur mir deutlich zu viel und unnötig. Im Herbst will die Bundesregierung endlich einen Netzausbauplan veröffentlichen. Dem sehen wir mit Spannung entgegen und werden ihn mit Fachleuten und Initiativen sehr genau auf seine Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit überprüfen.  

   Vielerorts denken die Leute über eine Rekommunalisierung der Stromversorgung nach. Gibt es eine Renaissance der Stadtwerke?   Ja, und wir LINKEN unterstützen das intensiv auf allen Ebenen. Denn die Energiewende muss nach unserer Überzeugung einhergehen mit einer Demokratisierung. Bürgerinnen und Bürger müssen wieder Einfluss und Anteil haben an den Fragen der Daseinsvorsorge. Die darf man nicht den Profitinteressen weniger Konzerne überlassen. Deswegen sind kommunale Energieunternehmen, aber auch Genossenschaftsmodelle so notwendig.
 

   Dezentralität in der Stromerzeugung, Energiewende mit nationalen Plänen - wie funktioniert so etwas in Europa?   In diesen Fragen war Deutschland lange so etwas wie ein Vorreiter. Doch diesen Vorsprung verspielen wir gerade. Viele Länder folgen dem Beispiel, entwickeln auf sie angepasste Konzepte und ziehen mit uns gleich, was ich sehr begrüße. Sei es in Skandinavien, oder wie ich gerade dieser Tage sehe, in Griechenland. Wenn wir es klug anstellen und Europa als ein Europa der Menschen und nicht der Konzerne begreifen, dann wird es Austausch geben – die Netze sind ja schon lange grenzüberschreitend. Dann kann uns etwa Griechenland mit Sonnenenergie unterstützen, wenn es bei uns grau und windstill ist. Das würde uns helfen, schneller aus der fossilen und atomaren Technik heraus zu kommen, würde dem Klima helfen und auch Griechenland und den Griechen. Die Menschen und der Staat hätten Einnahmen und eine Wertschöpfung, die zukunftsfähig ist, dezentrale Entwicklung ermöglicht und Geld und Arbeit für die Menschen bedeutet. Anders als das, was momentan passiert.   

Sie haben es bereits erwähnt: Die Energiewende ist nicht allein ein ökonomisch-ökologisches Projekt, sondern auch ein soziales. Ihre Fraktion hat mit "Plan B" eine ehrgeizige Initiative gestartet. Was wollen Sie entwickeln?   Für die Fraktion DIE LINKE bedeutet Nachhaltigkeit nicht nur ökologische Nachhaltigkeit, sondern mindestens gleichwertig auch ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Alles, was wir vorschlagen, wägen wir sehr genau ab in Hinsicht auf seine Auswirkungen auf Menschen mit einem schmalen Budget. Plan B ist ein Ansatz, das für die verschiedenen Bereiche wie Energie, Umweltschutz, Landwirtschaft und Verkehr einmal durchzudeklinieren. Und zwar mit den Menschen, unter Aufnahme ihrer Ideen. Denn der Umbau hin zu einer sozialeren und ökologischeren Gesellschaft funktioniert umso besser, je mehr Menschen sich mit ihren Ideen beteiligen und mitmachen.

 

linksfraktion.de, 23.07.2012