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Ellbogensystem gefährdet Hebammen

Interview der Woche von Martina Bunge, Kersten Steinke,

Martina Bunge, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, und Kersten Steinke, Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages, über die Öffentliche Anhörung zur Hebammen-Petition, die Möglichkeiten für alle Bürgerinnen und Bürger, Petitionen einzureichen und zu unterstützen, Erfolgsaussichten bürglichen Engagements und den Dauerstreit zwischen Union und FDP über die Zukunft der gesetzlichen Krankenversicherung

Wird eine Petition in den ersten drei Wochen von 50 000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt, befasst sich der Petitionsausschuss in öffentlicher Anhörung mit diesem Anliegen. Am 28. Juni ist das der Fall. Was ist da in den zurückliegenden Wochen über den Petitionsausschuss, dessen Vorsitzende Sie sind, hereingebrochen?


Kersten Steinke: Die Petition der Hebammen hatte innerhalb der Mitzeichnungsfrist von drei Wochen über 83 000 Mitzeichnungen im Internet und weitere postalisch eingegangene tausende Unterschriften erreicht. Das ist Rekord. Die Zahl der gesamten Mitzeichnungen von über 130 000 bei der öffentlichen Petition zu Internetsperren konnte sie jedoch mit 105 000 Unterschriften nicht toppen. Bei den bis zu einhundert Petitionen, die sich unter epetitionen.bundestag.de gleichzeitig in der Mitzeichnung befinden, kann man anfangs nie wissen, welches Thema sich zu einem Renner entwickelt. Deshalb freuen wir uns mit den Hebammen über das sehr gute Ergebnis.

Menschen, die eine Petition unterstützen, verbinden damit natürlich die Hoffnung, etwas in ihrem Sinne verändern zu können. Wieviel bleibt von einer hunderttausendfach unterstützten Petition nach dem parlamentarischen Verfahren übrig?

Kersten Steinke: Grundsätzlich ist das Petitionsverfahren für alle Petitionen gleich. Wird das Quorum von 50 000 Mitzeichnungen innerhalb von drei Wochen erfüllt, kann der Petitionsausschuss eine öffentliche Sitzung durchführen. Hier können Petentinnen und Petenten ihr Anliegen nochmals erläutern, und die Abgeordneten sowohl an sie als auch an die Vertreter der entsprechenden Bundesbehörden Fragen stellen und Sachverhalte klären. Natürlich erreicht eine öffentliche Beratung eine viel größere mediale Aufmerksamkeit. Der Druck auf die Regierungsfraktionen ist dann auch besonders hoch, hier Abhilfe zu schaffen.

Die Hebamme verbindet der eine oder die andere eher mit einer weit zurückliegenden Zeit. Wieso bewegt das Schicksal dieser Berufsgruppe so viele Menschen?


Martina Bunge: Da Schwangerschaft und Geburt keine Krankheit sind, ist die Hebamme dafür seit eh und je die eigentliche Fachperson. Erste Aufzeichnungen dazu reichen bis vor Christi Geburt zurück. Und eine Geburt ist etwas besonderes. Viele Frauen wollen die Geburt nicht als medizinischen oder gar pathologischen Prozess, sondern als natürlichen Vorgang erleben. Sie wollen wählen können, wie und wo sie ihr Kind zur Welt bringen. Diese Wahl sehen sie ebenso wie die Gesundheitspolitikerinnen und -politiker der LINKEN in Gefahr.

Ab 1. Juli, also drei Tage nach der Anhörung im Petitionsausschuss, muss eine Hebamme jährlich knapp 3.700 Euro Haftpflichtprämie zahlen. Für viele ist das nicht zu leisten. Wieso kommt die Petition für eine ausreichende Versorgung mit Hebammenhilfe erst fünf vor zwölf?


Martina Bunge: Das müssen die Hebammenverbände beantworten. Ich denke, das Problem war in seiner jetzigen Dramatik nicht früher abzusehen. Die Hebammen verhandelten ja mit den Kassen, und die Ergebnisse waren noch nicht klar. Im Frühjahr haben Gespräche mit den Fraktionen stattgefunden. DIE LINKE hat gleich nach dem Gespräch eine kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, um Informationen über die Situation der Hebammen zu erhalten und auf die Probleme aufmerksam zu machen. Anschließend haben wir einen Antrag zu dieser Problematik erarbeitet und eingebracht.

Hat der Petitionsausschuss Möglichkeiten, Verfahren zu beschleunigen?

Kersten Steinke: Die Mitzeichnung der Hebammen-Petition ist ja erst am 17. Juni 2010 ausgelaufen. Der Petitionsausschuss hat aber bereits mit Erreichen des Quorums gehandelt und eine öffentliche Beratung aufgrund der Dringlichkeit noch vor der Sommerpause vereinbart. Auch eine erste Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums ist bereits eingeholt wurden. Eine weitere Stellungnahme wird in Kürze von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bezüglich der exorbitanten Erhöhung der Haftpflichtversicherung erwartet. Vertreter dieser Behörden sind auch bei der öffentlichen Anhörung zugegen.

