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Eklatantes Polizeiversagen in Köln

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

Foto: S. Hecht

 

 

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 

Zahlreiche Frauen wurden in der Silvesternacht auf dem Domplatz vor dem Kölner Hauptbahnhof offenbar Opfer sexualisierter Männergewalt. Doch rund eine Woche später werfen die Vorkommnisse weithin zahlreiche Fragen auf, die ganze Dimension der Übergriffe wird erst nach und nach bekannt.

Nach bisherigem Kenntnisstand bedrängten Gruppen junger Männer inmitten einer größeren, alkoholisierten und enthemmten Menschenmenge ihre Opfer, belästigten sie sexuell und beraubten sie dabei. In mindestens einem Fall soll es zu einer Vergewaltigung gekommen sein. Bislang wurden rund 100 Anzeigen von Betroffenen erstattet. Erfahrungsgemäß bringen viele Opfer solcher Übergriffe das Erlebte aus Scham oder Unkenntnis der Rechtslage gar nicht zur Anzeige, so dass von einem weit größeren Kreis der Geschädigten auszugehen ist.

Offenbar haben wir es hier nicht nur mit einer besonders perfiden Dimension von bandenmäßiger Gewaltkriminalität zu tun, sondern auch mit einem eklatanten Fall von Polizeiversagen. So räumte der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers erst mehrere Tage nach Silvester ein, dass die Polizisten auf die von ihm als „Straftaten einer völlig neuen Dimension“ eingestuften massiven Übergriffe am Hauptbahnhof nicht eingestellt waren. Unerklärlich bleibt damit, warum die Kölner Polizei am Neujahrstag noch keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht vermeldete und von einer „weitgehend friedlichen Party“ von rund 1000 Feiernden an der Domplatte vor dem Hauptbahnhof berichtete. Erst nachdem immer mehr Opfer der Übergriffe über soziale Medien das Erlittene bekannt machten, tröpfelte auch in den Polizeiberichten die Wahrheit ans Licht. Da die Überforderung der Beamten ja bereits in der fraglichen Nacht offenkundig geworden sein muss, stellt sich die Frage, ob die Polizei anfangs noch gehofft hatte, die Vorfälle unter den Tisch fallen zu lassen. Die Rolle der Polizei in der Silvester-Nacht muss aufgeklärt und strukturelle sowie personelle Mängel offen gelegt werden. Es ist ja nicht das erste Mal, dass sich die Polizei in Köln so überfordert zeigt. Erinnert sei an die Demonstration rechtsgerichteter Hooligans im Oktober 2014, die weitgehend ungestört Teile der Innenstadt verwüsteten, während die Polizei hilflos zusah.

Rassistische Hetze

Dass die Täter nach Zeugenaussagen nordafrikanischen oder arabischen Aussehens waren, befeuert jetzt die rassistische Hetze gegen Flüchtlinge, Migranten und Muslime. Neonazis, fremdenfeindliche Hetzer und „besorgte Bürger“ hatten schon seit längerem drohende Massenvergewaltigungen deutscher Frauen durch „orientalische Horden“ herbeiphantasiert. Das islamfeindliche Internetportal PI News gab dazu bereits im Dezember die Linie vor. „Darf man so einfach von Lüge sprechen, nur weil etwas noch nicht im Ernst geschehen ist? Es ist keine Lüge, es ist Notwehr“, hieß es auf dem täglich von zehntausenden Gelesenen Blog. Entsprechend schnell wurde in Kommentaren auf fremdenfeindlichen Internetblogs aus Tausenden enthemmt Feiernden vor dem Kölner Hauptbahnhof, aus deren Mitte offenbar die Täter kamen, Tausend Straftäter, von 80 Vergewaltigungen war plötzlich die Rede. Und auch manche an sich seriöse Zeitung übernahm nun die Zahl von angeblich Tausend an den Übergriffen beteiligten Personen.

Die Polizei hatte nach eigenen Angaben zumindest am Dienstag noch keine gesicherten Erkenntnisse über Zahl und Identität der Täter. Dies hinderte Bundesinnenminister de Maizière nicht daran, im Zusammenhang mit den Kölner Übergriffen zwar einen Generalverdacht gegen Flüchtlinge zurückzuweisen, um im nächsten Satz über mögliche nordafrikanische Täter und die Abschiebung straffälliger Asylbewerber zu schwadronieren. Eben damit stellt de Maizière doch wieder Flüchtlinge an den Pranger, schließlich sagt auch ein nordafrikanisches Aussehen noch lange nichts über die Herkunft oder den Aufenthaltsstatus einer Person aus. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannte es untragbar, dass Frauen in deutschen Großstädten von junge Migranten sexuell traktiert werden – entscheidend für den Christsozialen ist offenbar die mögliche Herkunft der Täter und nicht das Faktum sexueller Gewalt, das in Deutschland immer noch überwiegend von deutschen Männern ausgeht. Die CDU-Politikerin Kristina Schröder unkte über „Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur“.

Kein Zweifel: Die Täter müssen ermittelt, verfolgt, gestellt und konsequent zur Rechenschaft gezogen werden. Doch statt hilflos-peinlicher Ratschläge zum Verhalten von Frauen in Menschenmengen, wie sie jetzt von der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker kamen, oder rassistisch motivierten Schuldzuweisungen sind jetzt Besonnenheit und Aufklärung geboten – auch im Hinblick auf die Rolle der Polizei.

Und es muss klar sein: Egal ob sich Migranten durch Neonazis und rassistische Mobs bedroht fühlen oder Frauen durch Männergewalt: Angsträume in unseren Städten und Gemeinden darf es nicht geben.