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Die repräsentative Demokratie reformieren

Interview der Woche von Halina Wawzyniak,

Halina Wawzyniak, Mitglied im Rechtsausschuss, wünscht sich eine Demokratisierung der Demokratie.

 

 

Am vergangenen Wochenende demonstrierten 50.000 Menschen im Wendland gegen den Castortransport nach Gorleben und die durch die Koalition beschlossene Laufzeitverlängerung für deutsche Atomkraftwerke. In Stuttgart demonstrieren seit Wochen Zehntausende gegen das umstrittene Bahn-Großprojekt „Stuttgart 21“, beides milliardenschwere Prestigeprojekte von Kanzlerin Merkel (CDU). Es geht um Grundfragen der Demokratie. Was hat sich durch die Auseinandersetzungen um ‚S21’ und Gorleben in Deutschland verändert?

 

Halina Wawzyniak: Der Proteste in Niedersachsen und Baden-Württemberg haben gezeigt, dass der sich abkapselnde Parlamentarismus in der Krise steckt. Parlamente, die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr mitnehmen, Entscheidungen nicht transparent und nachvollziehbar machen, verlieren logischerweise an Rückhalt in der Bevölkerung. Doch selbst innerhalb des Parlamentes sind solche intransparenten Prozesse immer häufiger zu beobachten, besonders seit der desolaten Lage der schwarz-gelben Koalition in Berlin. Gesetzesinitiativen werden kurzfristig auf die Tagesordnung gehoben, eine inhaltliche und fundierte Auseinandersetzung wird dadurch unmöglich gemacht, Oppositionsrechte werden ignoriert.

 

Sie spielen auf die Geschehnisse im Plenum des Bundestages in der vergangenen Sitzungswoche an, als die Laufzeitverlängerung für deutsche AKW durch die Koalitionsmehrheit ohne Achtung der parlamentarischen Spielregeln beschlossen wurde.

 

Es ist eine Farce, was dort abgelaufen ist. Ausschussberatungen werden abgebrochen, Anhörungen mit Sachverständigen torpediert, inhaltliche Debatten unterbunden. Ähnlich hatte sich auch Bundestagspräsident Lammert geäußert, und der ist immerhin CDU-Mitglied. Wie zurzeit im Bundestag mit Minderheitenrechten umgegangenen wird, ist schlichtweg nicht akzeptabel. Dagegen haben wir lautstark gemeinsam mit Grünen und der SPD protestiert.

 

DIE LINKE übt sich aber nicht nur in Protest. Sie bringt eine Vielzahl von Initiativen zur Demokratisierung der Demokratie ein, wie zum Beispiel ihren Gesetzentwurf zur dreistufigen Volksgesetzgebung (Drs.17/1199), für den Sie verantwortlich zeichnen. Was ist das Ziel dieser Gesetzesinitiative, die am 12. November im Plenum abschließend behandelt werden wird?

 

Der Gesetzentwurf wurde gleich zu Beginn der Legislaturperiode eingereicht und möchte eine stärkere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im Gesetzgebungsverfahren ermöglichen. Dies soll durch die bundesweite Einführung von Volksbegehren, Volksinitiativen und Volksentscheiden mit niedrigen Beteiligungsschwellen gesichert werden. In den Beratungen hat sich allerdings einmal mehr gezeigt, dass die Koalitionsfraktionen an einer Demokratisierung der Demokratie über das Instrument der Bürgerbeteiligung kein Interesse haben. Wir wollen aber, dass Bürgerinnen und Bürger direkten Einfluss auf politische Entscheidungen auch abseits der Wahlkabine nehmen können.

 

Sie meinen also, die repräsentative Demokratie hat sich überlebt?

 

Das nicht, aber sie muss reformiert, muss demokratisiert werden. Die repräsentative Demokratie ist durch etablierte Parteien geprägt und wird durch diese dominiert. Bürgerinnen und Bürger haben immer öfter den Eindruck, dass Dinge im Parlament diskutiert werden, die nichts mit ihrem Leben, mit ihren Lebenssituationen und Erfahrungen zu tun haben. Oder es wird an gesellschaftlichen Mehrheiten vorbei diskutiert und regiert. Wahlmehrheiten spiegeln aber nicht immer gesellschaftliche Positionen in aller Breite wider. Das zeigt sich aktuell nicht zuletzt in Stuttgart oder Gorleben. Eine lebendige Demokratie muss sich weiter entwickeln, auch angesichts der zunehmenden Digitalisierung von Information und Kommunikation.

 

DIE LINKE ist Motor für einen Politikwechsel. Zu diesem Politikwechsel gehören auch die Demokratisierung der Demokratie, das Zurückdrängen von Lobbyisten im Parlamentarismus, der Ausbau der Bürgerbeteiligung und die Demokratisierung der Wirtschaft. Wie werden diese Forderungen von den beiden anderen Oppositionsfraktionen aufgenommen?

 

SPD und Grüne nehmen durchaus interessiert unsere Aktivitäten und Initiativen in diesen Bereichen zur Kenntnis. Häufig lassen sich in den Grundansätzen auch Übereinstimmungen herstellen, z. B. bei dem Thema „Direkte Demokratie“. Leider gibt es bei SPD und Grünen in der konkreten Arbeit an parlamentarischen Initiativen der LINKEN noch immer Vorbehalte. Unsere Konzepte sind aber sowohl vom Grundgedanken her als auch im Detail überzeugend und ich bin zuversichtlich, dass die beiden anderen Oppositionsfraktionen im Sinne der Demokratie ihre Vorbehalte über kurz oder lang ablegen werden – müssen!

 

linksfraktion.de, 10.11.2010