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DIE LINKE wirkt

Interview der Woche von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, mit einem Rück- und Ausblick

Preise steigen, Reallöhne sinken: Bringt das Jahr 2008 eine Trendwende in Sachen Aufschwung?

Die Preissteigerungen sind vor allem auch durch die von der Großen Koalition beschlossene Mehrwertsteuererhöhung hervorgerufen worden. Die Regierung Merkel hat damit besonders die Haushalte mit geringem Einkommen belastet, da diese einen größeren Anteil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben müssen. Die Haushalte mit geringem Einkommen sind auch besonders von den überhöhten Strompreisen betroffen. Eine Trendwende bei den Strompreisen kann es erst dann geben, wenn die Große Koalition für einen funktionierenden Wettbewerb sorgt. Die LINKE hat hierzu Vorschläge gemacht und Gesetzesinitiativen für eine funktionierende Preisregulierung und die Überführung des Stromnetzes in die Öffentliche Hand in den Deutschen Bundestag eingebracht.

Eine wesentliche Ursache für weiterhin stagnierende oder sogar sinkende Reallöhne ist nach wie vor Hartz IV. Durch Hartz IV ist die Angst der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit gestiegen und die Kampfkraft der Gewerkschaften geschwächt worden.

Man muss davon ausgehen, dass die Große Koalition sich auch in 2008 treu bleibt und die Armen ärmer und die Reichen reicher macht. Der Aufschwung kommt bei der großen Mehrheit nicht an. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass mit einer Abschwächung der Weltwirtschaft die vom Außenhandel immer stärker abhängige deutsche Volkswirtschaft erneut geschwächt wird und die Zahl der Arbeitslosen wieder zunimmt.

Nach einer gerade veröffentlichten Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach sehen nur noch 15 Prozent der Deutschen die wirtschaftlichen Verhältnisse als gerecht an. Während in früheren Aufschwungphasen der Anteil der Unzufriedenen zurückgegangen ist, steigt er jetzt. Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung der Bundeskanzlerin, Deutschland habe Grund zur Zuversicht, zynisch.

Union und SPD ziehen im Umgang mit Ihnen persönlich nicht gerade Samthandschuhe an. Auch DIE LINKE teilt in Parlamentsdebatten kräftig aus?

Wichtig ist, dass es in der Auseinandersetzung immer um die Inhalte geht. Um den Kern einer Sache verständlich zu machen, ist es notwendig, zuzuspitzen.

Wie muss man sich das Aufeinandertreffen von Koalition und Opposition im Bundestagsalltag vorstellen, wenn keine Kameras dabei sind?

Der Umgang ist in der Regel höflich. Der Streit um politische Positionen setzt die Umgangsformen nicht außer Kraft.

Die vier anderen Fraktionen im Bundestag sind sich einig: DIE LINKE stellt Forderungen, die in ihrer Gesamtheit nicht zu finanzieren sind. Üble Nachrede?

DIE LINKE wirkt im Deutschen Bundestag an dieser Stelle pädagogisch. Jede öffentliche Finanzierung ist abhängig von der Steuer- und Abgabenquote, also dem, was der Staat durch Steuern und Abgaben von den Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern einnimmt. Wer den Dreisatz beherrscht, kann sich anhand der offiziellen Statistiken der OECD folgendes ausrechnen: Deutschland hat eine Steuer- und Abgabenquote von rund 35 Prozent. Die des europäischen Durchschnitts liegt aber bei rund 40 Prozent. Hätte Deutschland diese 40 Prozent bedeutete dies staatliche Mehreinnahmen von über 100 Milliarden Euro. Hätten wir die Steuer- und Abgabenquote der skandinavischen Staaten, stiegen unsere Staatseinnahmen um deutlich über 300 Milliarden Euro. Damit ist die Finanzierungsfrage im Grundsatz schon beantwortet.

Gleichzeitig muss keines dieser Länder zwei wirtschaftlich sehr unterschiedlich entwickelte Landesteile zusammenführen. Wir leisten uns trotz der Wiedervereinigung eine deutlich geringere Steuer- und Abgabenquote als andere Länder. Würden wir diesen Irrsinn aufgeben, könnten wir jenen brutalen Sozialabbau, wie er zunächst durch SPD und Grüne betrieben wurde und jetzt von der Großen Koalition fortgesetzt wird, zurücknehmen.

CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne müssen sich vorwerfen lassen, dass sie mit ihrer ungerechten Steuerpolitik, die einseitig Konzerne, Besserverdienende und Vermögende begünstigt, die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber benachteiligt, den staatlichen Handlungsspielraum fahrlässig eingeengt haben. Auch deswegen kommt die anfangs bereits zitierte Allensbach-Umfrage auch zu dem Ergebnis, dass 62 Prozent der Bürgerinnen und Bürger meinen, das deutsche Wirtschaftsmodell sei nicht wirklich sozial.

Seit ein wenig mehr als zwei Jahren sind Sie ihr Fraktionsvorsitzender: Was sind die Erfolge Ihrer Fraktion? Wirkt DIE LINKE?

DIE LINKE wirkt. Die gelungene Gründung der Linken ist allein ein Erfolg, berücksichtigt man die unterschiedlichen Kulturen in Ost- und Westdeutschland. Erst seitdem DIE LINKE angetreten ist, bestimmen wieder soziale Themen die deutsche Politik. Die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, die Abschaffung von Hartz IV, die Diskussion um die Verlängerung des Arbeitslosengelds I, die Rente mit 67, maßlose Managergehälter usw. Ohne eine konsequente linke Opposition stünde weiterhin der radikale Sozialabbau, wie er unter Schröder eingeläutet wurde, auf der Tagesordnung.

Außenpolitisch ist DIE LINKE die einzige politische Kraft im Deutschen Bundestag, die sich gegen die verhängnisvolle Militarisierung der deutschen Außenpolitik wehrt. DIE LINKE verurteilt die von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen befürworteten Militäreinsätze deutscher Soldaten im Ausland im Geiste Willy Brandts, der in seiner Friedensnobelpreisrede den Krieg als „ultima irratio“ bezeichnet hat.

DIE LINKE hat auch der ökologischen Frage neues Leben eingehaucht. Wer wie die Grünen meint, die drängenden Umweltfragen dem freien Markt überantworten zu können - „grüne Marktwirtschaft“ -, irrt. DIE LINKE sieht auch hier die Politik in der Verantwortung und macht sich für eine Verbindung der ökologischen mit der sozialen Frage stark. Wir treten beispielsweise für eine Rekommunalisierung der Energieversorgung ein. Die Energiepreise würden wieder sinken und die Anwendung regenerativer Energien würde erleichtert.

Wird es einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland geben?

Mit der Großen Koalition wird es keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn geben. Die SPD muss sich, wenn sie es mit dem Mindestlohn wirklich ernst meint, andere Partner als die CDU/CSU suchen. Da sie diesen hierfür eher bei der FDP als bei den Linken sieht, bleibt sie auch in dieser Frage unglaubwürdig.

Auf Dauer darf sich eine Bundesregierung nicht dem Mehrheitswunsch der Bevölkerung versperren. Die Mehrheit der Menschen fordert den Mindestlohn. Wie bei der Rente mit 67, den Auslandseinsätzen der Bundeswehr oder Hartz IV regiert die Bundesregierung über die Köpfe der Menschen hinweg. Das hat schon jetzt zur Schwächung unserer Demokratie und zum Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik beigetragen. Immer mehr Menschen wenden sich von der Politik ab. Sie fühlen sich nicht ernst genommen.

Warum kämpft Ihre Fraktion so beharrlich gegen Hartz IV, für eine Erbschafts- und Vermögenssteuer und den Generalstreik?

Hartz IV war ein Schlag in die Magengrube der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Angst, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in Hartz IV zu rutschen, hat die Widerstandskraft der abhängig Beschäftigten und damit die Kampfkraft der Gewerkschaften geschwächt. Daher ist Hartz IV für die miserable Lohnentwicklung in Deutschland mit verantwortlich. Da die Renten an die Lohnentwicklung gekoppelt sind, ist Hartz IV - neben der Zerstörung der Rentenformel - auch eine zentrale Ursache für die zunehmende Rentenarmut in Deutschland. Deswegen muss Hartz IV zurückgenommen werden.

