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Dummheit wäre die »mildere Variante«

Im Wortlaut,

Der NSU-Untersuchungsausschuss kam dem Motiv der Aktenvernichtung nicht auf die Spur

Von René Heilig

Die Affäre um die Mordserie der rechtsextremistischen NSU-Zelle hat ihn den Job als Chef des Bundesverfassungsschutzes gekostet. Gestern ließ Heinz Fromm erschreckende Einblicke in seine Behörde zu.

»Keiner der acht V-Leute hat etwas mit den Personen zu tun, gegen die ermittelt wird«, sagte Unionsobmann Clemens Binninger. Insofern sei das Vertrauen wiederhergestellt. SPD-Obfrau Eva Högl lobte die Möglichkeit zur Akteneinsicht: »Es war ein wichtiger Beitrag, um Verschwörungstheorien den Boden zu entziehen.«

Wenn es mal so wäre: Junge Frau, rechtsextremistisch eingestellt, mit engem Verhältnis zur Oma und Katzen ... Wer – wie FDP-Obmann Hartfried Wolff – gründlich die Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz liest oder lesen lässt, stößt bei einer versuchten Anwerbung im Thüringer Raum auf diese Art Beschreibung. Stattgefunden haben soll sie im Februar 1997.

Natürlich gibt es sicher mehrere Frauen, die diesem Bild entsprechen, doch eine von ihnen heißt mit Sicherheit Beate Zschäpe. Wollte der Geheimdienst sie zur Zuträgerin machen? Sicher ist zudem, dass der Geheimdienst nicht alle V-Mann-Aktivitäten der »Operation Rennsteig« dokumentierte. Offiziell hatten Bundesverfassungsschutz (BfV), Thüringer Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst MAD zwischen 1997 und 2003 35 Personen aus dem Milieu des etwa 150 Mitglieder zählenden »Thüringer Heimatschutz« (THS) angesprochen, um sie als V-Leute zu werben.

Fassungsloser Fromm

Nicht nur die Linksfraktions-Obfrau Petra Pau mag dem Dienst daher kein erwünschtes Transparenzzertifikat ausstellen. Und wie soll es den Abgeordneten gelungen sein, am Mittwoch in nur wenigen Stunden Einsicht in über 30 geheime BfV-Ordner die wirklichen »Perlen« zu entdecken? Und noch fehlen ja die Puzzlestücke des Bundeswehr-Geheimdienstes. Der MAD will aber voraussichtlich »schon« in dieser Woche ungeschwärzte Akten zugänglich machen, kündigte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums an. Doch da ist der Ausschuss längst in der parlamentarischen Sommerpause.

Bevor Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm, der Noch-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, gestern im Untersuchungsausschuss Rede und Antwort stehen musste, war ein Rechtsextremismus-Referatsleiter M. in die Runde zitiert worden. Man hat viel Aufwand getrieben, um den Mann vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Er ist zumindest teilweise verantwortlich für die Löschung der »Rennsteig«-Papiere am 11. November 2011 – eine Woche nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle und just an jenem Tag, an dem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen den NSU übernommen hat. Damals liefen die Ermittlungen in allen deutschen Sicherheitsbehörden auf Hochtouren, um hinter die blutigen Geheimnisse der »Zwickauer Zelle« zu kommen. M. fiel allerdings nur auf, dass das interne Verfallsdatum der »Rennsteig«-Papiere überschritten war. Resultat: Ab in den Schredder.

Zu dem Vorgang selbst sagte M. in geheimer Sitzung nichts, schließlich läuft ein Disziplinarverfahren gegen ihn und es ist sein gutes Recht, sich nicht selbst zu belasten.

