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Ein Parlamentsprotokoll und die Kommunistenverfolgung im Jahre 2010

Im Wortlaut,

Die Linksfraktion im Bundestag fordert Rehabilitierung von antifaschistischen Widerstandskämpfern, die Union feuert ideologische Breitseiten dagegen

Von René Heilig

Eigentlich sollte sich der Bundestag nicht mit offenkundigen Selbstverständlichkeiten befassen (müssen). Doch im Hohen Haus wütet noch immer der Kalte Krieg. Er verhindert, dass allen Kämpfern gegen das Nazi-Regime Gerechtigkeit widerfährt. Auszüge aus einer Debatte, die Erschreckendes über ideologische Beschränktheit verrät.

Manche Debatten im Parlament gehen einfach »unter«. Aber man kann sie nachlesen. Da ist zunächst ein Antrag der Linksfraktion vom 16. Juni 2010, Drucksache 17/2201. Zitat: »Der Deutsche Bundestag ehrt in besonderer Weise die Leistungen der Frauen und Männer, die sich aktiv gegen das NS-Regime gewandt haben und in zahlreichen Fällen ihr Leben eingesetzt haben, um Widerstand gegen die Naziherrschaft in Deutschland zu leisten. Er sieht diesen, nicht sehr zahlreichen, Widerstand gegen das Hitler-Regime in seiner Integrität als unteilbar an. Die Anerkennung des politischen Widerstandes der Kommunistinnen und Kommunisten (...) gehört für den Deutschen Bundestag zum unteilbaren Erbe des Widerstands gegen das NS-Regime.«

Klar doch! Möchte man sagen, doch wer die zum Antrag gehörende Debatte nachliest, den ereilt kaltes Grausen. Sie fand am vergangenen Donnerstag statt und wurde vom Unionsabgeordneten Klaus-Peter Willsch aus Bad Schwalbach eröffnet. Wann, so fragte er die linken Antragsteller, »werfen Sie endlich ihren ideologischen Ballast über Bord und belästigen nicht immer wieder dieses Haus mit ihrer kommunistischen Traditionspflege?« Sodann bot er ein Schaustück in einseitiger Geschichtsbetrachtung, wie es – umgekehrt – einstige SED-Ideologen nicht besser vermocht hätten. Er versuchte die deutschen Kommunisten, von denen nicht wenige selbst unsagbar unter Stalins Diktatur gelitten haben, mitschuldig zu machen an den Säuberungen der 30er Jahre in der Sowjetunion. Klar stünde »außer Frage«, dass Kommunisten die nationalsozialsozialistische Gewaltherrschaft bekämpften. »Doch wofür? Was vorher sprichwörtlich nur Programm war, wurde nach Kriegsende sehr schnell Wirklichkeit. Jene, die vorher gemütlich in ihren östlichen Widerstandsnestern bei Väterchen Stalin ausgeharrt hatten, kamen nun nach Ost-Berlin zurück und errichteten genau das, was sie wollten: die zweite Diktatur auf deutschem Boden.« Dass Willsch namens der Union den Antrag der LINKEN ablehnte, ist klar. Denn er sei »nur eines: Eine Verhöhnung derer, die wirklich gegen Tyrannei und für die Freiheit gekämpft haben!«

Bettina Kudla sprang ihrem CDU-Kollegen bei: »Dass die Bundesrepublik als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat Anhängern des Stalinismus die Opferrolle in Form opulent gefüllter Entschädigungsfonds versagt, ist konsequent und eine Würdigung von zig Millionen wirklichen Opfern«, tat sie kund und trat an gegen Legenden, mit denen die SED nur vertuschen wollte, »dass die kommunistische Politik indirekt dazu beitrug, dass die Nationalsozialisten an die Macht kamen und Widerstand überhaupt erst notwendig wurde«.
Nur um Kudlas Kompetenz zu illustrieren: 1962 geboren, studierte sie in München Betriebswirtschaft, kam 1990 nach Halle und ist heute Bürgermeisterin und Beigeordnete für Finanzen der Stadt Leipzig.

Man kann, so man wirklich will, im Bundestagsprotokoll nachlesen, was die SPD-Abgeordnete Gabriele Fograscher beizusteuern hatte. Der Zwang zu Effizienz spricht gegen die Lektüre. Dass die »Befassung mit Geschichte (...) immer lehrreich ist«, stimmt gewiss. Man fragt sich jedoch, warum es der FDP-Abgeordnete Stefan Ruppert dann unterlässt. Klar in der Position trat dagegen Volker Beck von den Grünen auf. Er erinnerte daran, dass das Bundesentschädigungsgesetz »viele benachteiligt hat, vor allem ausländische Verfolgte und verschiedene deutsche Verfolgtengruppen, wie Sinti und Roma, Wehrdienstverweigerer, Homosexuelle, vom NS-Erbgesundheitsgesetz Betroffene, sogenannte Asoziale und durch eine eigene Ausschussklausel eben auch die Kommunistinnen und Kommunisten.« Doch sie gehörten zu »den aktivsten Widerstandskämpfern; sie wurden in den Konzentrationslagern geschunden, gequält und ermordet«. Becks Fazit: »Es gab und gibt keinerlei Grund, Menschen aus dieser Opfergruppe eine Entschädigung vorzuenthalten.«

Jan Korte von der Linksfraktion, auf dessen Initiative der Antrag maßgeblich basiert, zitierte aus einem 2009er »Spiegel«-Artikel, der offenbar keinen Einlass ins Handarchiv der Union fand: »Die Zahl der zwischen 1951 und 1968 gefällten Urteile gegen Kommunisten lag siebenmal so hoch wie die gegen NS-Täter – obwohl die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten, während man westdeutschen Kommunisten politische Straftaten wie Landesverrat vorwarf.«

Neues Deutschland, 15. November 2010