Eine Anhebung der Erbschaftssteuer und die Wiederseinsetzung der Vermögenssteuer ist notwendig, um die Vermögenden in Deutschalnd endlich wieder angemessen an der Finanzierung notwendiger öffentlicher Ausgaben für Bildung, Soziales und Umwelt- und Klimaschutz zu beteiligen. SPD und Grüne haben unter der Regierung Schröder die Vermögenden und Konzerne in noch nie dagewesenem Ausmaß entlastet und damit von der Mitverantwortung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben entbunden. Das ist nicht hinnehmbar. Die Debatte um maßlose Managergehälter zeigt, dass die Bevölkerung diese Ungerechtigkeit spürt und es satt hat, sich von denen zum Maßhalten auffordern zu lassen, die sich selbst hemmungslos bereichern und dabei noch durch die Politik der Bundesregierung unterstützt werden, während dieselbe Bundesregierung den Benachteiligten in der Gesellschaft aber weitere Kürzungen auferlegt. Die Wut darüber wächst, und CDU/CSU und SPD wären gut beraten, ihren jüngsten Lippenbekenntnissen zu mehr sozialer Gerechtigkeit auch endlich Taten folgen zu lassen.

Um den Druck in diese Richtung zu stärken, fordert DIE LINKE auch das Recht auf Generalstreik. Was in anderen europäischen Ländern die Regel ist, darf in Deutschland nicht länger verboten sein. Die Stärkung der direkten Demokratie ist ein weiteres Anliegen der Linken.

Ist für DIE LINKE eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene nicht unumgänglich, wenn sie ihre Forderungen praktisch umsetzen will?

Auch aus der Opposition heraus kann man Politik verändern. Das sehen wir gerade. Ohne uns gäbe es zum Beispiel keine Korrekturen beim ALG I und bei der Zwangsverrentung. Beim Post-Mindestlohn wäre die SPD wie so oft eingeknickt.

DIE LINKE muss, will sie sich nicht selbst die politische Berechtigung absprechen, zuallererst ihren Inhalten treu bleiben. Lässt sich eine andere Partei darauf ein, Hartz IV und die Rente mit 67 zurückzunehmen, den Mindestlohn einzuführen und die deutschen Soldaten aus Afghanistan wieder zurückzuholen, wäre dies eine Grundlage für DIE LINKE, auf Bundesebene Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Auf Landesebene wären beispielsweise die von der Linken geforderte Rekommunalisierung der Energieversorgung, das einheitliche Lernen bis zur 10. Klasse, der Stopp jeder Privatisierung öffentlichen Eigentums und die Rücknahme von Studiengebühren eine Basis, eine Regierungsbeteiligung zu erwägen.

Rechnen Sie mit einem Kurswechsel der US-amerikanischen und folglich der Politik der Bundesregierung in deren Kampf gegen Terror?

Ein Regierungswechsel in den USA könnte sich positiv auf die US-Außenpolitik auswirken. Das ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt reine Spekulation. DIE LINKE ist der Auffassung dass Terror nicht durch Terror bekämpft werden kann.

DIE LINKE sagt, Krieg gegen Terror kann nicht gewonnen werden. Wie soll das Problem gelöst werden?

Die traurige Entwicklung in Afghanistan und im Irak zeigt die Ausweglosigkeit der dort geführten Kriege. Die Politik muss wieder zum Dialog auch und gerade mit dem politischen und militärischen Gegner finden. Die Militärausgaben stehen in keinem Verhältnis zu den Entwicklungsaufgaben in den Krisenregionen. Nur mit Entwicklung, dem Bau von Straßen, Schulen, moderner Infrastruktur und auch der immateriellen Unterstützung durch Ausbildung bspw. erhalten die Menschen wieder eine Perspektive und lassen sich für den Frieden gewinnen. Anstatt ihr Wissen und ihre Technik in den Dienst dieser Entwicklung zu stellen, tragen die führenden Industrieländer mit ihrem „Kampf gegen den Terror“ mit zur Gewalt und Perspektivlosigkeit in diesen Ländern bei. Eine Umkehr in dieser Frage, würde auch voraussetzen, dass der „Westen“ seine Rohstoffinteressen nicht länger versucht mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

linksfraktion.de, 17. Dezember 2007