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»Eine Art Schockzustand«

Im Wortlaut von Ingrid Remmers,

Ingrid Remmers, MdB und Schriftführerin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

 

 


Sie haben am 3. März in Münster an einer Demonstration gegen einen Naziaufmarsch teilgenommen. Wie war die Situation vor Ort, wie war die Stimmung?
Leider war ja nur eine Kundgebung genehmigt, das heißt, die Faschisten durften mit ihrer menschenverachtenden Ideologie durch die Stadt ziehen, während diejenigen, von denen wir immer Zivilcourage fordern, außerhalb auf einem Feldweg stehend, ihre Meinung kundtun durften. Leider hört und sieht sie dort niemand. Der Kundgebungsort lag also außerhalb zwischen zwei Siedlungen an einem Feld. Trotzdem waren schon Stunden vor Beginn der Nazi-Demo Hunderte GegendemonstrantInnen angereist beziehungsweise aus den Siedlungen zu uns gestoßen. Die Stimmung war ruhig und freundlich, das gemeinsame Ziel eint ja die Menschen auf solchen Veranstaltungen.   Im Verlauf der Kundgebung wurden Sie festgenommen. Wie kam es dazu?   Irgendwann haben sich doch einige TeilnehmerInnen über die Auslagerung des Gegenprotestes geärgert. Sie versuchten, in einer Gruppe über das Feld zu laufen und sich so der Demonstrationsroute der Faschisten zu nähern. Mein Mitarbeiter und ich gingen hinter der Gruppe her, um bei möglichen Konfrontationen mit der Polizei helfen zu können. Dazu trug ich auch die Weste für Parlamentarische BeobachterInnen. Ein junger Münsteraner setzte sich von der Gruppe ab und versuchte an anderer Stelle über das Feld zu gelangen. Dabei wurde er von der Polizei abgefangen und zu Boden geworfen. Obwohl er keinen Widerstand leistete, kniete sich ein Polizist auf seinen Rücken und Nacken. Daraufhin ging ich auf die beiden zu. Einige Meter davor wurde ich von einer Polizistin aufgehalten und aufgefordert zurück zu gehen. Ich erklärte ihr, wer ich bin und das ich gern mit dem jungen Mann und ihrem Kollegen sprechen möchte, um die Situation zu beruhigen. Sie antwortete mir, das interessiere sie nicht. Ich wollte meinen Ausweis aus der Tasche nehmen und ihr zeigen. Das lehnte sie wiederum mit den Worten ab, das interessiere sie nicht. Ich argumentierte, dass es in dieser Situation doch viel hilfreicher sei, zu vermitteln und deeskalierend einzuwirken. Daraufhin griff sie mich plötzlich und ohne jede Vorwarnung an und schlug mir heftig gegen beide Schultern. Ich riss im Reflex meine Arme hoch, um den Angriff abzuwehren. Daraufhin schrie sie einmal laut und sofort kamen mehrere ihrer Kollegen zu uns gelaufen. Einer packte ohne Nachfrage meine Arme und drehte sie nach hinten und oben. Zweimal habe ich bemerkt, dass dies nicht nötig sei, ich stände ja ganz ruhig da, bis der Griff endlich gelockert wurde. Dann wurden meine Hände mit Kabelbindern gefesselt und ich wurde an beiden Armen festgehalten und über das Feld abgeführt.    Können Sie sich erklären, warum die Polizistin nicht auf Ihre Bitte reagierte, die Verhältnismäßigkeit der Mittel zu wahren?   Ohne irgendwelche pauschalen Unterstellungen machen zu wollen, beobachten wir ja schon seit Jahren, dass insbesondere auf den Anti-Nazi-Demos offenbar die GegendemonstrantInnen eher als `Feindbilder` betrachtet werden, die es in Schach zu halten gilt, als die Faschisten selbst. Und nicht erst seit Dresden beobachten wir dabei auch die Tendenz, ParlamentarierInnen gleich mit in den Topf zu werfen und dabei ihre Rechte bewusst und massiv zu missachten. Es kommt mir ein bisschen vor wie verkehrte Welt.     Wie lange wurden Sie festgehalten und wie wurden Sie behandelt?   Eine halbe Stunde wurde ich öffentlich vor einer Anwohnergarage bewacht festgehalten und dabei durchsucht. Anschließend wurde ich in einem Fahrzeug in einer Einzelkabine ins Polizeipräsidium gefahren. Dort wurden meine Personalien aufgenommen, ich wurde fotografiert und musste mich zur nochmaligen Durchsuchung komplett ausziehen. Nachdem man mir fälschlicherweise erklärte, ich sei nicht in Gewahrsam genommen, sondern verhaftet, sollte ich in Zelle 3 gebracht werden. Irgendjemand kam dann endlich auf die Idee, die Sache vorher noch abklären zu lassen. Zwei Minuten später teilte man mir mit, der Polizeipräsident habe meine sofortige Freilassung angeordnet. Damit sei die Sache aber noch nicht vorbei, "da kommt noch was". Insgesamt wurde ich etwa zweieinhalb Stunden festgehalten. Der Umgang mit mir auf dem Polizeipräsidium stand in erheblichen Gegensatz zum Verfahren. Man wusste ja genau, wer ich bin, und hat mich entsprechend freundlich behandelt.   Wie fühlten Sie sich bei dieser Prozedur?   Schlimm. Während man mich gefesselt abführte, liefen mir die Tränen runter. Ich konnte das nicht verhindern, obwohl es mich selbst geärgert hat. Die brachiale Behandlung bei der Festnahme und die Machtlosigkeit dagegen, haben mich in eine Art Schockzustand versetzt, der sich auch erst viel später langsam löste.    Wie bewerten Sie das Vorgehen der Polizei?   Die Polizistin, die mich angegriffen hat, und einige ihrer Kollegen waren eindeutig auf Krawall gebürstet, wie man so sagt. Für sie waren die Couragierten die Bösen. Die Polizei verkennt dabei, dass die Leute sich ja nicht mit der Polizei anlegen wollen, sondern sich mit ihrem Gegenprotest nicht ausschließen lassen wollen. Das ist ein großer Unterschied. Die übrigen BeamtInnen, auch die auf der Wache, waren aber freundlich und korrekt im Umgang.   Werden Sie gegen das Verhalten der Polizei juristisch vorgehen?    Ja. Ich habe beim Innenminister von NRW und beim Polizeipräsidenten von Münster Dienstaufsichts- und Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt, den Immunitätsausschuss des Bundestages informiert und ich werde Anzeige erstatten. Darüber hinaus haben wir eine Aktuelle Stunde im Bundestag und die Landtagsfraktion eine Aktuelle Viertelstunde im Landtag beantragt. Es geht ja nicht nur um meinen Einzelfall. Es ist ja ein grundsätzliches Problem, wie in Deutschland mit Nazi-Demos und Gegendemonstrationen umgegangen wird, die verkehrte Welt eben. Wir brauchen eine breite öffentliche Debatte in Politik und Gesellschaft dazu, damit wir gemeinsam Wege finden, diese Missstände für die Zukunft abzuschaffen. Und neue Wege werden gebraucht, auf denen man ungehindert und uneingeschränkt Zivilcourage zeigen darf. 
linksfraktion.de, 6. März 2012