Präsident Fromm ist – so er nicht ein überragender Schauspieler ist – noch immer fassungslos. Man könne doch nicht nach solchen Taten »Akten, die auch nur entfernt damit zu tun haben, vernichten«. Fromm, nach möglichen Motiven befragt, verwies auf das laufende Disziplinarverfahren und sagte: »Ich wünsche mir, dass Dummheit rauskommt, das wäre die mildere Variante.«

Das auf dem entsprechenden Vernichtungsprotokoll fehlende Löschdatum stützt eine Erklärung, die Fromm sich für die Handlungsweise des Referatsleiters und seiner höchst wahrscheinlich schredderdominanten Vorgesetzten bis hinauf zum Gruppenleiter Beschaffung zurecht gelegt hat.

Vor drei Jahren habe der ihm offenbart: Akten werden nie vernichtet. Fromm verwies erstaunt auf geltende Datenschutzgesetze und verlangte, dass der Aktenbestand gemäß dieser Gesetze in Ordnung gebracht werde. Verabredet sei gewesen, alte Akten, die nicht mehr gebraucht werden, nach und nach zu vernichten.

Was die Informationsbeschaffer aber offensichtlich – so lassen sich M.s Einlassungen wohl deuten – nur gemächlich umsetzten. Erst im Januar 2011, also gut zehn Monate vor dem Auffliegen des NSU, vernichtete man dann einen ganzen Schwung. Darunter auch Dokumente zum Thüringer Rechtsextremismus. Dass man aber am 11. November, als die Ermittlungen zu den NSU-Mordtaten anliefen, ganz speziell Akten zur Operation »Rennsteig« schredderte, sagte man Fromm offensichtlich nicht. Er ging bis zum 26. November 2011 davon aus, dass sich die fehlenden »Rennsteig«-Akten bei der gesetzeskonformen Januar-Aktion im Nichts aufgelöst haben. Erst am 27. November habe M. dann Farbe bekannt.

Er habe nicht so sehr Probleme mit dem Fehler der Aktenvernichtung an sich. Der Versuch, den Fehler zu vertuschen, die Tatsache, dass er sich als Amtschef auf nichts verlassen kann, dass die Mitarbeiter ihm nicht die Wahrheit sagen, das hat ihm die Lust am Chefsein verleidet.

Er machte Platz, um einen personellen Neuanfang zu ermöglichen. Doch was so ganz nebenbei über die systematischen Gesetzesverletzungen des Bundesamtes allein in Sachen Datenschutz herausgekommen ist, kann wohl als weiteres Argument genutzt werden, den Dienst schleunigst aufzulösen. Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) umschrieb den Skandal ungewohnt zurückhaltend, als er sagte, es sei deutlich geworden, »dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht als Hort des Datenschutzes betrachtet werden kann«. Unions-Obmann Binninger suchte nach einem Vergleich und fand, »die Art und Weise, wie Akten geführt, gespeichert oder gelöscht werden«, erinnere eher »an eine Lotterie als an ein seriöses Prinzip«.

Friedrichs Sonderermittler

Auf jeden Fall sollte man dem Geheimdienst den Nimbus des Geheimen entziehen, der auch innerhalb der Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern für Misstrauen und Kompetenzgerangel sorgt. Fromm und seine BfVler haben beispielsweise erst im Mai 2001 aus dem »Spiegel« erfahren, dass der Führer des Thüringer Heimatschutzes Timo Brandt, der vom Bundesamt umworben wurde, bereits V-Mann des Thüringer Landesamtes war. Dazu passt, dass der eigentlich zuständige Mitarbeiter des Thüringer Verfassungsschutzes von der groß angelegten Operation »Rennsteig« offenbar gar nichts wusste. Das versicherte der frühere Beamte jedenfalls an Eides statt.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ernannte derweil als Reaktion auf die jüngsten Pannen in der Kölner Behörde einen Sonderermittler in der NSU-Affäre. Sein Unterabteilungsleiter Verfassungsschutz, Hans-Georg Engelke, soll aufklären, wie es zur Vernichtung der wichtigen Akten kommen konnte. Ob eine interne Untersuchung der richtige Weg zum Ausmisten ist, darf bezweifelt werden.

neues deutschland, 6. Juli 2012