DIE LINKE steht ja hinter den Hebammen. Hat die Fraktion schon alle parlamentarischen Mittel ausgeschöpft?


Martina Bunge: Da die kleine Anfrage inhaltlich wenig dokumentiert, haben wir unsere Recherche intensiviert. Unser Antrag nimmt sich der aktuellen Situation, der Frage der Haftpflichtversicherung, der Honorare wie auch der Erforschung der Versorgungssituation mit Hebammenhilfe an. Wir wollen damit Druck auf die Bundesregierung ausüben, vernünftige Lösungen zu finden. Wir werden den Prozess natürlich kritisch begleiten und gegebenenfalls wieder aktiv werden.

Ob Kriegseinsätze der Bundeswehr oder Sozialkahlschlag, schon seit Jahren spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Politik der Bundesregierung - der jetzigen und ihrer Vorgängerinnen - aus. In der Regel wird eine Regierung, ob auf Bundes- oder Landesebene, in Deutschland von den Parteien gebildet, für die zuvor eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler gestimmt hat. Da Regierungen ihre Politik offenkundig nicht nach Volkes Meinung ausrichten, stellt sich doch die Frage, wie erfolgreich sind eigentlich Petitionen.

Kersten Steinke: Sind die Fehler von Verwaltungsbehörden im Visier, so hat sich schon so manche Beschwerde gelohnt. Da reicht manchmal schon eine Anfrage des Ausschusses bei der entsprechenden Behörde. Der Petitionsausschuss erhält diesbezüglich auch viele Dankesbriefe. Werden politische Reformen, insbesondere soziale Einschnitte, bemängelt - mitunter auch zu Hunderttausenden wie z.B. zur Pendlerpauschale oder zur Mineralölsteuer, dann wird ein breiter Widerstand - wie über Petitionen im Bundestag, aktiv in Gewerkschaften oder auf der Straße - um so notwendiger. Steter Tropfen höhlt den Stein.

SPD und Grüne haben noch kurz vor ihrer Abwahl im Jahre 2005 das Einbringen und das Unterstützen von Petitionen vereinfacht. Sind die Bürgerinnen und Bürger dadurch petitionsfreudiger geworden?

Kersten Steinke: Ja und Nein. An den Grundsätzen eines Petitionsverfahrens ist nicht gerüttelt worden. Hier fordert DIE LINKE mehr Transparenz, mehr Öffentlichkeit und mehr Rechte für die Petentinnen und Petenten. Aber als im Jahr 2005 das System „E-Petitionen“ eingeführt wurde, stiegen die Zugänge per E-Mail von Jahr zu Jahr auf 36 Prozent im Jahr 2009. Ebenso erfolgreich wird die Möglichkeit der öffentlichen Petitionen mit ihren Diskussionsforen und Unterschriftenlisten genutzt - was damals natürlich ein großer Fortschritt war, heute nach 5 Jahren jedoch einiger Weiterentwicklungen bedarf. Denken wir nur an das hohe Quorum und die Auswertung der Diskussionsforen. Jährlich gehen etwa neunzehntausend Petitionen beim Deutschen Bundestag ein. Rechnet man die Zahl der Unterschriften und Mitzeichnungen hinzu, wandten sich 2009 rund zwei Millionen Menschen an den Petitionsausschuss.

Eine Petition spricht sich für und/oder gegen etwas aus. In der Frage der künftigen Finanzierung des gesetzlichen Krankenversicherungssytems ist das zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, weil sich die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP hierzu spinnefeind sind. Werden die sich noch einigen? Und wenn ja, worauf?


Martina Bunge: Was genau bei den Auseinandersetzungen der Koalitionäre herauskommen wird, ist weiter unklar. Fest steht aber, dass Schwarz-Gelb die Solidarität weiter aus dem Gesundheitssystem herausdrängen will - ob nun durch die Kopfpauschale, die Festsetzung der Arbeitgeberbeiträge, Wahltarife, Praxisgebühren oder Selbstbeteiligungen. Alles läuft bei Union und FDP darauf hinaus, die Kranken viel mehr selbst für ihre Krankheit zahlen zu lassen und damit letztlich für einkommensschwächere Personen die Gesundheitsversorgung massiv zu erschweren.

DIE LINKE vertritt mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung ein Konzept, das seit Jahren von unzähligen Experten und Verbänden unterstützt wird. Wieso hat es noch keine Regierung umgesetzt?

Martina Bunge: Rot-Grün wollte ja sogar in diese Richtung, wurde aber von Schwarz-Gelb im Bundesrat ausgebremst. Der Grund ist offensichtlich. Das Konzept der solidarischen Bürgerinnen und Bürgerversicherung löst das Einnahmeproblem. Sie löst es aber durch die Solidarität aller. Solidarität passt nicht zu dem Dogma von Leistung und Eigenverantwortung der Koalition. Kranke und Arme sind in diesem Bild selbst schuld an ihrer Lage, die gesellschaftliche Realität wird dabei vollkommen ausgeblendet. Das ist eine Politik für Leute, die es in diesem Ellbogensystem geschafft haben.

linksfraktion.de, 28. Juni 2010