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Ein Tunnel im Untergrund

Nachricht,

Zeugnis der Geschichte im Bundestag

Von Claudia Nier

Tagtäglich begegnen die Abgeordneten und viele Mitarbeiter im Bundestag an der einen oder anderen Ecke Zeugnissen der deutschen Geschichte. Zum Beispiel im Tunnel auf dem Weg von den Arbeitsräumen der Abgeordneten im Jakob-Kaiser-Haus hin zum Reichstagsgebäude, dem heutigen Tagungsort der Deutschen Bundestages. Dort befindet sich ein aus den alten Fundamenten heraus gesägtes Stück Leitungstunnel.

Auf den ersten Blick erscheint es sehr unscheinbar, diente der Tunnel doch in seiner Entstehungsgeschichte der Leitungsführung vom Reichstagsgebäude zum unmittelbar angrenzenden Reichspräsidentenpalais. Rohre und Leitungen für Wasser, Elektrik, Telefon und andere technischen Verbindungen waren dort untergebracht.

Wer legte das Feuer?

Legenden besagen, dass dieser Verbindungsbau eine wesentliche Rolle während des Reichstagsbrandes in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 spielte. Ein junger, politisch interessierter aber unerfahrener Mann – Marinus van der Lubbe – soll von diesem Palais aus das Reichstagsgebäude erreicht haben, um dort das verheerende Feuer zu legen. Es sollen jedoch auch andere mutmaßliche Brandstifter diesen Tunnel benutzt haben, weil van der Lubbe gar nicht der alleinige Brandstifter gewesen sein konnte. Die Frage nach den Tätern ist bis heute nicht geklärt und wird wohl noch weitere Generationen von Geschichtswissenschaftlern beschäftigen.

Immerhin war der damalige kommissarische Innenminister Hermann Göring als Reichstagspräsident mit einer Amtswohnung auch Bewohner dieses Palais, war aber in der Brandnacht nicht dort. Der letzte demokratische Reichstagspräsident Paul Löbe musste ihm 1932 das Haus überlassen. An ihn erinnert das Parlamentsgebäude gleichen Namens, in dem heute die Abgeordneten in ihren Ausschüssen tagen.

Man kann sich trefflich darüber streiten, wahr bleibt aber, dass die eigentlichen Brandstifter ganz andere waren. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand erließ Hermann Göring ein Verbot der kommunistische Presse, die Parteibüros der KPD wurden überfallen, ausgeraubt und geschlossen und gleichzeitig  cirka 1500 Mitglieder der KPD verhaftet. Fast alle Mitglieder der Reichstagsfraktion gehörten dazu. 

Verfolgt, gefoltert, ermordet

Unter dem Aspekt, wem dieser Brand nutzte, ist es auch wichtig, daran zu erinnern, dass Adolf Hitler kurz nach dem Brand darauf bestand, dass eine  "rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD" dringend geboten sei. Was er darunter verstand, wissen wir heute. Verfolgt, gefoltert und ermordet wurden nicht nur Kommunisten, sondern zahlreiche Intellektuelle, Künstler und letztlich alle Gegner des faschistischen Regimes.

In einer Broschüre der Bundestagsverwaltung, welche sich mit der Geschichte der Parlamentsgebäude befasst*, heißt es zu diesem geschichtsträchtigen Ort: "Hier soll an diesen Brand erinnert werden und zugleich an Marinus van der Lubbe, der als Brandstifter  … durch ein nachträglich erlassenes Gesetz zum Tode verurteilt wurde."

Vor demselben Reichsgericht in Leipzig mussten sich neben Marinus van der Lubbe noch weitere angebliche Täter der Vorwürfe erwehren, darunter der Kommunist Georgi Dimitroff aus Bulgarien und der Vorsitzende der KPD-Reichstagsfraktion Ernst Torgler. Die Faschisten wollten damit einen kommunistischen Anschlag nachweisen.

Dieser Prozess wurde für die Faschisten zu einem Desaster. Der Brandanschlag konnte Dimitroff, Torgler und anderen Angeklagten nicht nachgewiesen werden, wie denn auch. In diesem Prozess ließ sich Hermann Göring von Georgi Dimitroff vollkommen aus der Fassung bringen, denn er war nicht nur ein überzeugter Kommunist, sondern auch ein glänzender Rhetoriker.

Letztendlich wurde dann nur Marinus von der Lubbe, der noch am Brandort festgenommen wurde, nach dem Prinzip "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan", verurteilt.

Tunnel in die Architektur eingefügt

Um das historische Ereignis zu würdigen und Auskunft über die Geschichte zu geben, haben die Architekten unter Leitung von Thomas van den Valentyn, welche das ehemalige Reichstagspräsidentenpalais denkmalgerecht restaurierten, dieses Tunnelstück in die Architektur eingefügt. Glasbänder im Bodenbelag der Ebertstraße, die zwischen dem Reichstagsgebäude und dem Präsidentenpalais entlang führt, markieren und belichten diesen Durchgang oberirdisch.
Der Tunnel im Tunnel wurde so zum Treffpunkt vieler interessierter Besuchergruppen des heutigen Parlaments  – dem Deutschen Bundestag.

* Broschüre „Spurensuche – Jahresringe der Geschichte“, Herausgeber: Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit

linksfraktion.de, 28. Februar 2013