Zum Hauptinhalt springen
Ein Pfleger schiebt in einem Krankenhaus einen Patienten im Rollstuhl durch einen Flur mit einem Schild Notaufnahme an der Wand © iStock/upixa

»Ein einmaliger Bonus zahlt langfristig keine Miete«

Im Wortlaut von Pia Zimmermann,

Nur eine einzige Straße windet sich zum Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg hoch. Das Pflegeheim ist architektonisch nicht besonders schön, aber dafür liegt es mitten im Grünen und damit doch einigermaßen idyllisch. Mit der Idylle ist es allerdings schnell dahin, wenn sich die Türen hinter einem schließen und man im Heim angekommen ist. Der schon sprichwörtlich gewordene Pflegenotstand hat schon vor Corona dazu geführt, dass viele Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen unzufrieden mit der Situation waren und sind. Die Pandemie hat diese Situation noch verschärft.

Isolation, eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten, fehlendes Schutzmaterial – das sind keine bloßen Zeitungsmeldungen in Corona-Zeiten, sondern für mehrere hunderttausend Menschen mit Pflegebedarf in Pflegeheimen bestimmte dies ihren Alltag in der Pandemie und tut es immer noch. Im Pflegeheim sind Menschen mit Pflegebedarf besonders auf umsichtiges Handeln anderer angewiesen. Zusätzlich zu der Information, zu einer Risikogruppe zu gehören, hat dies das Leben vieler Menschen mit Pflegebedarf extrem erschwert. Denn gleichzeitig sind soziale Kontakte von Angesicht zu Angesicht, ob von Angehörigen oder freiwilligen Helfer*innen, von einem Tag auf den anderen verboten gewesen. Selbst Ärzt*innen haben viele Pflegeheime nur in absoluten Ausnahmesituationen betreten. Die strenge Isolation galt als einziges Mittel, Menschen mit Pflegebedarf vor dem Virus zu schützen – ein völlig unzureichendes und fehlgeschlagenes Mittel, wie man heute weiß. Leider mussten erst viele hundert Menschen in Pflegeheimen an und mit Covid-19 sterben. Und bis jetzt gibt es kaum andere hilfreiche Konzepte, Menschen in stationären Einrichtungen wirksam zu schützen.

Im Hanns-Lilje-Heim ermittelt die Staatsanwaltschaft mittlerweile in 48 Fällen – so viele Bewohner*innen des Heims sind in den vergangenen Wochen an und mit Covid19 verstorben, 111 Bewohner*innen hatten sich infiziert, 43 Mitarbeiter*innen wurden positiv auf das Virus getestet. Eine Pflegepolitik, die einseitig auf Effizienz und Gewinnmaximierung setzt, tötet. Nie war das so deutlich wie in dieser Pandemie. Nicht nur in Wolfsburg, in vielen Heimen sind Menschen verstorben. Stationäre Pflegeeinrichtungen entwickelten sich schnell zu Hotspots der Infektionen – und trotzdem kann die Bundesregierung keine genau ausgewiesenen Zahlen zu Infektionszahlen und Todeszahlen in Pflegeeinrichtungen vorlegen. Auf meine Nachfrage hin musste sie eingestehen, dass sie diese Zahlen nicht gesondert, sondern alle Sammelunterkünfte gemeinsam erfasst wurden, also neben Pflegeeinrichtungen auch Gefängnisse und ähnliches.

Das Verhalten der Bundesregierung, weder die Situation in Pflegeeinrichtungen genau zu erfassen, noch die Einrichtungen bei der Erstellung von Hygienekonzepten angemessen zu unterstützen, zeigt, dass die sogenannten Risikogruppen ebensowenig auf besonderen Schutz hoffen dürfen, wie Altenpflegekräfte nun davon ausgehen dürfen, dass sich ihre berufliche Situation nun verbessert. Ohne die Pflegekräfte, die sich persönlich extrem für die Menschen mit Pflegebedarf eingesetzt haben, wäre das System der Gesundheit und Pflege mitten in der Pandemie zusammengebrochen. Der Dank der Bundesregierung ist ein einmaliger Bonus ausschließlich für Beschäftigte in der Altenpflege. Das Gezerre und Gefeilsche um die Zahlung dieses Bonus war unwürdig. Die Bundesregierung wollte die Pflegekräfte kostenneutral abspeisen, aber die gute Presse einheimsen. Zum Glück ist zumindest diese Einmalzahlung nun auf den Weg gebracht.

Das ändert aber nichts daran, dass ein einmaliger Bonus langfristig keine Mieten zahlt. Und es ändert nichts daran, dass Applaus vom Balkon die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege nicht verändert. Das müssen wir schon selber tun; die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie bei diesen Bemühungen ein deutlicher Bremsklotz ist. Deshalb ist es umso wichtiger, die anstehende Reform der Finanzierung der Pflegeversicherung zu nutzen. Im jetzigen System der Gesundheits- und Pflegeversicherung können die entstehenden aber dringend notwendigen Mehrkosten nicht ausgeglichen finanziert werden. Deshalb braucht es das von der LINKEN vorgelegte Modell der Solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung. Da in diesem System alle Menschen einbezogen werden und alle gemäß ihrer finanziellen Möglichkeiten beitragen, also auch Einkünfte aus beispielsweise Kapitalerträgen oder Mieteinnahmen verbeitragt werden, ist dies eine Möglichkeit, Gesundheit und Pflege solide und solidarisch zugleich zu finanzieren. So ist zum Beispiel eine PflegeVOLLversicherung möglich, aber auch deutliche Lohnsteigerungen in der Gesundheits- und Kranken- sowie der Altenpflege.