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Einen schwierigen Spagat wagen

Im Wortlaut von Petra Sitte,

Von Petra Sitte

Letztes Jahr drehten Forscher die Lebensuhr zurück. Eine Hautzelle wurde in eine embryonalähnliche Stammzelle zurückentwickelt. Dahinter steckt der Traum, dass der eigene Körper Quelle für Ersatzgewebe wird. Denn die embryonalen Stammzellen sind Alleskönner, sie entwickeln alle 200 Zellarten des Menschen. Sie entstehen bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Auch erwachsene Menschen verfügen über Stammzellen. Die adulten Stammzellen tragen in rund 20 Organen zu deren Erneuerung bei. Aber sie bilden nur Zellen dieser Organe. Da embryonale im Vergleich zu den adulten Stammzellen unbeschränkt wandlungsfähig sind, sind sie für die Medizin besonders interessant. Aber ihre Gewinnung führte bislang zur Zerstörung des Embryos. Deshalb entzünden sich an der embryonalen Stammzellforschung ethische Debatten.

Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Beginn menschlichen Lebens, und ob ein Embryo ebenso schutzwürdig ist wie ein geborener Mensch. Die Meinungsbreite reicht von einem absoluten Schutz des frühen Embryos, dessen Zerstörung mit der Tötung eines lebenden Menschen gleichgesetzt wird, bis hin zu Freunden einer uneingeschränkten Embryonenforschung. Gegen beide Pole habe ich Bedenken. Denn eine linke Position muss den Schutz vorgeburtlichen Lebens mit dem Heilungsinteresse, dem Selbstbestimmungsrecht und der Forschungsfreiheit in Einklang bringen. Der Embryo ist in Abhängigkeit von seinen vorgeburtlichen Entwicklungsphasen zu schützen. So nehmen Frauen heute Verhütungsmittel, um die Einnistung eines Embryos zu verhindern. Die Gesellschaft redet hier zumeist nicht von Tötung. Doch im Vergleich dazu wird der achtzellige Embryo im Reagenzglas stärker geschützt. Erst wenn sich die befruchtete Eizelle in die Gebärmutter einnistet, besteht die Chance auf Menschwerdung. Aber auch in dieser Phase geht das Selbstbestimmungsrecht der Mutter dem Lebensrecht des frühen Embryo und Fötus vor. Die PDS trat immer für den straflosen Abbruch der Schwangerschaft ein.

Für mich ist das Bemühen der Stammzellforscher um neue Therapien für kranke Menschen ein wichtiger Grund für eine Ausnahme vom absoluten Schutz. Das ist keine Verzweckung vorgeburtlichen Lebens. Es geht um eine Ethik des Heilens. Der Gesetzgeber entschied diesen schwierigen Spagat, in dem er einerseits die Stammzellgewinnung im Embryonenschutzgesetz verbot und zum anderen den Import von embryonalen Stammzellen aus anderen Ländern und die Forschung an ihnen erlaubte. So darf die Gewinnung der Stammzellen nur in Übereinstimmung mit der Rechtslage des Herkunftslandes geschehen sein. Die Stammzellen müssen vor dem Stichtag des 1. Januars 2002 aus Eizellen gewonnen worden sein, die für eine Schwangerschaft nicht mehr gebraucht werden. Die Embryonen dürfen nicht wegen einer genetischen Auswahl »überzählig« sein. Für ihre Überlassung darf kein geldwerter Vorteil geflossen sein. Das ist aus linker Sicht wichtig, um Frauen nicht zu Eizelllieferantinnen zu machen.

Diese Voraussetzungen verhindern, dass Deutschland Anreize für die Gewinnung von embryonalen Stammzellen im Ausland setzt. Außerdem prüft eine Zentrale Ethikkommission die ethische Vertretbarkeit eines Forschungsvorhabens. Die Forschungsziele müssen hochrangig sein und Erkenntnisgewinne für therapeutische Anwendungen beim Menschen erbringen. Vorklärungen in Tierversuchen müssen nachgewiesen und Erkenntnisse nur mit menschlichen embryonalen Stammzellen zu erlangen sein. Die deutsche Rechtslage gehört damit zu den strengsten weltweit.

Seit gut einem Jahr liegen Vorschläge für Änderungen des Stammzellgesetzes auf dem Tisch. Erstens finde ich die Klarstellung richtig, dass sich Forscher nicht strafbar machen, die im Ausland an Stammzellen forschen. Zweitens, die Erweiterung der Importgründe über den geltenden Forschungszweck hinaus empfehle ich nicht. Drittens wird um die Änderung des Stichtages gestritten. Ich bin für seine Verschiebung auf den 7. Mai 2007. Nur so kann der Kompromiss von 2002 zwischen Lebensschutz und Forschungs- bzw. Heilungsinteresse erhalten bleiben. Stammzellforschung muss in engen Grenzen in Deutschland eine Zukunft haben.

Weltweit existieren rund 500 embryonale Stammzelllinien. Wegen des alten Stichtages kann die Forschung in Deutschland nur auf etwa 20 Zelllinien zurückgreifen, die veraltet und verunreinigt sind. Forschungen im Ausland arbeiten mit neuen Linien. Hiesige Erkenntnisse der Grundlagenforschung sind daher verfälscht und nicht vergleichbar. Internationale Zusammenarbeit kommt kaum neu zustande. Die eingangs beschriebene Zellverjüngungskur nennt sich Reprogrammierung. Sie wäre ohne embryonale Stammzellforschung nicht möglich gewesen. Aber auch reprogrammierte Zellen müssen auf Risiken wie Tumorneigung, die es bei adulten und embryonalen Stammzellen gibt, geprüft werden. Deshalb bedarf es vergleichender Forschungsarbeit an allen Zelltypen. Medizinische Forschung ist komplex und braucht Jahrzehnte. Menschliche embryonale und reprogrammierte Zellen werden seriöserweise erst in zehn bis fünfzehn Jahren klinische Bedeutung bekommen.

Aus linker Sicht bedarf ethisch umstrittene Forschung öffentlicher Förderung und Kontrolle. Im Unterschied zu den USA, wo Embryonenforschung kommerzialisiert ist, können wir in Deutschland den ethischen Rahmen und die Bedingungen so gestalten, dass Forschungsergebnisse allen zugute kommen. Denn durch die öffentliche Förderung müssen sie allgemein zugänglich gemacht werden. Als Abgeordnete werde ich für eine Stammzellgesetzänderung stimmen. Sie ist Voraussetzung, um viele offene Fragen der embryonalen wie adulten Stammzellforschung für die spätere Behandlung kranker Menschen mit einem langfristigen Forschungsbeitrag auch aus diesem Land zu klären. Statt Methusalems oder Klone zu schaffen, geht es um die Bekämpfung von Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer mit Hilfe der körpereigenen Zellen und das jenseits von kommerziellen Aspekten.

Dr. Petra Sitte wurde 1960 in Dresden geboren. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in Halle, wo sie 1987 promovierte. Sitte trat 1981 in die SED ein. Von Mai bis Dezember 1990 war sie für die PDS Abgeordnete der Stadtverordnetenversammlung in Halle. Von 1990 bis 2005 gehörte sie dem Landtag von Sachsen-Anhalt an und wurde 2005 in den Bundestag gewählt. Petra Sitte ist stellvertretende Vorsitzende der Bundesfraktion DIE LINKE und Vorsitzende des Arbeitskreises Innovation, Bildung, Wissenschaft, Kultur und Medien