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Foto: Rico Prauss

»Eine gewisse Doppelzüngigkeit der Regierung«

Im Wortlaut von Susanna Karawanskij,

 

Susanna Karawanskij, Sprecherin für Kommunalfinanzen der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, im Interview über die vermeintliche "Armutszuwanderung" nach Deutschland, die Diffamierung von Zuwanderern als Sozialschmarotzer, die Situation in Sachsen, das geplante Hilfspaket der Bundesregierung für die Kommunen sowie den Kampf für eine europäische Sozialunion und gegen ein Zwei-Klassen-Europa
 

Seit Anfang 2014 ist der EU-Arbeitsmarkt auch für Bulgaren und Rumänen vollständig geöffnet. Bereits davor hatte die CSU mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" Stimmung gegen sogenannte Armutszuwanderung und vermeintliche Sozialbetrügerinnen und Sozialbetrüger gemacht. Wie stellt sich die Situation heute aus Ihrer Sicht dar?

Susanna Karawanskij: Die Debatte ist meiner Ansicht nach seitens der Regierung von einer gewissen Doppelzüngigkeit geprägt. Die Beschränkungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt galten im europäischen Vergleich sehr lange. Erst seit Mai 2011 gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit und seit diesem Jahr nun auch vollständig. Einerseits wird über den Fachkräftemangel diskutiert, anderseits Migration quasi als Bedrohung dargestellt und unter den Generalverdacht des Sozialbetrugs gestellt. Fakt ist, dass die Potentiale von Migrantinnen und Migranten nicht ausgeschöpft werden, da beispielsweise Berufsabschlüsse et cetera nicht anerkannt werden. Zuwanderer als Sozialschmarotzer zu diffamieren, ist keine Willkommenskultur, wie ich sie mir vorstelle.

Einige Kommunen scheinen dennoch überfordert, weil sich dort angeblich die "Schwierigkeiten mit sozial schwer integrierbaren Familien" häuften, etwa in Duisburg oder Offenbach. Woran liegt das und was kann getan werden?

Man muss schon hinterfragen was die Erwartungshaltung bezüglich der Integration beinhaltet und wie wir alle gemeinsam Migration begreifen. Natürlich dürfen die Kommunen mit dem Thema nicht allein gelassen werden. Gerade Behörden in kleineren Kommunen sind nicht immer entsprechend vorbereitet.

Sie sind aus Sachsen. Wie ist dort die Lage?

Die oftmals diskutierten Befürchtungen über die vielen Arbeitskräfte, die nach in Kraft treten der Arbeitnehmerfreizügigkeit zahlreich nach Sachsen kämen, haben sich nicht bewahrheitet. Vor Herausforderungen stehen die Kommunen teilweise in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern.

Spielt das Thema im Landtagswahlkampf eine Rolle?

Ja, das tut es in einigen Regionen. Insbesondere dort, wo die CDU/FDP-Staatsregierung ankündigte, eine Zahl x von Menschen zentral unterzubringen und dann oft deutlich höhere Belegungen realisiert werden. Dies wird dann mit Kosten- oder Effizienzargumentationen unterlegt. Diese Unehrlichkeit ist dann ein Bestandteil des dann auch von den Rechten mit angeheizten Unmuts von Teilen der Bevölkerung.

Die Bundesregierung will laut Medienberichten nun Ende August ein Gesetzespaket auf den Weg bringen. Über das Hartz-IV-System sollen den Kommunen noch 2014 Hilfen in Höhe von 25 Millionen Euro zufließen, weitere Programme in den nächsten Jahren sollen folgen. Wie halten Sie von dieser Ankündigung?

Naja, ich bin da eher skeptisch. Neben unserer grundlegenden Kritik an dem Hartz-System ist es aus meiner Sicht nicht sinnvoll ausschließlich unter diesem Deckmantel den Kommunen finanzielle Zuweisungen zukommen zu lassen. Schwierig für die Kommunen ist die schlechte Planbarkeit der Bundesbeteiligungen, die bereits in den letzten Jahren schwankend war. Das ist auch immer die Schwierigkeit von Programmen, die für einen bestimmten Zeitraum aufgelegt werden und meist nicht weiter fortgeführt werden. Da kann oftmals mühevoll Aufgebautes nicht weiter betrieben werden. Hier wäre Kontinuität gut, was wiederum bedeutet, dass generell die finanzielle Ausstattung der Kommunen überdacht und neu gestaltet werden muss, hier muss bei der Diskussion um den Länderfinanzausgleich auch der Fokus auf die Kommunen verstärkt werden. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob die Ankündigungen der Bundesregierung tatsächlich umgesetzt werden. Auch im Koalitionsvertrag wurden vollmundig Zusatzleitungen und Investitionen versprochen und im Nachhinein weg diskutiert.

Gleichzeitig will die Bundesregierung offenbar härter gegen Sozialmissbrauch vorgehen. Angeblich sollen EU-Bürger auch ausgewiesen werden und sogar mit Wiedereinreisesperren belegt werden können. Wie verträgt sich das mit dem Freizügigkeitsrecht?

Meines Erachtens passt das nicht zusammen. Das Freizügigkeitsrecht der Bürgerinnen und Bürger in der EU ist ein wichtiges Gut. Und diese Debatte zeigt, wie wichtig es ist, für eine europäische Sozialunion zu kämpfen. Das Ein- und Ausschlussprinzip schafft letztlich ein Zwei-Klassen-Europa und Zwei-Klassen Bürgerinnen und Bürger in Europa.


linksfraktion.de, 19. August 2014