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Ehrenamtliche haben größeren Schaden verhindert

Im Wortlaut von Frank Tempel,

Frank Tempel, Bundestagsabgeordneter aus Thüringen, Vorsitzender der Linksfraktion im Kreistag Altenburger Land und Mitglied im Gemeinderat Saara, über die Situation in seiner vom Hochwasser betroffenen Heimatregion, über den Einsatz von Feuerwehr, THW und Ehrenamtlichen, über Synergieeffekte der Selbsthilfe, über Nachholebedarf beim Katastropehnschutz sowie mit konkreten Forderungen an Bund und Länder


Ein Hochwasserwochenende, wie es die Ostthüringer Region noch nicht erlebt hat, liegt hinter uns. Selbst die Pegelstände von 2002 - und damit hatte so schnell niemand gerechnet - wurden noch einmal übertroffen. Mit etwas Galgenhumor könnten wir uns hier beschweren, dass wir unser Jahrhunderthochwasser doch schon gehabt hatten. Etwas ernster betrachtet, müssen wir jedoch registrieren, das schwere unwetterbedingte Schäden auch bei uns mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auftreten.

Insofern ist es besonders wichtig, sich mit Blick auf den Katastrophenschutz drei Schwerpunkte sehr genau anzusehen:

  1. Inwieweit haben Veränderungen naturgegebener Landschaften durch den Menschen die Grundlage für das hohe Schadensausmaß des Hochwassers gesetzt. Wie wirkungsvoll sind die baulichen Hochwasserschutzmaßnahmen?
  2. Wie funktioniert das System Katastrophenschutz vor Ort? Welche Stärken und Schwächen haben sich im Einsatz gezeigt?
  3. Welche Schlussfolgerungen und Maßnahmen ergeben sich für die Zukunft?
     

Es ist nicht neu, dass bauliche Sünden der Vergangenheit die Gefährlichkeit von Hochwasserlagen begünstigen - sei es durch die Veränderung von Flussläufen, als auch durch die Versiegelung von Flächen. Dass Hochwasserschutzmaßnahmen, die aufgrund dieser Erkenntnis von den Kommunen veranlasst werden, unter erheblichen Kostenvorbehalt stehen, ist zumindest jeden Kommunalpolitiker bekannt. Wie klug das ist, wird spätestens sichtbar, sobald erste Schadensschätzungen des jüngsten Hochwassers veröffentlicht werden. Mag jeder Haushaltspolitiker bitte genau hinschauen, welche baulichen Schutzmaßnahmen und Verbesserungen mit dem Geld möglich gewesen wären, das jetzt zur Schadensregulierung eingesetzt werden muss. Ich erwarte, dass genau diejenigen, die den Kommunen bisher die Finanzierungsgrundlage für einen besseren Katastrophenschutz verwehrt haben, sich nun kurz vor der Bundestagswahl mit besonders großzügigen Hilfsangeboten in Szene setzen werden. Inwieweit das anständig ist, soll jeder selbst bewerten.

Einige ganz besonders wichtige Erkenntnisse können jedoch auch direkt aus dem Einsatzgeschehen gezogen werden. Die dezentrale zivile Struktur des Katastrophenschutzes mit einem sehr hohen Anteil an Ehrenamtlichen hat sich sehr deutlich bewährt. Bei aller Diskussion um den Hilfseinsatz von Bundeswehrsoldaten in Hochwasserlagen: Bis diese zum Einsatz kommen, gilt vor Ort längst Land unter. Wer zu allererst mit Entscheidungen und Sofortmaßnahmen zur Stelle ist, sind die ehrenamtlichen Helfer von Feuerwehr, THW und anderen Organisationen. Sie sind bestens ausgebildet und bringen meistens noch ein privates Umfeld freiwilliger Helferinnen und Helfer mit in den Einsatz. Diese Selbsthilfe der Bevölkerung bringt weitere Synergieeffekte mit sich: Familien bieten Unterkünfte für Hochwassergeschädigte an, Einwohner melden sich für Hilfsarbeiten, Unternehmen bieten unbürokratisch und kostenfrei Fahrzeuge, Notstromaggregate oder auch Lebensmittel zur Versorgung der Einsatzkräfte an.

An dieser Stelle kann ich nur sagen, dass man gar nicht mehr weiß, wen man eigentlich zuerst und am meisten danken soll: Den Ehrenamtlichen, die den Kommunen durch ihren ständigen Einsatz teure hauptamtliche Strukturen ersparen, oder den vielen spontanen Helfern, die jeweils nach ihren ganz speziellen eigenen Möglichkeiten helfen? Bei all den dramatischen Einzelschicksalen und auch dem Schaden für die gesamte Region ist es doch auch ein sehr nachhaltig beeindruckendes Erlebnis, diese Solidarität der Menschen untereinander zu erleben.

Im Dorf Zehma in der Gemeinde Nobitz habe ich in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr eine kleine Turnhalle als Notunterkunft für Hochwasseropfer eingerichtet. Bis spät in die Nacht hinein kamen Leute aus dem Dorf vorbei, um sich zu erkundigen, ob sie helfen können oder noch etwas benötigt wird. Als am späten Abend auch in dieser Halle der Strom ausfiel dauerte es keine 10 Minuten bis die ersten Kerzen vorbei gebracht wurden. Das alles hat hervorragend funktioniert. Doch Gespräche mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr brachten auch Probleme zu Tage. So wurde deutlich, dass trotz Radio- und TV-Warnmeldungen die Bevölkerung noch immer nicht ausreichend gewarnt werden kann. Nach wie vor beklagen viele Menschen zu späte oder zu geringe Information. Hier wird im Nachhinein zu untersuchen sein, ob dies lediglich ein subjektives Gefühl ist oder ob neue Modelle wie zum Beispiel SMS-Warnmeldungen notwendige Verbesserungen ermöglichen.

Für die nahe und ferne Zukunft bleibt jedoch folgendes festzuhalten:

  1. Der Schaden ist da – und er muss behoben werden. Weder Privatpersonen noch die Kommunen werden dazu ohne weiteres finanziell in der Lage sein. Ein sofortiger Hilfsfonds seitens des Bundes und der Ländern muss schnellstmöglich mit geringstmöglichem bürokratischem Aufwand eingerichtet werden. Für einen Neuaufbau müssen die Geschädigten die Gewissheit haben, dass sie nicht alleine gelassen werden.
  2. Die Einsatzmaßnahmen von Feuerwehr, THW und Rettungsdiensten müssen schnellstmöglichst evaluiert werden. Ist die personelle Decke noch ausreichend? War die technische Ausstattung noch ausreichend? Ich habe sehr oft die Antwort der Einsatzzentrale gehört: Ws sind bereits alle Pumpen im Einsatz. Wie haben Funk und Kommunikation funktioniert? Was geschah bei Stromausfällen? Wie mobil sind die Feuerwehrkräfte, wenn sie selbst vom Hochwasser eingeschlossen sind?
  3. Welche baulichen Lehren müssen aus dem Verlauf der Hochwasserlage gezogen werden? In Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern und Landräten muss klar und ohne Sparzwang ein Investitionsplan erstellt werden. Einsparungen an dieser Stelle, das dürfte zumindest für einige Wochen jeder und jedem klar sein, führen zu teuren Ausgaben einen nächsten Hochwasser.
  4. Die Ehrenamtsstruktur im Katastrophenschutz war die Grundlage für die Verhinderung noch größerer Schäden. Sehr frühzeitige Maßnahmen verhinderte so die Gefährdung von Menschenleben. Die demographische Entwicklung besonders in Ost-Thüringen, aber auch in vielen anderen Regionen des Landes, gefährdet jedoch diese Ehrenamtsstruktur. Haben wir in zehn oder 15 Jahren immer noch dieses Netz hoch qualifizierter ehrenamtlicher Helfer mit enger Vernetzung in der Bevölkerung? Was müssen wir dafür tun, damit uns diese doch eigentlich sehr preiswerte und effektive Struktur erhalten bleibt? Auch hier ist offensichtlich, dass ein Spargebot in der Gegenwart eine teure Hypothek für die Zukunft bedeutet.

Ich hoffe sehr, dass in den nächsten Tagen niemand daran gemessen wird, wie häufig sie oder er im Gummistiefel auftretend schnelle Hilfe verspricht. Entscheidend wird sein, wer in Zukunft langfristige wirkungsvolle Hilfe verwirklicht.

linksfraktion.de, 3. Juni 2013